westlichen Mississippi-Ufer zwei Seitenarme aus, Bayous La Fourche und Plaquemine genannt, schon damals die gewöhnlichen Wasserstraßen, auf denen man während der Flutzeit zu den Attacapas gelangt. In den Monaten Februar bis April nämlich, wenn der Mississippi seine mittlere Wasserhöhe zu übersteigen beginnt, stürzt das Wasser aus dem Strom mit außerordentlicher Heftigkeit über die angeschwemmten Holz- und Schlammassen der halbverdämmten Bayous, und mit dem Beginn dieses Ausströmens setzt auch die Schiffahrt in die beiden Ausmündungen ein und dauert an, bis die zu dem westlichen Überschwemmungsgebiet des Mississippi gehörigen Flüsse, Seen und Gewässer gleiche Höhe mit seinem Wasserspiegel erreicht haben. Ungefähr Mitte August hört mit dem Sinken des Wassers im Strom auch die Schiffahrt wieder auf.
Sobald man tiefer in diese natürlichen Abzugskanäle hineingelangt, läßt die Heftigkeit der Strömung nach, und der Reisende, dessen Fahrzeug nicht an einer vorspringenden Uferkrümmung oder einem entwurzelten Baumstamm zerschellte, ist der ersten Gefahr entronnen — um anderen entgegenzugehen. Diese Bayous sind nämlich von zahllosen Flüssen, stehenden Gewässern und Sümpfen so durchschnitten und durchkreuzt, daß selbst bei genauer Kenntnis der Fahrstraße nur die gespannteste Aufmerksamkeit den leitenden Faden aus diesem Labyrinth zu finden vermag.
Bald erweiterte sich die Fahrstraße in einen See, in den strahlenartig eine Unzahl neuer Gewässer ein- und ausmündet, bald verengt sie sich wieder so sehr, daß sie von den zwanzig Fuß hoch überschwemmten Zypressenwäldern nicht mehr zu unterscheiden ist. Die Wucht der ungeheuren Bäume wölbt sich über dem Reisenden zusammen, das spanische Moos hängt in langen, dichten Flechten von den Riesenstämmen herab, liegt auf dem Wasser, versperrt den Weg.
Kein Sonnenstrahl dringt durch die Wasser- und Waldesnacht, ein unheimliches Dunkel drückt den Menschen und die Natur nieder. Kein Singvogel läßt seine Stimme hören. Bei Tage zerreißt das brüllende Gestöhn von Tausenden von Alligatoren und Riesenfröschen die Ohren, nach Sonnenuntergang bringt einen das nervenerschütternde Gelächter und Geächze der großen Mississippi-Nachteulen zur Verzweiflung.
Wir rannten schon bald nach der Einfahrt in das Bayou Plaquemine glücklich auf einen im Wasser liegenden Zypressenstamm. Unser Fahrzeug war richtig aufgesessen, das Vorderteil befand sich jenseits des Stamms, das Hinterteil diesseits. Die Voiture hatte ein gewaltiges Loch bekommen, das Wasser drang in Strömen ein.
Balot und seine Mulatten bemächtigten sich, sowie sie unser Unglück sahen, der Jolle. Wir bemerkten das erst, als wir sie lachend davonfahren sahen. Mit einem unserer Güterballen, der dem Grafen gehörte und tausend Livres Alte französische Münze = 1 Franc wert war! Als wir verlangten, sie sollten uns mitnehmen oder später abholen, hatten sie die Unverschämtheit, für unsere Befreiung tausend Dollar zu fordern. Wir wollten ihnen gebührend antworten, aber die Ladungen unserer Flinten und Pistolen waren naß geworden.
Es war die schrecklichste Nacht, die ich je durchwacht. In einer Viertelstunde standen wir bis an den Unterleib im Wasser. Ringsum nur Sümpfe und Moraste mit Alligatoren und Alligator-Schildkröten. Etwa einen Meter lange, gefräßige Schildkröte Keinen Augenblick Ruhe! Die ganze Nacht mußten wir mit diesen Echsen kämpfen, die zu Dutzenden ihre greulichen Rachen nach uns herauf streckten, ja ins Fahrzeug kamen. Und dazu die gräßlichen Mississippi-Nachteulen, die uns an die Köpfe flogen, und ihr höllisches Gelächter! Ich möchte diese Nacht nicht noch einmal durchleben.
Mit welcher Erleichterung begrüßten wir den Aufgang der Sonne, obwohl unsere Lage dadurch nur wenig gebessert wurde. Vergeblich zergrübelten wir uns die Köpfe, wie wir uns durch Sumpf und Alligatoren auf festen Boden retten könnten. Schließlich gaben wir es als hoffnungslos auf und brüteten nur noch dumpf vor uns hin.
Doch da störte uns plötzlich Ruderschlag auf. Kehrte Balot mit seinen Genossen doch noch zurück, um uns zu holen? Hatte das Bessere in ihm gesiegt oder glaubte er uns nun zugänglicher für seine Erpressungen? Aber es war nicht die Jolle, die da kam, es war ein Fahrzeug so groß wie das unsere, eine Voiture.
