Charles Sealsfield

Das blutige Blockhaus


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Schnalzen der Lippen und der Zunge. Das war der Fall mit Howards Nachbarn, dem Chevalier d‘Ecars, den Doughby mit einem Satyrslächeln beäugte. Aber Doughby war in diesem Punkt ein Barbar, der weder von Lucullus noch von Apicius gehört hatte.

      Howard hingegen liebte eine wohlbestellte Tafel mit appetitlich weißem Tischzeug, hübschem Eßgeschirr. Um Silber fragte er nicht viel, Sèvresporzellan tat es auch; und das ließ sich hier schauen. Die Aufsätze waren geschmackvoll, die Kühlwannen mit den Flaschen verrieten viel »savoir vivre«, die ganze Anrichtung viel Takt. Feine Servietten auf den Gedecken, zwei Suppennäpfe an beiden Enden nebst einigen bedeckten Schüsseln. In der Mitte ein Aufsatz und hinter den Sesseln ein halbes Dutzend sauber gekleideter Diener.

      Man nahm Platz. Howard saß zwischen seiner Frau und Genièvre Vignerolles, einem allerliebsten Mädchen. Es gab eine Austernsuppe, die Monteville in Entzücken brachte. Es entstand eine kurze Debatte um Suppen, die aber mittendrin abgebrochen wurde, denn die Deckel wurden von den Schüsseln gehoben, und damit nahm der Ideengang eine neue Richtung.

      »Weißt du, lieber Menou, daß sich der neueste gastronomische Grundsatz gegen das Bedecken der Fische wendet?« bemerkte der Graf de Vignerolles.

      Seine fein aristokratischen Züge, der schöne schneeweiße Kopf mit der geistreichen Stirn, leicht gerunzelt, die zarte Gesichtsfarbe mit den lichtblauen, funkelnden Augen hatten Howard schon beim ersten Zusammentreffen ungemein angesprochen.

      »Es kommt darauf an, welche Gattung von Fischen es ist«, versetzte Menou mit dem Gesicht eines Kathedermannes. »Zum Beispiel Soles Seezunge oder frischer Stockfisch, das gebe ich dir zu, aber unsere Sturgeons Stör und Turbots Steinbutt vertragen es nicht.«

      Die Fischunterhaltung wurde durch das Anstoßen der Madeiragläser unterbrochen, worauf eine kurze erwartungsvolle Pause eintrat. Der Übergang zu regerer Tätigkeit wurde durch zwei neue Erscheinungen bewirkt: Green Turtle- und Ringeltauben-Pasteten.

      »Bon!« sagte d‘Ecars.

      »Delicieux!« bemerkte Lassalle.

      Howard versuchte die Schildkrötenpastete. Sonst liebte er sie nicht sehr, denn das Fleisch erhielt erst durch Gewürze seinen Geschmack, und er haßte alles, was Gewürze enthielt. Doch dann kam das wahre Ding, die zweite Tracht, und mit dieser als Einleitung: Canvas-back duck — Wasserenten! Keine europäische Kaisertafel kann ein Gericht so zart, so duftend, so schmelzend aufweisen! Das Fleisch zergeht buchstäblich auf der Zunge, das Fett träufelt über die Lippen, es ist ein wahrer Hochgenuß!

      Tiefe Stille herrschte während der sechs Minuten dieses Schmauses, und Howard hing seinen Gedanken nach.

      Die allerliebsten Tierchen waren in der letzten Nacht im Ocasse-See gefangen worden und daher ganz frisch, was sie auch unbedingt sein müssen. Denn zwei Tage alt haben sie allen Geschmack verloren. Die Seen Louisianas, so höllische Dünste und Dämpfe sie ausatmeten, wimmelten von Fischen und waren ganz bedeckt mit allen Arten von Wasservögeln. Eine Jagd auf dem See bei Natchitoches war der Mühe wert. Der Horizont glich einer dichten Wolke von Wildenten, Gänsen und fliegendem Getier, unter die man nur blindlings hineinzuschießen brauchte, ohne zu zielen. Solch eine Jagd war eine wahre Schlacht, die zwei oder drei Stunden dauerte, und auf der einen Seite von ein paar hundert Schützen geliefert, auf der anderen von Hunderttausenden von Wasservögeln ausgehalten wurde. Erst wenn die Jäger müde und matt waren, nicht mehr laden noch schießen konnten, sammelten sie die Beute, von der in der Regel auf den Mann mehrere hundert Tiere kamen.

