Franz Treller

Der Sohn des Gaucho


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dem Druck der Fesseln zu schmerzen. »Was meinst du, Pati«, fragte er, »wirst du die Tür einstoßen können? Sie ist, wie ich bemerkt habe, mit einem Holzriegel verschlossen.«

      Der Mann vom La Plata lachte. Er hatte oft zum Staunen aller Hafenarbeiter spielend die schwersten Lasten bewältigt. »Ich glaube nicht, daß es schwer sein wird«, sagte er.

      »Kannst du deine Fesseln zerreißen?«

      »Ich denke schon«, sagte Pati, »aber ich möchte es noch nicht tun. Wir könnten noch Besuch bekommen.«

      Es war inzwischen fast dunkel in dem engen Raum geworden; ein Blick durch die Luken zeigte, daß bereits Sterne am Himmel standen.

      »Wir können nicht mehr warten«, sagte Juan. »Mich schmerzen die Handgelenke. Kommen wirklich noch Leute, werden wir die Arme vielleicht brauchen. Versuche, deine Hände freizumachen.«

      »Gut«, sagte Pati, »wie gesagt, ich glaube nicht, daß es schwierig ist.« Er ließ seine gewaltigen Muskeln spielen; sein Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung, aber es währte kaum eine Minute, bis der Strick mit einem dumpfen Laut platzte.

      »Meine Anerkennung!« sagte Don Juan. »Nun befreie meine Hände.«

      Der Bootsmann rieb zunächst erst mal die seinen; es dauerte ein Weilchen, bis das Blut wieder richtig zirkulierte. Dann löste er mit ein paar Griffen den Strick, der die Hände des Gaucho auf dem Rücken zusammenschnürte.

      »So«, sagte Don Juan, seine Hände reibend, »nun gefällt mir der Aufenthalt hier schon besser. Schade, daß die Verpflegung zu wünschen übrig läßt. Wie ist es, mein Prinz aus Feuerland, wirst du bei Nacht auch das Kanu wiederfinden? Den Landweg möchte ich unter den veränderten Umständen erst recht nicht riskieren.«

      Das Kanu fände er jederzeit wieder, sagte Pati.

      »Ausgezeichnet«, versetzte der Gaucho. »Dann fehlt mir nur noch mein Lasso, mein Zaumzeug und mein Messer zu meinem Glück, und wenn es angeht, auch noch Sattel und Karabiner.«

      »Wir werden uns holen, was wir brauchen«, sagte Pati gleichmütig.

      »Ja, und die ganze Estancia in Aufruhr versetzen«, knurrte Don Juan, »und uns ein Dutzend dieser verwünschten Vaqueros auf den Hals hetzen! Na, laß uns nur erst auf dem Fluß sein, dann werden wir weitersehen. Komm, mein Goldsohn, heb mich doch mal zu einem dieser Luftlöcher hoch, ich möchte ein bißchen Umschau halten.«

      Pati hob den Gaucho hoch, als sei er ein Kind, und Juan sah zuerst zum Parana hinüber; er hatte sich die Lage des Blockhauses genau gemerkt, bevor man sie einsperrte. Er vermochte aber außer dem schattenhaft sich hinziehenden Waldsaum nichts zu erblicken. Auf der anderen Seite standen, wie an dem Lichtschein zu erkennen war, im Feld verstreut einzelne Häuser, dahinter sah er die erleuchteten Fenster des Herrenhauses; ein lebendiges Wesen war nirgends zu erkennen.

      »Wie wär‘s, wenn du versuchtest, zwei von diesen Ketten hier loszubrechen«, sagte er, nachdem er wieder auf dem Boden stand, »sie würden eine gute Waffe abgeben, und wir wissen noch nicht, was kommt.«

      Der Gaucho schien der Meinung, daß Patis Händen kein Werk unmöglich sei, und tatsächlich hatte er sich auch diesmal nicht getäuscht. Mit einiger Mühe gelang es dem Rotkopf, zwei Ketten aus ihren Verankerungen zu lösen. »Jetzt ist mir bedeutend wohler«, sagte der Gaucho befriedigt und wog das schwere Eisen in der Hand. »Aber noch. ist es zu früh, einen Spaziergang ins Freie zu unternehmen«, fuhr er fort; »wir wollen die Leute erst einschlafen lassen.«

      Sie ließen sich nun auf dem Fußboden nieder und horchten schweigend in die Dunkelheit hinein, dann und wann einen Blick durch die Luken nach den Sternen werfend. Als Juan meinte, es sei spät genug, einen Befreiungsversuch zu wagen, ließ er sich noch einmal zu einer der vergitterten Öffnungen hinaufheben. Im Herrenhaus war noch Licht, die Arbeiterhäuser lagen im Dunkel. Plötzlich, er wollte sich schon wieder herunterheben lassen, glaubte Juan Pferdegalopp zu vernehmen. Er lauschte angestrengt, sein Auge vermochte nichts zu erblicken, aber das Geräusch wurde deutlicher. »Zwei Pferde«, flüsterte er, »sie kommen heran. Laß mich herunter, Pati.« Er glitt zu Boden. »Zwei, Pati«, sagte er, »sie kommen hierher. Einer für dich, einer für mich. Da kommen Sättel, Lassos und Pferde gleichzeitig. Komm, lege dir den Strick um die Hände, behalte die Kette in Griffnähe, möglich, daß wir sie brauchen.«

