und gezeigt und gefragt und getan; beim stillen Eingangsgebet in der Fensternische hätte er gesagt, was jener Bauernjunge vom Osterende gesagt hatte, als er seinen Vater in den Hut gucken sah: Du, Vatter, lot mi ok mol innen Hot kieken! Den Klingelbeutel hätte er in den Händen gewogen und ausgerufen: Junge, Junge, Vadder, dor is ober plenni Monne in! Und Geeschen Witten hätte er laut gefragt: Diern, Geeschen, wat schreest du? Hest du dien Ontjen woll nix to freten geben? Wenn er aber zur Ruhe ermahnt worden wäre, hätte er geantwortet: Ick bün förn Pastur ne bang, Vadder! – oder eingewendet: de lebe Gott is ne bi Hus, Vadder, de kann mi nix seggen!
Es war weder vorwärts noch rückwärts aufzuzählen, was er alles angerichtet hätte, und es war besser, daß er draußen seine Wache abreißen mußte.
Der Seefischer lachte in sich hinein.
Als sie vor der Kirche angelangt waren, hatte Jochen Rolf sich zu ihnen gesellt und schalkhaft-ernst gemeint: Wenn der Junge mit hinein wolle, müßten ihm wohl erst die Taschen durchsucht werden, damit er keine Steine bei sich behalte und sie dem Küster an den Kopf werfe. Solle er aber draußen bleiben, dann wäre nur zu wünschen, daß der Pastor es kurz und knapp mache, damit der Junge nicht die Geduld verliere und alles in Brand stecke. Worauf der Vogel Bunt die Kirche von oben bis unten angeguckt und dann ernsthaft erwidert hatte, die brenne ja gar nicht, weil sie ganz aus Stein gemacht sei. Da war dem Seefischer ein köstlicher Einfall gekommen, er hatte den Jungen bei der Hand genommen und ihn neben die Kirche gelotst, ihm dort einen Apfelbaum und einen Birnbaum gezeigt und ihm gesagt, der eine sei der Großmast und der andere der Besanmast, und zwischen ihnen sei der Fischewer, und rechter Hand sei Steuerbord und linker Hand sei Backbord. Dat brukst mi ne to vertillen, hatte der Junge geeifert, dat weet ik jo all lang! Na, dann solle er aufpassen, war des Seefischers Entgegnung gewesen, er wolle einmal ausfindig machen, ob der Junge schon etwas könne, ob er schon zu etwas zu brauchen sei; darum solle er auf dem Ewer zwischen den Bäumen Wache gehen wie auf See in der Schollenzeit, zwei Stunden hindurch. Der Kompaß läge Nordwest an: Er solle darauf achten, daß er nicht aus dem Kurs komme, solle aufpassen, daß die Segel immer voll Wind seien und nicht klapperten, und guten Ausguck halten, damit er keine Haverie mit anderen Fischewern habe. Der Junge hatte wie ein Großer genickt und war von Herzen damit einverstanden gewesen, er hatte sogleich das Deck mit großen Schritten ausgemessen, hatte Großmast und Besan mit den wirklichen Masten verglichen und den Kopf in den Nacken geworfen und die Äste auf ihre Eignung als Giekbaum und Gaffel geprüft.
»Van Burd dött ik ober doch ne gohn, ne, Vadder?« hatte er noch gefragt.
»Och du Dösbattel«, war des Seefischers Erwiderung gewesen, »kannst du ok van Burd gohn? Büst doch up See, is doch all Woter üm di rüm.«
»Is ok jo wohr! Wat is Seemann denn?«
»Seemann?« Klaus Mewes hatte den struppigen Hund ergriffen und an den Birnbaum gesetzt. »Sitten blieben, Seemann! Dat is dat witte Nachthus, Störtebeker, un sien Nüff, dat is de Kumpaß.« Nun wisse er wohl alles; er brauche nicht immer am Ruder zu stehen und das Helmholz festzuhalten, sondern könne geruhig auf Deck hin und her gehen, wie die Fischerleute es täten, hatte der Seefischer geschlossen und war in die Kirche getreten, während der Junge unter dem Geläut der Glocken und dem Gebraus der Orgel an seine erste Schiffswache gegangen war.
Jetzt war Bodemann schon mitten in der Predigt, und der Junge ging immer noch ernst und wachsam zwischen Apfel- und Birnbaum auf und nieder, als ob er wirklich an Bord sei, denn er wollte beweisen, daß er schon groß genug wäre und allein die Wache gehen könne. Er wollte zeigen, daß er schon mit der See klarkommen könne, damit sein Vater ihn im Sommer mit auf den Ewer nahm, wie er ihm versprochen hatte. Wie nach Segeln blickte er nach den Zweigen hinauf. Einen Buchfink, der im Wipfel des Apfelbaumes saß, ließ er sich als Flögel gefallen. Er hatte die Hände nach Fischerart tief in die Hosentaschen gesteckt und pfiff gefühlvoll vor sich hin, spuckte auch einmal großartig in die See hinein, als wenn er bange sei, daß er kein Wasser genug habe und aufs Trockene komme.