      Überhaupt, sann Howard, so wenig man uns im Sommer um unsere Tafeln zu beneiden Ursache hat, so reich, üppig werden sie im Herbst. Der liebe Gott weiß, was seinen Louisianern guttut, und daß vieles Essen im Sommer sie mit Extrapost in sein Himmelreich bringen müßte. Deshalb spart er sich und uns die Freude auf den Herbst und Winter. Aber dieser Herbst und Winter! Das sind ganz andere Herbste und Winter als bei euch im Norden! Ganze Armeen von Zug- und Wasservögeln kommen nun von dort herabgezogen. Unsere Schaltiere, den Sommer hindurch ungenießbar, erlangen ihre Reife. Unser Louisiana ist doch, nehmt es, wie ihr wollt, eine ganz gute ... die beste Welt! Was sind zum Beispiel eure wilden Truthühner im Norden gegen diesen Riesen, wie er da vor uns in seinem Fett schwimmt? Von zwanzig ausgewachsenen Hähnen, die ihr schießt, zerplatzen unzweifelhaft achtzehn im Fallen. Dieser jedoch ist gefangen, denn diese treuherzigen, aber dummen Tiere werden auf unseren Pflanzungen zu Dutzenden in Fallen gelockt, in die sie den Weg — so eng er ist — hinein, aber nicht wieder heraus finden. Ihr Fleisch ist eine wahre Delikatesse, doch ziehen wir ihnen die Schnepfen mit ihren langen Schnäbeln vor. Auch diesen gebührt vor euren nordischen Woodcocks der Vorzug; ich habe nie im Norden einen gefunden, der über sechzehn Unzen wog, wogegen die unsrigen bis zwanzig schwer sind. Sind ein unvergleichliches Verdauungsgericht, das just das Gewürz aufweist, das ich liebe.

      Doch Howard wurde seinen Gedanken entrissen. Die Unterhaltung begann wieder aufzuleben. Es entstand ein Gesumse, aus dem man noch nicht so eigentlich klug werden konnte. Der Chambertin und Chateau Margôt taten ihre Wirkung bei den Franzosen, bei den Amerikanern der Madeira. Doughby hatte seinen Platz am Ende der Tafel, und er war in eifriger Debatte mit d‘Ermonvalle und Vergennes begriffen. Doughby parlierte französisch, Vergennes radebrechte englisch, d‘Ermonvalle gab ein Quodlibet beider Sprachen zum besten. Bald erscholl lautes Gelächter durch den Speisesaal ob der Mißverständnisse, die dabei herauskamen.

      Mit dem funkelnden Champagner wurden die Geister noch lebendiger, stürmischer. Vergennes ließ etwas von seinem französischen Liberalismus, seiner weltbeglückenden Philanthropie hören und fand es grauenhaft, daß in einem Land der Freiheit, das sich mit seiner Aufklärung, seiner Humanität brüstete, die Sklaverei bestünde. Monteville bemerkte dagegen ziemlich gelassen, obwohl ihm die Lippen bereits zuckten, daß die Sklaverei ein altes, seit anderthalb Jahrhunderten eingeführtes und eingewurzeltes Übel wäre, das nur mit der Zeit behoben werden könnte.

      Das gab wieder Vergennes nicht zu. Ein so ungeheures Übel, das die Moral der bürgerlichen Gesellschaft von Grund aus zerstöre, sollte auf der Stelle ausgerottet werden. Die Regierung sollte sogleich eingreifen, die Sklaven freigeben, ihnen Ländereien anweisen, Schulen für sie errichten und so fort.

      »Wir geben unsere Neger frei, sobald ihr uns für die Summen, die unsere Eltern ihr Ankauf und ihre Erhaltung gekostet haben, entschädigt!« erklärte Monteville. »Wir haben notgedrungen, gezwungen durch Frankreichs und Englands Regierungen, unser Kapital, unser Alles in sie hineingesteckt. Wir haben in den südlichen Staaten über zwei Millionen Sklaven bei einer Bevölkerung von etwas über vier Millionen Weißer, in Louisiana allein auf weniger denn hunderttausend Weiße mehr denn hundertundzwanzigtausend Schwarze und Farbige. Die zwei Millionen Schwarzen der elf sklavenhaltenden Staaten — der Kopf im Durchschnittspreis nur zu dreihundert Dollar gerechnet — erforderten eine Entschädigungssumme von sechshundert Millionen Dollar! Wo ist die Nation, die sich und die kommenden Geschlechter mit einer so ungeheuren Schuldenlast beladen würde? Aber selbst wenn die acht Millionen unserer nordischen Mitbürger — denn sie allein müßten die Entschädigung leisten — ihren fünf nachkommenden Generationen diese Schuldenlast aufbürden wollten, wäre dann dem Übel abgeholfen? Könnten sie die tierischste, trägste Rasse des Erdbodens, die einzig durch die Peitsche zur Arbeit angehalten wird, durch eine Befreiungsakte zu tätigen Bürgern umwandeln? Würden diese nicht in den ersten Monden ihrer Freiheit das Spielzeug irgendeines schwarzen Spartacus sein und mit uns einen Kampf auf Leben und Tod beginnen?«

      So beiläufig lautete die Schlußfolgerung Montevilles. Während seiner sprudelnden Rede war er immer heftiger geworden. Unwillig stieß er das Champagnerglas von sich und maß Vergennes mit einem Flammenblick. Der gute Monteville merkte, daß es eine Unbesonnenheit gewesen war, sich in die Widerlegung einer Frage einzulassen, die nach Howards Meinung nie von einem Fremden in Louisiana hätte gestellt werden sollen, weil sie nur die Einheimischen und sonst niemanden anging. Was würde ein französischer oder englischer Fabrikbesitzer sagen, an dessen gastlicher Tafel ein Fremder das Ungeheuerliche der Sklaverei seiner Arbeiter, die riesige Ungleichheit zwischen dem Verdienst des Taglöhners und dem Gewinn des Fabrikherrn aufs Tapet bringen wollte? Weil die nordamerikanischen Staaten frei sind, erlaubt sich jeder Fremde Freiheiten, die er sich in seinem Land herauszunehmen wohl hüten würde.

      Eine