Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters


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Nebel bestimmte Gedanken, bestimmte Gefühle, deren ich mir bewußt ward.

      Der Gedanke, ein Schulmeister zu werden, verursachte mir Herzklopfen, wunderbar erzeugt aus Stolz und Bangigkeit. Man wird nicht begreifen, warum auch der Stolz den Klopfer im Herzen bewegt, nicht begreifen, wie man Ursache haben könne zum Stolz, wenn man Schulmeister werden will oder wird. Wohl, Leute, das ist sehr begreiflich und sehr natürlich, und sehr schwer ist es, sich dieses Stolzes zu erwehren. Das vermögen darum auch nicht alle Schulmeister, und manchem sieht man ihn auf hundert Schritte am Rücken an, andern am Munde, sie mögen ihn öffnen zum Reden oder zum Singen. Wohl, Leute, daß sich mancher des ihn beschleichenden Stolzes nicht erwehren kann, ist begreiflich. Viel Jahre kränkelte ich daran und noch jetzt fiebertet er zuweilen an mir. Darum habe ich es mir als Buße auferlegt, diese Sünde zu bekennen vor allen meinen Amtsbrüdern, die mich sicher darüber schimpfen werden, daß ich so ungschämt vor den Leuten bekenne, daß ein Schulmeister einen Fehler haben könne und noch dazu einen solchen. Aber bedenkt nur, was waren die meisten von uns, ehe wir in dieses Amt traten? Wären wir nicht arme Teufel gewesen, so wären wir gar nichts gewesen und wären kaum Schulmeister geworden. So ein armer Teufel, ein Waschlumpen der ganzen Welt, den alles hudelte, pudelte, der sieht sich auf einmal im eigenen Hause, sieht unter seine Faust und Rute hundert Kinder gestellt, sieht sich zum Geschicktesten nach dem Pfarrer gemacht in der Gemeinde von rechtswegen, kann Kinderlehren halten im Winter und hie und da einen Nachbar oder vielmehr seine Frau trümpfen in derselben. Dann hat er noch obendrein umsonst eine Masse von Hoffnungen aller Art, die ihn umsurren und sich an ihn hängen, wie an die Pferde im Sommer die Brämen. Ach, wer will es ihm verargen, wenn er diesen Stolz behält, sind auch alle seine Hoffnungen geschwunden? Dieser Stolz allein ist ihm geblieben aus der schönen Zeit der Träume; denn auch ein Schulmeister hat eine Zeit der Ideale. Die einen bilden sie sich freilich etwas fleischig und rotbackig aus, aber auch geistiger andere. Soll er ihn wegwerfen, diesen Stolz das einzige Andenken an eine bessere Zeit? Ach, wer will ihn nicht bemitleiden, den armen Schulmeister, wenn er zu Zeiten auch diesen Stolz ängstlich verbergen muß unter seine zerrissene Kutte, wenn ihm das Geld ausgegangen und er den Nachbar um ein Anleihen von 10 Kreuzer zu bitten geht, wenn er zu der Nachbüri geht kummersvoll, daß sie ihm eine Woche noch die Milch dings gebe? Und wer will es ihm übel nehmen, wenn der arme Mann, sobald er von diesen sauern Gängen heimkehrt, zu seinem Troste den Stolz wieder hervorkehrt gegen sein noch ärmeres Weib? Und wer will es ihm nicht gönnen, wenn er in stiller Freude bei düsterm Lampenschein seine Handschrift mit der des Pfarrers vergleicht und wenn er dann an die Brust schlägt und wonniglich ausruft: »I bi doch e-n-an-gere Kerli, als dä da«. Da wird er aber von seiner Frau, die in dunkler Ecke ein Kind wiegelt, und ein anderes säugt, einen schweren Seufzer vernehmen und hinten drein die Worte: »Ach ja, es gaht ungrecht zue i dr Welt!«

      Ich muß aber doch sagen, nicht bloß Stolz regte sich in mir, Schulmonarch oder Schulmeister (Schullehrer wollen sie heutzutage heißen! aus Stolz oder aus Demut. Was ist mehr, Lehrer oder Meister; was sagt Luther darüber?) zu werden; es war damals noch eine gute Portion Bangigkeit dabei, Bangigkeit nicht bloß, wie ich vom Vater loskommen könne, sondern Bangigkeit: ob ich wohl eine Stelle erhalten und an der erhaltenen Stelle mich werde behaupten können?