Es schien stürmisch zu sein, denn alle Augenblicke wehte ihm das weiße Nachthaus über Bord, sei es, weil eine Ratte über den Graben schwamm oder weil sich eine Katze auf der Wurt des nahen Bauernhofes sonnte. Junge, was war das für ein Stück Arbeit! Was sollte der Wachhabende tun? Nachlaufen konnte er nicht, denn ringsum war Wasser, das keine Balken hatte; er verlegte sich deshalb auf Rufen und Pfeifen, und wenn es nicht half, dachte er schließlich: Och wat, nu jump ik eenfach ober Burd. Ik kann jo swümmen – und lief nach der Wurt oder nach dem Graben, ergriff sein Nachthaus und schleppte es zurück, wobei er pustete, als wenn er wirklich im Wasser sei, stellte es wieder an den Birnbaum und sagte: »Du müß sitten blieben, Seemann, ans hebb ik keen Kumpaß!« Dann guckte er verstohlen nach den Kirchenfenstern hinauf, denn er war sich nicht ganz sicher, ob er über Bord springen durfte.
Klaus Mewes sah es wohl und högte sich über ihn, während ihm das Blut, das die Sonnenstrahlen geweckt hatten, heftig und stark in den Schläfen klopfte. Das war sein Junge, der kleine Mann mit den hellen Haaren, den blauen, nordischen Augen und dem wettergebräunten Gesicht, der eine graue, wollene Matrosenmütze aufhatte, um den Hals ein schottischbuntes Tuch trug, einen weißblauen Buscherump und eine marineblaue Büx anhatte und auf braunen Segeltuchschuhen ging wie ein Janmaat, der auf Freiwache ist und sich landfein gemacht hat. Das war sein Junge! Wer den so gehen und stehen sah, dem mochte wohl das Gedicht von Uhland einfallen: Jung Siegfried war ein stolzer Knab… Durch die Brust seines Vaters brauste ein solches Lied, das die Orgel übertönte.
Wieder nahm Klaus Mewes sich freudig und heilig vor, einen Fahrensmann aus ihm zu machen, einen Seefischer, einen so furchtlosen und verwegenen wie Finkenwärder noch keinen gehabt hatte. Noch diesen Sommer wollte er ihn mit nach See nehmen, ob auch die Mutter weinte und die Leute den Kopf schüttelten. Lachend wollte er ihnen trotzen, denn er war es nicht gewohnt, auf andere zu hören, weder an Land noch auf See. Wie seinen Ewer, so steuerte er auch sein Leben selbst.
Ja, Klaus Störtebeker sollte ein Fischermann werden!
Der Junge hieß Klaus Mewes wie er selbst, aber das ganze Eiland, mit Ausnahme von Gesa, nannte ihn Klaus Störtebeker, einmal, weil er wirklich ein großer Strömer und Liekedeeler war, ein Brite und Tunichtgut, dann, weil sein grüner Kahn diesen Seeräubernamen an Steven und Gatt trug, schließlich auch wegen des Großvaters, dem er noch ähnlicher sehen sollte als seinem Vater, wie die alten Leute behaupteten, der auch Klaus Mewes geheißen hatte, wegen seines Freibeutertums aber allgemein Störtebeker genannt worden war. Was den kleinen Klaus Mewes betraf, so war der mit seinem Seeräubernamen so einverstanden, daß er auf seinen wirklichen nicht mehr hörte; rief einer Klaus, so sagte er: Klaus gifft en ganzen Barg! Nannte ihn einer Klaus Mewes, so erwiderte er: Dat is mien Vadder, du anner! Erst bei Störtebeker ließ er sich ermuntern und antwortete.
Klaus Mewes freute sich. Wie treu der Junge Wache ging, wie genau er das Deck abmaß! Da war kein Schritt zu viel und keiner zu wenig. Wenn er sich beim Birnbaum umdrehte, vergaß er niemals, nach dem Kompaß zu sehen und die Segel zu prüfen, wenn er beim Apfelbaum angekommen war, spähte er luvwärts und leewärts über die See. Mit großem Behagen und einiger Verwunderung bemerkte der Seefischer diese Einzelheiten, die ihm sagten, daß der Junge ihm und den anderen Fahrensleuten schon viel mehr abgeguckt hatte, als er glauben wollte. Nichts störte den kleinen Fischer, der wußte, daß er auf See war und kein Land in Sicht hatte, und der sich weder um die vorbeigehenden Kinder kümmerte noch den vorüberrollenden Wagen nachlief.
Daß der Seefischer bei diesem Ausguck viel von der Predigt hörte, war nicht zu verlangen; er wurde kaum gewahr, daß der goldene Stern oben an der Orgel klingend lief, einem Hochzeitspaare zur Feier, und hätte sogar den Klingelbeutel übersehen, wenn der ihm nicht direkt unter die Nase gehalten worden wäre. Nur der Gesang lenkte ihn eine Zeitlang von seinem Jungen ab, denn es brauste gewaltig durch die Kirche: Krist Kyrie, komm zu uns auf die See! Im Innersten ergriff es ihn, denn das war kein Gesang mehr. Wie ein weher Ruf, wie ein todesbanger Schrei hörte es sich an und schlug wie Meereswogen um die kahlen Pfeiler, es war, als wenn die Stürme sich wieder erheben und die See und die Herzen aufwühlten, die Segel und die Seelen zerrissen, als wenn Geisterlaute, die Stimmen der Ertrunkenen, der Verschollenen, sich hineinmischten. So furchtbar drückte der Küster auf die Tasten, der an seinen gebliebenen Sohn dachte, so übermächtig sangen die Fahrensleute.
Klaus