Der Himmel hatte uns Roche Martin, einen wackeren, greisen Akadier, zu unserer Rettung gesandt. Eine halbe Stunde später hatte er uns von dem fatalen Baumstamm erlöst und mit unserem Gepäck in sein Boot übernommen.« —
4
Der Baron hatte seine Erzählung beendet. Es trat eine Pause ein. Äußerungen der Empörung über Balot und seine Mulatten wurden laut.
»Das sind die Folgen der Sklaverei!« schaltete sich da Vergennes ein. »Sie erstickt jedes menschliche Gefühl, macht Herren und Sklaven zu Unmenschen. Das Betragen dieser Ruderer ist ein neuer Beweis. Was können Sie von Menschen, die verdorben sind durch den Druck der Sklaverei und aufgestachelt durch die ihr anklebende Verachtung, anders erwarten als Wiedervergeltung, und daß sie ihre Tücken bei jeder Gelegenheit an ihren weißen Feinden auslassen? Das sind notwendige Folgen eines entmenschenden Systems.«
Der junge Mann sprach wie vom Katheder, so bestimmt und wichtig.
»Mit Ihrem ewigen System!« erwiderte Lassalle ungeduldig. »Das wahre System wäre gewesen, wenn wir ein halbes Dutzend Ochsenziemer statt unserer Pistolen und Dolche gehabt und sie mit den Rücken der Kanaillen in nähere Bekanntschaft gebracht hätten!«
»Pfui!« rief Vergennes. »Wollen Sie Menschen und keine boshaften Affen, so müssen Sie sie menschlich behandeln!«
»Zum Teufel!« fuhr der Baron auf. »Vergebung, meine Damen, aber unser starrköpfiger Landsmann scheint es darauf angelegt zu haben, unsere Höflichkeit und Geduld auf eine gleich harte Probe zu stellen. Wir taten diesen Bösewichtern doch nichts, im mindesten nichts, und der arme Pflanzer und sein Knabe und die Neger auch nichts!«
»Sie waren Weiße, denen der Schwarze schon im Mutterleib Feindschaft schwört. Können Sie Menschlichkeit von entarteten Geschöpfen erwarten, die in jedem der Unsrigen nur einen Tyrannen ihrer Rasse sehen? Dieses Land hier brüstet sich seiner Freiheit, und jeder seiner Bürger ist nur ein privilegierter Tyrann einer unglücklichen Rasse.«
»Unverschämter Bursche!« entfuhr es Howard, Doughby und Moreland gleichzeitig.
Sie sprangen zugleich auf den jungen Menschen zu. Howard war wirklich böse geworden, und wer würde es nicht bei einer so frechen Herausforderung?
»Sie werfen da, Monsieur, unserer Nation ein Kompliment zwischen die Zähne, für das wir Ihnen den Dank nicht schuldig bleiben wollen!«
»Wie es Ihnen gefällt!« Der Junge streckte gemächlich seine Beine und beschaute die drei recht behaglich vom Kopf bis zu den Füßen.
In Howard begann es zu sprudeln. Papa und Luise fielen ihm gleichzeitig in die Arme.
Richard faßte sich: »Was nennen Sie Tyrannei, Tyrannen? Doch nur Menschen, die sich widerrechtlich, auf ungesetzliche Weise die Herrschaft über ihre Mitbürger angemaßt haben und diese willkürlich ausüben?«
»Eine Definition, die kein Konversationslexikon besser geben könnte«, versetzte der unverbesserliche Vergennes und unterdrückte ein Gähnen.
»Wahrhaftig, dein lieber Neffe sündigt stark auf Kosten seiner Blutsverwandtschaft mit diesem Hause!« raunte Howard zähneknirschend seinem Schwiegervater zu.
»So erlauben Sie mir«, fuhr Richard fort, »Ihnen zu erklären, daß Ihr Ausdruck ganz und gar nicht auf die Verhältnisse unserer Sklaven und ihrer Besitzer paßt. Wissen Sie, wie wir zum Besitz unserer Sklaven gekommen sind?«
»Die Art mag sein, wie sie wolle!«
»Nein! Die Art der Besitzerlangung bestimmt die Rechtmäßigkeit des Besitztitels. Das sollten Sie als Prinzipmann wissen!«
»Oh, das junge Frankreich kümmert sich wenig um Prinzipien, wenn sie nicht gerade in seinen Kram taugen!« meinte Hauterouge.
»Und diese Art?« fragte Vergennes gedehnt spöttisch.
»Sollten Sie auf alle Fälle erst kennengelernt haben, ehe Sie ein so hartes Urteil über eine Nation fällen, deren Gastfreundschaft Sie genießen«, fiel Monteville etwas schadenfroh ein und setzte hinzu: »Monsieur, Sie waren, was wir impoli — ungeschliffen