Kisten und Ballen aufgeschlagen, da wir billiges Bedenken trugen, uns den Betten Pajols anzuvertrauen, obwohl er uns hoch und teuer versicherte, nach jedem, der am gelben Fieber gestorben, seien sowohl die Zimmer gelüftet wie die Leintücher und Tillandsea-Matratzen verbrannt oder in den Mississippi geworfen worden.
Trotz Mosquitos, trotz Brulôts — diese Insekten sind kleiner als die ersteren, dringen aber mit ihren ungemein peinlichen Stichen durch die Kleider — und trotz anderen namenlosen Ungeziefers schliefen wir ruhiger, als es seit Monaten der Fall gewesen war.
Allein Amadée teilte unsere Sorglosigkeit nicht und blieb wach. Vor Tagesanbruch kam er zu unserem Strohlager, rüttelte uns aus dem Schlaf und winkte uns, ihm zu folgen. Schlaftrunken gingen wir ihm nach.
»Was gibt‘s, Amadée?«
»Ich glaube doch, wir gehen am besten über den Pontchartrain.«
»Was zum Henker fällt dir ein, jetzt, nachdem der Handel abgeschlossen ist?«
Amadée schüttelte den Kopf.
»Es sind Farbige, ich traue den Farbigen nicht. Sie gefallen mir nicht.«
»Das finde ich begreiflich. Du konntest seit den Zeiten des Clubs Massiac nie einen Farbigen leiden«, spottete Ducalle.
Der Club Massiac war die bekannte Gesellschaft von Negerfreunden, die sich im Anfang der Revolution in Paris gebildet hatte und von großem Einfluß auf die Entwicklung des Sklavenaufstandes in St. Domingo war.
»Amadée schien den Vorwurf nicht gehört zu haben.
»Wir sind hier unbekannt«, erwiderte er. »Diese Menschen mögen uns hinführen, wo sie wollen, kein Hahn kräht um uns. Geben wir unsere Empfehlungsschreiben ab, Herr Graf! Das wenigste, was die Herren für uns tun können ist, uns eine Reisegelegenheit nach den Attacapas zu verschaffen.«
»Hast du etwas Verdächtiges gehört?« fragten wir.
»Ich blieb im Estaminet, um mit Pajol wegen der notwendigen Lebensmittel zu reden. Was ich da von den Farbigen hörte, gefiel mir nicht.«
»Und was hörtest du?«
»Bloß unsere Namen! Verstehen konnte ich ihr negrokreolisches Kauderwelsch nicht.«
»Pah, Amadée, du bist doch sonst nicht so furchtsam und hast das Herz auf dem rechten Fleck!« meinte Hauterouge. »Zehn Franzosen werden sich doch vor zwölf Farbigen nicht fürchten? Es ist Ehrensache für uns, zu gehen. Man würde uns auslachen!«
»Ich meinerseits bin fest entschlossen, mit den Leuten zu gehen!« erklärte Ducalle.
»Ich auch!« sagte Hauterouge.
Vignerolles und ich waren noch unentschlossen, aber jetzt kam Balot. Und der Gedanke, uns vor diesem Menschen eine Blöße zu geben, beschwichtigte alle Bedenklichkeiten, so ernster Natur sie auch waren. Wir ließen unser Gepäck an die Levée und an Bord des Fahrzeugs schaffen und folgten nach wie Leute, die nicht recht wissen, ob sie wachen oder träumen.
Die Amerikaner haben ein Sprichwort, das da sagt: ein Europäer bleibt sieben Jahre in Amerika blind. Es enthält viel Wahres. Wenigstens wir, ich gestehe es gern, waren blind, als wir in Amerika ankamen, und blieben auch geraume Zeit gleichsam blind, befangen in einer Weise, die dem Zustand des Schlaftrunkenen gleicht. Weit weniger so fühlten unsere Diener. Aber die Erscheinung war natürlich. Wir kamen aus Verhältnissen, die ich abstrakt nennen möchte im Gegensatz zu denen, in die wir eintreten sollten, und die konkreter Natur waren.
Unsere Rollen in Europa, obwohl nicht gerade die unbedeutendsten, hatten uns nur wenig mit den Volksmassen in Berührung gebracht, das Befehlen ausgenommen. Wir waren gewissermaßen Räder, die wieder untergeordnete Triebwerke in Bewegung setzten, für die andere dachten und die wieder andere in Bewegung setzten, handeln ließen. Als Hofleute und kommandierende Offiziere konnten wir bei einem grand oder petit lever fungieren, konnten Regimenter, Bataillone befehligen, auch Verse machen, Romane, Tragödien und Komödien kritisieren, verstanden etwas von Chemie und Astronomie. Wir glaubten, in Louisiana, wenn nicht vollen Ersatz für die Heimat, so doch einen leidlichen Zufluchtsort zu finden. Was wir aber sahen, konnte unsere Erwartungen nur bitter enttäuschen.