      Mehr als ein Jahr lang hatte ich von meinen Schulkünsten nichts wiederholt, als selten genug das Lesen. Wie lange solches Zeug, das man lernt, im Kopfe bleibt, wußte ich nicht aus Erfahrung. Nun nahm mich gewaltig Wunder, was mir noch geblieben sei, aber ich armer Teufel konnte den Gwunder nicht so schnell stillen, als ich wünschte: meine Wiederholungskurse mußte ich im Verborgenen vornehmen, wenn ich nicht geprügelt sein wollte. Ich fand, daß ich in den gewohnten Büchern schön laut und fix noch lesen könne zhinterfür und recht; nur in einer alten Zeitung, welche der Vater um einen Lebkuchen für den Erbprinzen gewickelt heimbrachte, kam ich nicht recht fort. Aber das machte mir keine grauen Haare, liest man doch Gottlob in der Schule nicht in den Zeitungen, nicht einmal im Verfassungsfreund. Schreiben und Rechnen konnte ich fast gar nicht repetieren; denn im Hause war weder Tinte noch Papier, nicht einmal ein Beistift. Endlich fand ich ein Stück Kreide und fand am Tennsthor und an der Stallthür, daß ich noch alle Buchstaben machen könne, bis an einige große, die ich vergessen hatte. Aber ich dachte, die könne ich dann klein machen, die seien eben so gut. Im Rechnen bestund ich auch gar nicht übel. Nur besann ich mich nicht recht, ob man beim Dividieren die eine Zahl unter die andere setze und beim Multiplizieren beide Zahlen neben einander oder umgekehrt. Aber ich tröstete mich mit dem alten Schulmeister, der mir diese Zweifel sicher tröstlich lösen werde. Mit der Prüfung war ich also im Ganzen recht zufrieden und die Bangigkeit schwand nach und nach. Und wie sie schwand, so gaukelte gar allerlei mir vor den Augen und in den Gedanken herum, lieblich und lockend. Ich sah mich des Morgens um 7 Uhr noch im Bette und des Abends auf dem Ofentritt statt im feuchten Webkeller; sah mich schön dunkelrot bis hinter die Ohren vorsingen in der Kirche; sah Kinder Säckli und Guttere und Körbli in meine Stube bringen und abstellen, hörte sie sagen: »Guete Tag, Schuelmeister! Vater u Mueter löhnd dr o-n-e guete Tag säge u da heigisch neuis«.

      Dann sah ich mich wieder des Morgens ein gut Kaffee machen, sah mich des Mittags bröselen in der Küche, sah wie die Blutwürste zischten, die Bratwürste brasselten, und den Säubrägel roch ich! O es ging mir bereits durch Mark und Bein, und das Wasser quoll mir im Munde empor und zu beiden Ecken heraus.

      Ich hätte es gehabt, wenn ich in diesen Augenblicken zum Reden gekommen wäre, wie jener barfüßige Junge. Der erzählte mit ganz wundersamer Beredsamkeit, wie herrlich Bratis sei. Die andern Barfüßler, die den kleinen Prediger umringten, vergaßen Mund und Nasen offen, und endlich ermannte sich einer aus tiefem Erstaunen empor und fragte: »Hesch afe gha?« »Ne«, antwortete der kleine Redner, »aber myner Großmueter Bruederssohn bi-mene Haar — er het‘s afe gfchmöckt!« So roch ich und dachte mich dann essend, ohne daß jemand das Beste mir vorwegnahm, sah wie ich die Reste versorgte im Küchegänterli, wie ich des Nachmittags herausging und mit einem Zöpfli Brägelwurst mir den Mund salbte, und des Abends die Blutwürste mir zu Gemüte führte. Das alles sah ich und noch anderes mehr, das ich nicht einmal sagen will; ich würde sonst rot und meine Frau hätte es ungern.

      Und wenn ich dann so recht ins Denken, Sehen und Riechen kam und es mir ward, als hätte ich es schon zwischen den Zähnen und die Hände unwillkürlich ruhten oder nach dem Munde fuhren, da fuhr ich unsanft aus den schönen Träumen empor, erweckt durch Stimme oder Faust des Vaters, die beide so unsanft als möglich waren und mit Fluchen und Püffen nicht sparsam. Dann fuhr ich empor und ließ das Schifflein fliegen; aber wenn der Vater dann Webernester sah und Faden zerrissen an der Zetti, dann ging Donner und Prügelwetter erst an, und er wollte wissen, warum ich nicht mehr sehen und schmöcken könne. Ach! er wußte nicht, daß ich beides konnte nur zu gut, aber auf andere Weise als er wollte. Er wurde immer böser über mich und mißhandelte mich immer mehr, und je wüster er that, desto sehnsüchtiger und handgreiflicher wurden meine Träume, desto schlimmer machte ich meine Arbeit.

      So saß ich auf meinem Webstuhle brütend über meinen Gedankeneiern. Alle Tage legte ich neue zu den alten; der Kopf war zum Zersprengen angefüllt damit; allein ausbrüten konnte ich sie nicht. Ich glaube, ich säße noch heute auf dem Webstuhle, und brütete, wenn nicht der Schulmeister darab mich erlöst und der Brut Luft gemacht hätte.

      An einem Samstag abends — die ermatteten Bäume streuten schon ihre ergelbten Blätter über die ergraute kahl gewordene Erde aus — wohl die altertümlichste Perücken-Art — sah ich den treuen Alten am Hause vorbeigehen dem Wäldchen zu. Ich sah ihm wohl nach durch die in allen Regenbogenfarben schimmernden Fenster; aber ihm nachzugehen fiel mir nicht ein. Nach einiger Zeit hörte ich ihn reden mit meiner Schwester am Brunnen, die ein Nastuch wusch für den morndrigen Tanzsonntag; denn an einem solchen schickt es sich doch nicht wohl in die Scheube zu schneuzen. Ich ging aber wieder nicht hinaus; dachte freilich bei mir selbsten: »Ach, wenn er nume-n-öppe-n-öppis wüßt«. Sie redeten lange mit einander — aber ich ging nicht hinaus. Endlich wurde er ungeduldig, fragte nach mir, kam zu mir in den Keller, und das erste, was er mir sagte, war: »Peter, bisch doch e donstigs Lümmel, schmückst u merkst de gar nüt meh? Hesch nit däicht, i heig dr neuis z‘säge u hesch mr nit chönne nah cho? Ich, we d‘furt chunst, so merke si, daß i dr ghulfe ha u de cha-n-i luege was i abzthue heig. Chumm morn na‘m Z‘immißesfe zue mr, mr wei de neue hi ...« Mehr konnte er nicht sagen, denn