Elisabeth von Heyking

Ille mihi


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in unser Zimmer gehen.«

      Es war das Zimmer, das Frau von Zehren Ilse geschildert hatte. Nußbaum mit hellbraunem Rips. Über den Gardinen waren Lambrequins aus Straminstickerei angebracht, lila Stiefmütterchen zwischen rehfarben abschattierten gotischen Ornamenten; ebensolche Streifen zierten die Polstermöbel und waren alle Werke von Frau von Zehrens rührigen Händen. Auf der braun und goldenen Tapete hingen Daguerreotypen und Photographien von vielen Zehrens und Saßmackens, die, gegen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, als die ganze bräutliche Einrichtung neu gekauft worden war, selbst auch jung und frisch gewesen sein mochten. Zwischen ihren verblaßten Gesichtern prangten verschiedene eingerahmte Bibelsprüche.

      An einer Wand aber standen ernst und feierlich die beiden in Nußbaum geschnitzten Betten dicht nebeneinander, gemischte Vorstellungen von Altar und Schlachtbank erweckend. Auf dem schneeweißen Kopfkissen des einen Bettes lag, weithin sichtbar, ein Buch.

      »Was ist denn das?« wandte sich Herr von Zehren, darauf weisend, an das derbe rothändige Stubenmädchen, das eben die Vorhänge an den Fenstern zusammenzog.

      »Die gnädige Frau Mutter hat vor ihrer Abreise das Buch auf das Bett der jungen gnädigen Frau gelegt,« antwortete das Mädchen und stapfte mit einem mühsam unterdrückten Grinsen auf dem breiten Gesicht aus dem Zimmer.

      Ilse nahm das Buch und schlug es auf. Theophil schaute neugierig über ihre Schulter hinein, und zusammen lasen sie:

      F. A. Ammon.

      Mutterpflichten.

      Darunter stand in Frau von Zehrens steiler Handschrift:

      »Meiner Schwiegertochter zu Beherzigung.«

      »Ja, ja,« sagte Theophil, »Mama ist wie das Landrecht, sie denkt vor allem an den Zweck der Ehe – na, und weißt du, kleines Ilseken, der ist eben für einen Majoratsherrn auch wirklich verflixt wichtig.«

      Ilse lernte zwei ganz verschiedene Inkarnationen desselben Theophil kennen. Da war der Theophil der Tage, gemessen und würdevoll; in Geste und Tonfall an Kanzel- und vaterländische Vereinsredner mahnend, deren Sätze auf Amen oder Hurra auszuklingen pflegen. Lehrreich und herablassend nannte der sie: »Liebes Kind.« – Und daneben gab es einen ganz anderen Theophil, jenen, der, wie manche Kakteen- und Violensorten, nur mit einbrechender Dunkelheit sein wahres Wesen offenbarte. Sobald die ihm Halt verleihende Tagesgewandung von ihm abglitt, gingen seine ungelenken Glieder wie ausgerenkt auseinander, und mit dem allzu kleinen Kopf auf dem allzu langen Halse und den abschüssigen Schultern glich er dann in seiner Dalbrigkeit einer verliebten Giraffe. Mit heißem Atem in ihr Ohr flüsternd, nannte sie dieser Theophil: »Mein Lutschbonbonchen!«

      Ja, immer genauer lernte sie die beiden so verschiedenen Inkarnationen kennen! Lernte auch beobachten, daß, je ungemessener der eine Theophil sich seinen Gefühlsäußerungen hingegeben hatte, der andere um so feierlicher des nächsten Tages war. Als schäme er sich nachträglich dessen, was er einige Stunden vorher doch Liebe genannt. Als fürchte er, sich durch dies Gefühl zu sehr an Ilse zu verlieren und etwas von der Autorität einzubüßen, die ihm als Mann und Zehren zustand, wie um das Gleichgewicht wieder herzustellen, sprach er dann besonders viel über Pflicht. Von den Pflichten der Regierung zur Erhaltung des so notwendigen Standes der Großgrundbesitzer, von den Pflichten des Geistlichen gegenüber dem Kirchenpatron, von den Pflichten all seiner eigenen Angestellten hatte er ja stets gern geredet; jetzt aber, wo er sich für »eine junge ungefestigte Frau verantwortlich fühlte«, sprach er am allermeisten über »die Pflichten des Weibes«. – Er wußte deren eine ganze Liste, und sie bedeuteten eigentlich nichts Geringeres, als ein völliges Aufgeben jeglicher eigenen Persönlichkeit. Die Selbstauflösung als höchste sittliche Forderung. Das Besessenwerden des einen Menschen durch den anderen, der passive Daseinszweck, dem sich Ausleben dieses anderen zu dienen. – Geschmack, Ansichten, Stimmungen, Sehnsuchten der Frau waren in der Zehrenschen Weltordnung wertlose Faktoren. Die Aufgabe des Weibes bestand darin, möglichst rasch und auf allen Gebieten zur gänzlichen Unterordnung und Anschmiegung an den lebenslänglichen Herrn, den Mann, zu gelangen. – Mit weihevollem Augenaufschlag nannte Theophil dies alles zusammenfassend »das Aufgehen in den Interessen des Mannes«. – Als Gegenleistung stellte er Ilse den etwas vagen Begriff in Aussicht, »sie in Ehren halten zu wollen«, wie es einem deutschen Edelmann gezieme und schon Tacitus an den alten Germanen rühme.

