Gustav Weil

Tausend Und Eine Nacht


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ganz entstellt. So wandelte ich traurig durch die Stadt, ohne zu wissen wohin. Endlich kam ich vor einem Schneiderladen vorüber; ich grüßte den Schneider, der mich bewillkommte, und Spuren früheren Wohlstandes an mir entdeckte. Er hieß mich sitzen, und da ihm meine Unterhaltung gefiel, erkundigte er sich nach meinen Verhältnissen, und als ich ihm alles, was mir widerfahren war, erzählte, machte es den schmerzlichsten Eindruck auf ihn. Dann sagte er mir: »Hüte dich, junger Mann, irgend jemandem zu sagen, wer du bist, denn der König dieser Länder ist ein großer Feind deines Vaters.« Dann brachte er mir etwas zu essen, und wir blieben bei Tische bis tief in die Nacht. Als es spät ward, schaffte er Bett und Decken herbei und wies mir neben sich einen Raum zum Schlafen an. Nachdem ich drei Tage bei ihm zugebracht, fragte er mich, ob ich denn kein Handwerk erlernt, mit dem ich mich ernähren könne. Ich antwortete ihm, ich sei ein Gelehrter, Theologe, auch zugleich Belletrist, Grammatiker, Dichter und Schönschreiber. »Alles dies wird hierzulande nicht gesucht«, versetzte er. Nun sage ich: »Ich verstehe wahrscheinlich nichts anderes, als was ich dir eben genannt.« »So fasse Mut«, erwiderte mir der Schneider, »nimm eine Axt und einen Strick, geh in den Wald und haue Holz ab, so findest du doch zu leben; hüte dich aber sehr, dich jemandem zu erkennen zu geben, Gott wird dir weiter helfen.« Als ich seinen Rat zu befolgen versprach, kaufte er mir selbst eine Axt und einen Strick und empfahl mich einigen anderen Holzbauern. Mit diesen ging ich und haute den ganzen Tag Holz, trug es dann auf meinem Kopfe abends in die Stadt, verkaufte es um einen halben Dinar und brachte das Geld dem Schneider. So lebte ich ein ganzes Jahr fort. Eines Tages, als ich von meinen Gefährten mich getrennt hatte, entdeckte ich einen Garten mit Bäumen bepflanzt und von Bächen durchströmt. Als ich in dem Garten umherging, erblickte ich den Stamm eines sehr dicken Baumes, und als ich mit meiner Axt die Erde weggrub, stieß ich auf einen Ring, der an einer hölzernen Tafel befestigt war. Ich hob diese Tafel (mit Hilfe des Ringes) auf und gewahrte nun eine Treppe, die ich hinabstieg. Jetzt kam ich an ein Schloß, so schön und massiv gebaut, wie ich noch nie in meinem Leben ein ähnliches gesehen hatte. Als ich in diesem Schlosse mich eine Weile umgesehen, bemerkte ich ein Mädchen, so herrlich wie die reinste Perle, oder wie die helleuchtende Sonne. Als es zu reden anfing, verscheuchten seine Worte jeden Kummer, sie waren so süß, daß sie selbst des verständigsten Mannes Herz bezaubern mußten. Es hatte einen schlanken Wuchs, einen schön gerundeten Busen, hübsche Wangen, eine zarte Gesichtsfarbe und ein vornehmes Aussehen, hell strahlte ihre Stirn unter den dunklen Locken hervor.

      Das erste, was sie mich fragte, als sie mich erblickte, war, ob ich ein Mensch oder ein Geist wäre, und als ich ihr darauf erwiderte, daß ich ein Mensch sei, fragte sie mich, was ich denn wollte, da sie doch schon fünfundzwanzig Jahre hier verweile, ohne je von einem Menschen besucht worden zu sein. Ihre Worte waren so süß und so wohllautend, daß sie sogleich mein Herz gewannen, und ich antwortete ihr daher geradezu, wie ich gekommen sei, um mein Elend in Glück zu verwandeln, vielleicht auch, um ihren Kummer zu verscheuchen und sie glücklich zu machen. Ich erzählte ihr dann, was mir in meinem Leben zugestoßen, sie war sehr bestürzt darüber; dann sagte sie: »Nun sollst du auch meine Lebensgeschichte hören;« und begann folgendes zu erzählen: »Wisse, daß ich die Tochter des Königs Jstimerus bin, des Gebieters über die Insel Ebenus. Mein Vater verheiratete mich mit meinem Vetter; in der Hochzeitsnacht aber, als ich im schönsten Brautschmucke meinem Gemahl zugeführt werden sollte, raubte mich ein Geist, flog eine Weile mit mir herum, brachte mich dann hierher und versorgte mich mit köstlichem Mundvorrat und den übrigen Lebensbedürfnissen. Da aber seine Leute nichts von unseren Verhältnisse wissen dürfen, so bringt er nur alle zehn Tage eine Nacht bei mir zu; brauche ich aber etwas, es sei Tag oder Nacht, so berühre ich nur die zwei an dieses Gewölbe gemalten Zeilen, und bevor ich noch meine Hand davon wegziehe, ist der Geist schon bei mir. Nun aber ist er schon vier Tage von hier abwesend und wird also noch sechs Tage ausbleiben; willst du«, fragte sie mich hierauf, »fünf Tage jetzt bei mir bleiben und den Tag, ehe er wieder kommt, mich verlassen?« Ich nahm mit Vergnügen ihr Anbieten an, und sogleich faßte sie mich bei der Hand, führte mich durch eine gewölbte Tür ins Bad und legte mir frische Kleider vor, die ich nach dem Bade anzog. Sie hieß mich, als ich aus dem Bade kam, neben sich auf einem hohen Sofa sitzen, reichte mir einen Becher Wein und, nachdem wir uns eine Weile miteinander unterhalten, setzte sie mir auch verschiedene Speisen vor. Als ich gegessen hatte, bot sie mir ein Polster, um ein wenig zu schlafen. Ich entschlief bald und erst nach einigen Stunden erwachte ich wieder mit neuen Kräften und hatte alle meine früheren Leiden vergessen. Ich dankte ihr für ihre Pflege und ward immer munterer. Sie fragte mich, ob ich etwas trinken wolle, und auf meine bejahende Antwort holte sie aus einem Schranke vom besten alten Wein, auch Speisen, und sprach folgende Verse:

