gekannt, der später in Hamburg Jollenführer war?«
»Will's meinen, Kaptein; habe mehr als einmal die Back mit ihm geteilt.«
»War's ein zuverlässiger, ehrenwerter Mann?«
»Nu, Kaptein, er war ein guter Schiffsmaat, nichts gegen zu sagen, nur mit der Wahrheit nahm er's nicht ganz genau, war mitunter ein Leichtfuß.«
»Hast du ihn denn auch noch als Jollenführer gekannt?«
»Habe ihn immer gesehen, wenn ich in St. Pauli vor Anker lag. War ein drolliger Kauz geworden, hatte seine fixe Idee. Nach dem dritten Glas Grog faselte er stets von einem Schatz, den er irgendwo verborgen wußte, und schimpfte auf die Dummheit der Menschen, die ihm nicht die Mittel geben wollten, ihn zu heben, das wußte der ganze Hafen und amüsierte sich daran.«
Das klang, was die Aussagen des Evers anging, nicht gerade tröstlich.
»Kennst du den Namen Isenhoit?«
»Habe den Namen wohl nennen hören, zählten ehemals zu den großen Hansen, die Isenhoits.«
»Von einem Konsul dieses Namens, der vor Jahren mit dem Schiff zugrunde gegangen, hast du nichts gehört?«
»Kann mich nicht besinnen, Kaptein, muß all lange her sein.«
Da bis auf die nicht tröstlichen Mitteilungen über die Zuverlässigkeit des Evers zu der Sache, welche Findling ihrer Eigenartigkeit wegen interessierte, nichts Wichtiges aus ihm herauszubekommen war, verabschiedete er ihn.
Der Wind war allgemach eingeschlafen und nach kurzer Zeit herrschte völlige Windstille. Luft und Wasser waren so ruhig, daß die Segel matt herniederhingen. Auch die Grundströmung machte sich hier in der Binnensee nur wenig bemerkbar.
Der »Roland« schaukelte sich leicht auf und nieder wie ein Kahn auf einem Teich.
Findling wußte, daß Windstillen in diesen Gewässern oft tagelang anhalten. Die Harafurasee ist eingeschlossen von hoch aufragenden umfangreichen Inseln und liegt nicht in den Linien, welchen die großen Luftbewegungen folgen. Dieses erzwungene Stilliegen war ihm wenig angenehm.
Gegen Norden zeigten sich dem Auge, nur wenige hundert Faden entfernt, zwei anmutig gestaltete, bewaldete Inseln. Ein reiches Tierleben schien dort heimisch zu sein, denn zahlreiche Wasservögel belebten die kleinen Buchten, Papageien und andere buntgefiederte Waldbewohner schwangen sich auf den Zweigen umher.
Zu Henrik, der neben ihm am Vollwerk stand, sagte Fritze, der wie sein Gefährte bewundernd auf das Tropenbild schaute: »Du, wat meenste, Hamburger, wenn wir so een paar von die Paradiesvögel mit nach Hause bringen könnten, det wär' aber 'n Jux vor die janze Reezenjasse.«
Auch in Henrik war die Sehnsucht lebendig, eine Erinnerung an diese farbige Tropenwelt mit hinwegzunehmen, und er äußerte die Absicht, um Erlaubnis zu bitten, an Land gehen zu dürfen.
»Denn bitte aber vor mir ooch, ick möchte meine Beene mal gehörig vertrampeln.«
Die Mütze in der Hand, nahte sich Henrik dem Hinterdeck.
»Komm her, was willst du?« rief ihm Findling entgegen.
Henrik trat vor ihn und sagte mit seinem einnehmenden Lächeln: »Ich möchte um die Erlaubnis bitten, einige von den Enten und Papageien dort für den Herrn Kapitän schießen zu dürfen.«
»O wie liebenswürdig, und der Herr Horsa möchte natürlich auch einige von jenen Papageien mit nach Hause nehmen?«
»Ja, Herr Kapitän – dort würde es große Freude bereiten. Auch Fritz Fischer sehnt sich danach, seiner Mutter Sonntagshut mit einem echten Paradiesvogel zu schmücken.«
Findling stand auf, ließ seinen Blick über den Horizont schweifen und sagte dann freundlich: »Nehmt die Jolle, Jungs, und geht an Land. Der Schneider darf mit. Bei dieser See kann jedes Kind rudern.«
Diese Erlaubnis enthielt für die beiden jungen Leute die Aussicht auf ein seltenes Vergnügen. Die Jolle ging nieder, Findling gab Henrik seine eigene Doppelflinte sowie Patronen mit Dunst und grobem Schrot, und vergnügt ruderten der Hamburger und Fritze nach der nahen Küste. Zwei Stunden Urlaub hatte ihnen der Kapitän bewilligt. Henrik war ein vortrefflicher Schütze und erlegte schon vom Boot aus zwei Enten. Sie landeten, legten die Jolle fest und begannen sich nun nach den bunten Vögeln umzuschauen, die zahlreich die Uferbäume belebten. Besonders erregte ein seltsamer Vogel, dem vom Haupt zwei lange, dünne, auffallend gestaltete Federn, länger als der ganze Körper, herniederhingen, nicht nur Fritzes, sondern auch Henriks bewunderndes Staunen, der weder in den berühmten Vogelsammlungen seiner Vaterstadt, noch in ornithologischen Werken ähnliches gesehen hatte.
