Theophilchen wenig genug übrig.«
»Aber im wesentlichen ist es doch eine erfreuliche Partie, liebe Gottliebe,« warfen die Fräulein von Zehren schüchtern ein. Sie waren magere, eingeschrumpfte alte Jungfern; in ihrer Jugend hatte man ihnen die sich ihnen bietenden Heiratsmöglichkeiten ausgeredet, »damit das Geld nicht aus der Familie gehe«; jetzt lebten sie abwechselnd in Weltsöden und in dem benachbarten adligen Stift zum heiligen Dornenkranze, dem sie angehörten, und die Familie, der man sie einst geopfert, war zu ihrem Götzen geworden. Sie darbten und sparten an allen Ecken, um dem in Theophils hagerer Person verkörperten Begriff dereinst etwas mehr hinterlassen zu können.
Am Abend dieses Tages gab Frau von Zehren in einem der großen Berliner Hotelrestaurants zu Ehren der Verlobten ein Diner, bei dem sie die Zehrensche und Saßmackensche Verwandtschaft vereinigte.
Man konnte sofort erkennen, zu welcher der beiden Familien die Einzelnen gehörten. Die Zehren waren alle dürr und zusammengeschrumpft, die Saßmacken dagegen breit und auseinanderfließend, so daß die ewig hungrig ausschauenden Zehren wie verwitterte Felsen zwischen den weiten Flächen der wohlgenährten Saßmacken hervorragten. Die Herren hatten alle das Johanniterkreuz aus weißem Tuch auf den Frack geheftet; ein paar Damen trugen Diamanten in geschmacklosen Goldfassungen, andere begnügten sich mit Broschen aus Hirschzähnen; Tante Askania und Tante Lidwine aber hatten, wie bei allen ganz feierlichen Anlässen, die blank getragenen Schwarzseidenen angelegt, in denen sie dereinst auch begraben sein wollten, und auf ihren verkümmerten Busen ruhte, gleich einem Symbol der Entsagung, das silberne von einem Dornenkranz umschlungene Kreuzabzeichen ihres Stiftes.
Laute Stimmen hatten sie alle; die Männer sprachen, als kommandierten sie auf Exerzierplätzen, die Frauen, als trieben sie Mägde auf Gutshöfen zur Arbeit an. Papas Stimme konnte Ilse in dem Gedröhne gar nicht vornehmen. Wie fein und schmal er doch mit seinem welken, leidenden Gesicht neben Frau von Zehren aussah! Und Ilse, für die Papa bis dahin eigentlich nur eine entfernte, geheimnisvolle Respektsperson gewesen war, empfand da plötzlich und zum erstenmal ein Gefühl naher Zusammengehörigkeit. Sie hätte dem gern nachgesonnen, aber da stand schon der Onkel Zehren-Kummerfelde – Eiffel-Zehren, wie man ihn nannte – in seiner ganzen Länge auf, klopfte ans Glas und erklärte schnarrend, daß in den hier vertretenen altpreußischen Familien von jeher jedwedes Lebensereignis zuerst einen Blick zum Throne hervorgerufen habe, und daß dieser Geist noch heute in ihnen allen lebendig sei – und in diesem Sinne fordere er die Anwesenden auf, mit ihm zu rufen: Seine Majestät, der König, Er lebe hoch! hoch! hoch! – Alle Anwesenden waren aufgesprungen; die ältere Generation stimmte in das Hoch schallend ein; die jüngeren Herren dagegen schrien eifrig: Hurra, Hurra, Hurra!
Kaum hatte sich der Onkel Zehren-Kummerfelde gesetzt, so erhob sich der Vetter Zehren-Kandau und bewillkommnete die Braut in der »Familie«. Dies Wort mußte sicher mit lauter großen Buchstaben geschrieben sein, so feierlich wurde es ausgesprochen. Und Ilse erfuhr, daß die Zehren viel älter landeingesessen seien als das Herrscherhaus, zu dessen Throne sie bei allen Gelegenheiten emporblickten; sie hörte, wie Thilo und Witold Zehren einst der Schrecken der Straßen gewesen waren, und die Reisenden des Mittelalters Gott mit Zähren um Schutz vor den Zehren angefleht hatten; sie hörte, daß alle Zehrensche Burgen und Güter im dreißigjährigen Kriege zerstört worden seien, und noch heute die Wüste Teufelstrift öde und verlassen an der Stelle läge, wo einst blühende Gehöfte gestanden, die die Kaiserlichen und Schweden niedergebrannt hatten. Das erste Haus, was nach jenen Schreckensjahren von dem einzig überlebenden Zehren, Kaspar Zehren, wieder aufgebaut worden war, hatte er dann »Weltsöden« genannt. Und Segen hatte auf diesem Hause gelegen, es war zum Stammsitz des seitdem weitverzweigten Geschlechts geworden, die jüngeren Linien Zehren-Kummerfelde, Zehren-Kandau, Zehren-Wansen waren aus ihm hervorgegangen. Ja wahrlich, Gottes Verheißung: Dein Same soll sein wie Sand am Meere, war an den Zehren in Erfüllung gegangen! – Sie alle hatten dann als Staatsbeamte und Militärs, vor allem aber als Landjunker, jene kernigen Eigenschaften besessen, von denen man wohl sagen darf, daß die Größe Preußens auf ihnen beruht, erklärte der Redner mit biederer Selbstgefälligkeit, und ihre Frauen hatten sämtlich auch noch zum guten alten Schlag gehört, wo die Frau in den Interessen des Mannes aufgeht und nichts eigenes mehr kennt; eine jede von ihnen hatte auch das Hab und Gut der Familie wacker gemehrt. – Als Schlußeffekt erwähnte dann Vetter Zehren-Kandau, daß ein Ahnherr eine vom Landesfürsten einst beabsichtigte Standeserhöhung abgelehnt habe, weil kein Menschgeborener einen Zehren zu erhöhen vermöchte.