      »Hätte ich deine Ankunft voraus gewußt, ich würde das Innerste meines Herzens oder das Schwarze meines Auges vor dir niedergelegt haben. Ich hätte meine Wangen wie einen Teppich auf die Erde gebreitet, damit du über meine Augenlider hergehen könntest.«

      Ich vermochte nicht, ihr genug für ihre Freundlichkeit zu danken, ihre Liebe durchströmte alle meine Glieder, der Wein, den wir den Tag über zusammen genossen hatten, verscheuchte alle meine Sorgen, und die Nacht, die diesem Tage folgte, war die seligste meines ganzes Lebens. Da wir aber auch am anderen Morgen wieder, wie am verflossenen Tage, nur dem Vergnügen lebten, da sagte ich ihr, nachdem ich vom vielen Weine ganz besinnungslos geworden war und kaum mehr aufrecht stehen konnte: »Komm, Holde, verlasse diesen Kerker, steige mit mir zur Erde hinauf!« Sie aber sprach: »Bleibe doch ruhig, mein Herr, genügt es dir nicht, von zehn Tagen neun bei mir zuzubringen?« Ich aber antwortete ihr in meinem Rausche: »Ich werde sogleich auf den Talisman schlagen und, wenn der Geist erscheint, ihn umbringen. Ich habe deren schon zu Dutzenden totgeschlagen.« Als das Mädchen dies hörte, ward es blaß, beschwor mich bei Allah, dies nicht zu tun, und sprach folgende Verse:

      »O du, der du selbst die Trennung herbeirufst, übereile dich nicht. Du kennst ja die Treulosigkeit des Schicksals, das jeder Vereinigung mit Trennung droht.«

      Ich war so trunken, daß, trotz ihrer Bitten, ich doch mit dem Fuße auf den Talisman trat. Ich hatte dies kaum getan, fuhr der Kalender fort, da ward es auf einmal finstre Nacht; es blitzte und donnerte und die Erde fing heftig zu beben an. Jetzt erwachte ich aus meinem Rausche und fragte die Schöne, was dies bedeute? »Der Geist erscheint«, erwiderte sie, »rette dich, so schnell du kannst, wieder zur Oberfläche der Erde.« Ich eilte, aus Furcht, ertappt zu werden, so sehr ihren Befehl zu vollziehen, daß ich meine Axt und meine Sandalen vergaß. Ich hatte noch nicht ganz die Treppe erstiegen, da spaltete sich der Palast, der Geist trat herein und fragte das Mädchen: »Warum hast du mich durch dein ungestümes Rufen so erschreckt? Was ist dir widerfahren?« »Mein Herr!« antwortete sie ihm, »als mir heute nicht recht wohl zumute war, trank ich, um mich aufzumuntern, ein wenig Wein, dieser stieg mir in den Kopf und ich fiel auf den Talisman.« Da der Geist aber meine Sandalen und meine Axt erblickte, rief er: »Du lügst, elendes Weib, wie kommen Sandalen und Axt hierher?« »Ich bemerke sie erst in diesem Augenblick«, erwiderte das Mädchen; »gewiß sind sie an euch irgendwo hängen geblieben und mit hereingeschleppt worden.« »Bei mir hilft deine List nichts«, versetzte hierauf der Geist, der sogleich durch Folterqualen sie zu einem Geständnisse bringen wollte. Ich konnte ihr Weinen nicht anhören, auch fürchtete ich für mich selbst; ich schob mich daher zur hölzernen Tafel hinaus, legte diese wieder an ihren Platz und bedeckte sie mit Erde, wie ich sie früher gefunden hatte. Ich nahm eine Tracht Holz auf meinen Rücken und wanderte betrübt zur Stadt zurück. Als ich alle Gefahr überstanden zu haben glaubte, fing ich nun an, über das Vorgefallene nachzudenken. Zuerst gedachte ich des schönen Weibes, daß so wohltätig gegen mich gewesen und nun durch mich, nach fünfundzwanzig ruhigen Jahren, in eine so bedauernswerte Lage versetzt worden war; dies machte mich so traurig, daß mir dann auch wieder mein Vater und mein Königreich einfiel. Ich bemerkte mit Schaudern, daß nach kurzer Heiterkeit sich mein Leben wieder so getrübt habe, daß mir nichts übrig blieb, als wieder Holzhauer zu werden. Ich machte mir die bittersten Vorwürfe, weinte heftig und sprach folgende Verse:

      »Hartnäckiges Schicksal, das mich wie seinen Feind verfolgt, warum bringst du mir jeden Tag neues Unglück? Kaum bist du mir im Leben einmal günstig, so stürzest du mich sogleich wieder in mein früheres Elend zurück.«

      Nach vielem Weinen kam ich wieder zu meinem Freunde, dem Schneider, zurück, der sich sehr darüber freute und mir sagte, daß er besorgt gewesen