      Schon ließen sich draußen Stimmen und gedämpfter Hufschlag vernehmen. Gleich darauf sprangen die Reiter ab, der Riegel wurde zurückgerissen, die Tür flog auf; im Halbdunkel des Rahmens wurde eine Gestalt sichtbar. »Kommt her, Männer!« sagte eine grobe Stimme.

      »Was wollt ihr mit uns?« fragte Juan, und es hörte sich wahrhaftig an, als zittere er vor dem Strick.

      »Einen kleinen Spaziergang machen, Compañero«, sagte der Mann. »Nun, wird‘s bald!« rief er mit umschlagender Stimme in das Dunkel des Raumes hinein, »oder soll ich euch mit dem Lasso auf die Beine helfen?«

      Die beiden Gefangenen näherten sich der Tür; sie hatten die Hände auf dem Rücken.

      »Na also, amigos, da seid ihr ja«, sagte der Mann. »Nimm du den dicken Burschen da an den Lasso«, rief er seinem Gefährten zu, »ich nehme den Caballero aus der Pampa.« »Komm her, Bursche!« rief der andere Reiter Pati zu, und der folgte gehorsam. Sie hatten noch immer die Hände auf dem Rücken.

      Die Männer schwangen sich in den Sattel und machten den Lasso frei, um ihn über die Gefangenen zu werfen. »Los!« sagte Juan.

      Wie vom Blitz getroffen flogen beide Reiter von den Pferden. Juan versetzte dem, der ihn hatte fortführen wollen, einen Faustschlag, daß ihm augenblicklich die Sinne schwanden; bei dem anderen hatte Patis Zugriff schon genügt, ihn mundtot zu machen.

      »Hast du ihn?« fragte Juan.

      »Ich denke, daß es reicht«, sagte Pati.

      Tatsächlich waren, wie sie sich gleich überzeugten, beide Männer ohnmächtig. Sie nahmen ihnen die Messer ab und banden ihnen die Arme auf dem Rücken zusammen. Der Vorsicht halber rissen sie Stücke von einem der Ponchos und stopften die Knebel den Männern zwischen die Zähne.

      »Zu Pferde, mein Goldsohn!« sagte Don Juan.

      Beide schwangen sich in die Sättel. Juan legte nach Gauchoart sofort den Lasso wurfbereit. Da schallte eine tiefe dröhnende Stimme über das Feld: »Wo bleibt ihr Halunken? Wie lange soll ich noch auf euch warten?«

      »Oha!« sagte Juan, »der Herr wünscht uns persönlich zu sprechen.«

      Hufschlag dröhnte auf, ein Reiter sprengte heran. Im gleichen Augenblick flog der Lasso. Trotz des mangelhaften Lichtes erreichte er sein Ziel und riß den völlig überraschten Estanciero aus dem Sattel.

      »Halt mein Pferd, Pati«, sagte Juan und stand schon auf den Füßen. Er untersuchte den von seinem Lasso umschnürten, regungslos daliegenden Mann, entnahm seiner Brusttasche eine kleine Pistole, befreite ihn von dem Lasso und versetzte dem Pferd Don Franciscos einen Streich, der es in wilder Flucht davonjagen ließ. Dann schwang er sich wieder in den Sattel.

      »Wer seid ihr?« fragte der noch immer fassungslose Estanciero, »wollt ihr mich ermorden?«

      »Nein«, entgegnete Don Juan mit erhobener Stimme, »du sollst nicht gemordet, du sollst gerichtet werden, Francisco de Salis. Ich sehe dich wieder, und dann werde ich dich zu Boden schlagen, daß du dich nicht wieder erheben sollst, Frauenmörder! Vorwärts, Pati!«

      Rasch gewannen beide die Straße und sprengten nach Norden zu. Nach knapp einstündigem Ritt verhielt Pati sein Pferd und deutete nach rechts auf den dunklen Waldsaum, der ununterbrochen die Ufer des Parana begleitete. »Dort«, sagte er, »dort liegt das Kanu.«

      »Woran siehst du es?«

      »An den drei Pinos da drüben.«

      »Gut«, sagte der Gaucho. Sie sprangen aus den Sätteln. Aufmerksam lauschten sie nach Süden, aber kein Hufschlag zeigte an, daß sie verfolgt würden.

      »Sättel, Zäume, Lassos mit ins Boot«, sagte Juan. Er brach einige Disteln, die zu seinen Füßen wuchsen, und brachte sie unter die Schwanzwurzeln der Pferde. In wilder Flucht jagten die, wie von der Tarantel gestochen,