      Es war kein leichter Kursus, den die kleine Ilse bei diesem Lehrmeister durchmachte!

      Und doch sagte sie sich, daß alles, was die Tage brachten, vielleicht zu ertragen gewesen wäre. Aber sie lernte ja auch den Ekel vor sich selbst kennen und die brennende Sehnsucht, irgendeinen Winkel auf Erden zu besitzen, wo man sich gegen jedermann einschließen und wieder »ich« sein darf. Das späte Einschlafen bei verhaltenem Schluchzen kannte sie, den immer wiederkehrenden Traum, daß es ja alles gar nicht wahr sei, und dann das Entsetzen beim Erwachen, es doch alles wahr zu finden.

      »Nur noch Pflichten« hatte sich die kleine Ilse einst gewünscht, nach jener ersten Lebensenttäuschung, die ihrer ahnungslosen Jugend beschert worden – wenige Monde nur war das her, heut aber dünkte sie ihr ganzes damaliges Empfinden in graue Fernen gerückt, heut, wo sie erfahren, daß es Dinge gibt, die, sobald sie Pflicht scheinen, Erniedrigung bedeuten. – Sie sagte sich dies alles aber nicht gleich so deutlich, denn während dieser ersten Zeit ging sie wie verstört umher in dem neuen fremden Leben, erst allmählich dämmerte es in ihr auf, daß sie grausam betrogen worden war. »Hätt ich das alles gewußt, ich würde nie ja gesagt haben,« dachte sie und erschrak, daß sie es dachte. Denn ach, wie sollte sie es nur anfangen, dies Leben zu ertragen, das eigene Unwissenheit und Irrtum anderer in falsche Bahnen gelenkt und das so unabsehbar lang vor ihr zu liegen schien?

      Die verregneten chinesischen Laternen, die Festgirlanden mit den säuerlich riechenden rosettenartigen Georginen waren abgenommen worden. Mamsell hatte ein großes Reinmachen veranstaltet; in Holzpantinen wateten dabei die Mädchen durch das Seifenwasser, das sich über die Steinfliesen des Flures ergoß; mit Waschen und Wischen, Schütteln und Klopfen wurde der Dämon Staub vertrieben. – Und dann war die gnädige Frau Mutter zurückgekehrt. Theophil hatte sie von Sandhagen abgeholt. Nun war der Platz am oberen Ende des Eßtisches wieder besetzt. Und nicht er nur. Frau von Zehren füllte das ganze Haus. Sie füllte es mit ihrer Stimme und mit ihrer rastlosen Emsigkeit. In die verborgensten Winkel drangen ihre kleinen tückischen Augen, und vom eigenen Sohn bis zur letzten Magd im Schweinestall prüfte ein Jeder, ob nicht geheime Schuld sein Gewissen drücke.

      Ilse mußte der Schwiegermutter überall folgen, treppauf, treppab, vom Boden bis zum Keller, durch die Wirtschaftsräume, Vorratskammern, Waschküche und Ställe. Für den nahenden Winter gab es da so viel vorzubereiten, als ginge man einer Belagerung entgegen, lauter Dinge, von denen Ilse im kleinen städtischen Haushalt Greinchens nichts geahnt hatte. »Ahnungslos« war ja überhaupt das Wort, das Frau von Zehren in ihrem Innern oft wiederholte, als endgültiges Urteil über die kleine zierliche Schwiegertochter, mit den großen erschrockenen Augen. Sie gab sich auch nicht viel Mühe, Ilse zu unterweisen, denn es war so viel leichter, die Dinge, wie seit Jahren, mit Mamsell selbst weiter zu besorgen. Aber dabeistehen sollte Ilse, darin lag ein für ungefestigte Jugend heilsamer Zwang; sie sollte nicht etwa persönlicher Anlage folgend, eine eigene unabhängige Tätigkeit suchen, denn das wäre der gestrengen Frau von Zehren als Zeitvergeudung erschienen, als Mißachtung des geheiligten Begriffes »in den Interessen des Mannes aufzugehen«.

      So schaute denn Ilse zu, wie Mamsell im Obstkeller Birnen und Äpfel auf langen Borden ausbreitete und aus den Mottenkisten Winterdecken hervorholte, die weithin einen tränentreibenden Duft von Naphthalin, Pfeffer und Tabak verbreiteten. Eine unheimliche Handlung des häuslichen Kultes, der Ilse mit fasziniertem Interesse folgte, war auch das Zerhacken der großen Zuckerhüte in unregelmäßige Stücke; sie zitterte bei jedem Schlag um Mamsells Finger, und das Knirschen des Zuckers gemahnte sie an Eis, aus dem sich Nordpolfahrer Hütten bauen. Aber das Schlimmste dünkten Ilse doch die Schlachttage – da hob sich ihr das Herz, wie damals in der Geschichtsstunde, wo die Menschenopfer der Azteken geschildert wurden, ein dunkler Strudel tat sich vor ihr auf, der sie unentrinnbar hinabzog – sie konnte einfach nicht dabeibleiben.

      Und das also waren die großen Pflichten? Sie sollten das Leben füllen? sie und die Schrecken dunkler Stunden?

      Ob