»Du, Hamburger«, schrie der entzückte Berliner, »von die schieß ein paar. So 'n Ding soll de Alte un de Line uff'n Hut haben, wenn wir Sonntags zu'n Jrunewald jehn, denn platzt awer de olle Piefken vor Neid und Jalle.«
Henrik schoß nach einem schönfarbigen langgeschwänzten Papagei, traf ihn auch, aber der Knall erregte einen furchtbaren Aufruhr in der Vogelwelt; wild flatterte alles von Ast zu Ast und erhob mißtönendes, betäubendes Geschrei. Da die schönen Vögel nach mehreren gut gezielten Schüssen scheu wurden und nicht mehr aushielten, folgten ihnen die beiden Jünglinge in den Wald.
Zum erstenmal sahen sie sich staunend von den Wundern der Tropennatur umgeben, die sie bis jetzt nur von fern erschaut hatten. Seltsame, nie gesehene Pflanzen, farbenprächtige Blüten von wunderlichen Formen, mit denen große Schmetterlinge an Glanz und Schönheit wetteiferten, Schlinggewächse, die sich von Baum zu Baum in kühnen Windungen hinzogen, dichtbelaubte Waldesriesen, welche zum Himmel aufragten, andere, welche niedergesunken am Boden der Vernichtung entgegengingen, boten sich ihren staunenden Augen; die feierliche Stille, das düstere Halbdunkel unter den Bäumen, welches nie ein Sonnenstrahl zu erhellen schien, dies alles erfüllte das Gemüt der jungen Leute mit Schauern der Ehrfurcht. Wie in eine Märchenwelt fühlten sich die Kinder des Nordens versetzt, in jene phantastische Welt, welche in ihre Kindesträume hereinragte.
»Det is aber wirklich scheene hier«, nahm endlich Fritze das Wort, »det is doch noch anders wie der Tierjarten. Nur 'n bißchen duster is et.«
»Es ist die Tropenwelt in ihrer ganzen Pracht und Macht«, sagte Henrik in staunender Bewunderung.
»Ja, scheene is et, aber 'n bißchen kellerig mang die ollen Bäume, meenste nich?«
Henrik, in den neuen und überwältigenden Anblick versunken, antwortete nicht. Fritze, bei dem der Eindruck dieser so überreichen Vegetation weniger tief haftete, sagte dann: »Aberst, nu laß uns 'n paar von die Paradiesvögel schießen, det wir ooch wat mitbringen.«
Sie schritten in den Wald hinein, bahnten sich ihren Weg durch Büsche und Schlinggewächse, überkletterten morsche Bäume und stiegen allgemach höher und höher an der Berglehne empor. Es gelang Henrik, zwei von den ersehnten Vögeln zu schießen, und dann dachte der besonnene Jüngling an den Heimweg, den er nach dem kleinen Kompaß an seiner Uhr bestimmte. Sie stiegen mit ihrer Beute bergab, um die Meeresküste zu gewinnen, als ein heftiger Donnerschlag sie plötzlich aufschauen ließ. Der Himmel war ihnen durch das dichte Laubdach verdeckt und ein Luftzug, hier im dichten Urwald, nicht zu spüren. Henrik erschrak über diese jähe Veränderung des Wetters, die sicher von starker Luftströmung begleitet war, und setzte eilends seinen Weg fort. Unter großen Anstrengungen erreichten sie nach einer halben Stunde den Strand und sahen den mit grauem Dunst überzogenen Himmel über sich. Die See zeigte Bewegung, und von Osten blies es scharf. Das Auge suchte das Schiff. Dort stand es wohl drei Meilen weit unter kurzen Segeln und lavierte hin und her. Es war klar, der sich erhebende Ostwind hatte es von der Insel abgetrieben, während sie im Wald weder die Sonne sahen noch einen Lufthauch spürten.
Henrik war bereits erfahren genug, um zu wissen, daß es gelte, den »Roland« vor dem Ausbruch eines schweren Wetters zu erreichen, solange er noch am Wind segeln konnte.
»Vorwärts!« rief er und lief nach der Stelle zu, wo die Jolle lag. Glücklicherweise führte diese immer Mast und Segel mit, so auch jetzt. Kräftig hob er den Mast empor und setzte ihn ein, Fritze befehlend, die Schote des Klüvers zu festigen,