Die Rede sollte eigentlich Ilse gelten, aber es war eine Eigentümlichkeit aller Zehren, daß sie stets auf die eigene Bedeutung zu sprechen kamen, und als der Kandausche Vetter sich setzte, hatte er so viel Rühmliches über »die Familie« gesagt, daß Papa, der nun aufstand und auf sie sprechen wollte, kaum Neues mehr hervorzuheben fand. So entstand denn ein allgemeines Hochrufen und Anstoßen auf das Brautpaar. Dabei fiel Ilses neuer Ring, der die Tendenz hatte herabzugleiten, von ihrem schlanken Finger nieder und rollte auf den Tisch. »Ich glaube, wir müssen ihn wirklich etwas enger machen lassen,« sagte sie zu Theophil, aber Frau von Zehren warf ein: »Trag ihn doch vorläufig auf dem Zeigefinger, denn in Weltsöden sollst du mir schon dicker werden, da rutscht er nicht mehr herunter; Zehrensche Eheringe halten fest.«
Nach dem Essen stand man noch etwas bei Kaffee und Zigarren herum, und es wurde die blöde Glücksstimmung zur Schau getragen, in der sich die Menschen bei Verlobungen nun einmal gefallen, als habe noch niemand je von unglücklich ablaufenden Ehen gehört. Über den Likörgläsern machten Onkel und Vettern mit geröteten Gesichtern allerhand täppische Späße und flüsterten in wohl vernehmlichen stimmen Theophil all die zarten Neckereien ins Ohr, die, nach ihrem ländlich derben Geschmack, der Gelegenheit zu entsprechen schienen. Während dem wurde Ilse von Tanten und Basen gemustert und beurteilt und bekam noch viel über Weltsöden und die Familie zu hören.
Aber es wurde bald aufgebrochen, denn eigentlich war man sich doch ganz fremd. Die des Stadtlärms ungewohnten Landdamen gähnten schon längst verstohlen vor sich hin und sehnten sich, schlafen zu gehen, während die Herren im Gegenteil nur darauf brannten, den Frack mit dem keuschen weißen Kreuze gegen unscheinbarere Tracht zu vertauschen, um dann den angebrochenen Abend in Berliner Lokalen möglichst fidel zu beschließen.
»Heiliger Theophil, du mußt mit!« riefen die Jüngeren.
»Kindings, das schickt sich doch nicht für einen Bräutigam!« warf Onkel Eiffel-Zehren ein.
»Ach was! Nicht wahr, er darf doch? Du gibst ihm Urlaub, Cousinchen?« wandten sich einige Vettern lärmend an Ilse. Und ein ganz junger sagte beruhigend mit verschwommenen weinseligen Äuglein: »wir werden schon auf ihn achtgeben.«
»Achtgeben? Das hat unser Theophil doch nicht nötig,« rief ein anderer.
Während die Gesellschaft noch also im Hotelflur stand, und Mäntel und Hüte aus der Garderobe gebracht wurden, trat von der Straße kommend ein großer, schlanker Mann durch die Drehtüre ein. Sobald er Theophil erblickte, kam er auf ihn zu, und sie begrüßten sich wie alte Bekannte.
»Also Sie sind wieder in Deutschland?« fragte Herr von Zehren, »ich vermutete Sie in Petersburg?«
»Ach nein, von dort bin ich längst fort,« antwortete der Fremde. »Zuletzt war ich in Japan und augenblicklich habe ich einige Wochen Urlaub. – Doch Sie selbst? was führt Sie nach Berlin? ich dachte, Sie lebten jetzt ganz auf Ihrem Gute?«
»Allerdings, seit dem Tode meines Bruders ist das ja meine erste Pflicht,« antwortete Zehren gemessen, »denn nichts kann auf dem Lande die Aufsicht des Herrn ersetzen. Aber ich habe mich verlobt, und meine Mutter hat gerade heute hier ein Familiendiner für uns gegeben. Sie müssen meine Braut kennen lernen,« und sich zu Ilse wendend, sagte er: »Erlaube mir, dir Baron von Walden vorzustellen.«
Der Fremde verbeugte sich tief vor Ilse, und als er sie dann anblickte, fuhr sie plötzlich zusammen. Beinahe erschrocken, wo hatte sie denn schon solche Augen gesehen? und woher kam ihr sein ganzes Wesen so bekannt vor? woran erinnerte er sie nur? – Wie ein verblaßtes, aus weiter Vergangenheit auftauchendes Bild sah sie da, während eines kurzen Augenblicks, das Gesicht des blauen Ritters ihrer frühesten Träume noch einmal vor sich – aber schon war es fern, fern, wie in dichtem Nebel zerflossen. – Glich Herr von Walden etwa jenem? – Seltsam! sie konnte sich jetzt auf die