Der Starkmut des Mannes hat auch seine Grenzen. Wer soviel gefochten, gekämpft, erduldet und ertragen hat wie wir in den zehn Jahren unserer Revolution, der fängt an zu verzweifeln. Das stärkste Schiff hält wohl zwei, drei und mehr Stürme nacheinander aus, allein wenn diese Stürme immer und immer wiederkehren, bald von Westen, bald von Osten, bald von Norden, wieder von Süden, dann brechen nicht nur die Ruder, die Masten — dann reißen auch die Segel, und die Planken beginnen nachzugeben. So auch das Gemüt des Mannes, es fängt an zu wanken, zu verzweifeln. Und ist es einmal dahin gekommen, dann ist Ruhe und Besonnenheit dahin, dann kommt die Unruhe. Sie warf uns Balot und seinen Genossen in die Klauen.
Unser Empfang in New Orleans hatte uns für ihn reif gemacht. Das gelbe Fieber wütete, kein Schiff, kein Boot war zu sehen. Die wenigen Einwohner, die zurückgeblieben waren, schlossen sich in ihre Häuser wie in belagerte Festungen ein, bloß einige hundert Elende trieben sich wie Schakale oder Aasgeier umher. Daß wir den Zutritt zu Don Valdez erlangten, war ein bloßes Ohngefähr und Vignerolles‘ Dublonen Spanische Goldmünze im Wert von etwa 8 Dollar wie dem Umstand zuzuschreiben, daß einer seiner Vorfahren den Titulo de Castilla — das spanische Adelsdiplom — bekommen hatte. Aber was soll ich noch weiter sagen? Man muß Nouvelle Orleans im Jahre 1799 während des gelben Fiebers gekannt haben.
Es war eine Albernheit, eine Dummheit, uns mit solchem Gelichter wie Balot einzulassen. Mir steigt jetzt noch die Galle hoch, wenn ich daran denke. Wir hatten die elendeste Fahrt, die je den Mississippi hinauf gemacht wurde. Daß wir hinaufkamen, hatten wir nur unserem guten Stern und unsäglicher Arbeit zu danken. Wir mußten arbeiten wie Galeerensklaven, rudern wie Matrosen. Denn diese faulen widerspenstigen farbigen Bestien wollten nichts tun als Filet Branntwein trinken und spielten uns noch dazu jeden möglichen Possen.
Vergebens schauten wir um Hilfe aus bei den Pflanzungen, die es damals auch schon am Mississippi gab. Aber wir kamen von New Orleans, wo das gelbe Fieber herrschte. Niemand wollte mit uns etwas zu tun haben. Und wenn sich ja einer uns näherte, während wir unsere Mittags- oder Abendmahlzeit am Ufer hielten, dann waren die Zurufe unserer Mulatten »Des pauvres blancs — arme Weiße!« oder »Des Francais de St. Domingue — Franzosen von St. Domingo!« hinlänglich, ihn schnell wieder zu verscheuchen. Leider haben sich die ehemaligen Kreolen gegen ihre unglücklichen Mituntertanen, die Flüchtlinge von St. Domingo, geradezu unmenschlich und grausam bewiesen. Diese Periode ist und bleibt ein besonderer Schandfleck in der eben nicht sehr rühmlichen Geschichte von Louisiana.
Am dritten Tage nach unserer Abfahrt — wir waren an der Côte des Allemands — begegneten wir einem Boot, das vom linken auf das rechte Ufer übersetzte. Es war Windstille, der Strom ruhig. Balot teilte gerade Branntwein aus. Wir waren ans Land gestiegen, um unser Abendmahl zu halten. Das fremde Boot war nicht mehr hundert Fuß vom Ufer, als Balot auf einmal dem Mann am Ruder zuschrie: »A droite! — Nach rechts!«
Im gleichen Augenblick ließ sich auch ein starker Windstoß spüren. Der Patrón im fremden Boot lenkte unwillkürlich auf den Ruf hin das Boot rechts, ohne daran zu denken, daß er die Seite dem Windstrich darbot. Wir hörten einen Schrei aus dem Boot, aber schon zu spät. Der Luftstrom hatte das Boot erfaßt, kollerte es wie ein Faß über und über, und in den nächsten zehn Sekunden wurde es gescheitert ans Ufer geworfen. Der Pflanzer war halb zerschmettert, zwei Neger ertranken vor unseren Augen, ein Knabe streckte angstrufend seine weißen Händchen aus dem Wasser und versank. Alles das vor unseren Augen!
Kaum sah Balot, was er angerichtet, als er und die Seinigen lachend wie Kobolde in das Fahrzeug sprangen und uns zuriefen, wir sollten nachkommen oder sie ließen uns sitzen. Was blieb uns übrig? Wir machten uns später Vorwürfe, daß wir ihn nicht sofort gepackt und gebunden hatten, um ihn dem Gesetz oder dem ersten besten Pflanzer zu überliefern. Er war geschwinder als wir, und so mußten wir ihm nach, wollten wir nicht zurückbleiben. Die ganze Nacht ruderten wir, um einer Verfolgung zu entgehen.
Nachdem diese Strolche uns zehn Tage lang bis zum Rasendwerden