Karl May

Im Lande des Mahdi I


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habe eine Brieftasche, ja; aber sie gehört nicht dir, sondern dem Nile. Da, schau!«

      Er zog die Brieftasche hervor und wollte sie in das Wasser schleudern. Ich war darauf gefaßt gewesen – ein rascher Sprung auf den Kerl zu, ein Griff, und ich hatte sie in meiner Hand. Er stand einen Augenblick wie starr; dann ballte er die Fäuste und fuhr auf mich los. Ich hob den Fuß und stieß ihm denselben gegen den Unterleib, so daß er seitwärts taumelte und hinstürzte.

      »O Allah, o Reïs, o Jammer, o Unglückseligkeit, o Niederlage!« wehklagte der Steuermann, indem er zu seinem Vorgesetzten eilte, um demselben beim Aufstehen behilflich zu sein, während der liebenswürdige Kajütendiener wie ein Schulknabe dastand und sich nicht rührte.

      »Wie konntest du es wagen, die Hände gegen mich zu erheben!« zürnte ich dem Kapitän. »Du, ein bejahrter, elender Schiffer gegen einen jungen Franken! Du hast es nur deinem Alter zu verdanken, daß ich dich nicht anders strafte, und deiner Bosheit, daß ich dich nicht der Berührung meiner Hand für wert hielt, sondern dich mit dem Fuße empfing. Führt ihn hin zu dem Tabak! Er mag sich auf einen Ballen setzen und dort vernehmen, was ich von ihm fordere.«

      Dieses Gebot war an die beiden anderen gerichtet, welche demselben gleich gehorchten. Der Reïs war übel angekommen, und mein Fußtritt hatte ihn zur Erkenntnis seiner Schwäche gebracht. Rechts und links geführt und beide Hände an den Leib haltend, hinkte er ächzend und nach Luft schnappend nach dem nächsten Ballen, auf welchen er sich wie halb tot niederließ. Ich ging ihm nach. Der Greis dauerte mich doch. Man soll den Menschen nicht nach dem beurteilen, was er ist, sondern darnach, wie er es geworden ist, dann wird manche Härte sich in Milde verwandeln, aber auch leider ebenso oft die Hochachtung sich in ihr Gegenteil verkehren. Er war wie gebrochen. Was keins meiner Worte, was alle meine vorgebrachten Beweise nicht vermocht hatten, das war meinem Stiefel gelungen. Der Mann saß jetzt in sich zusammengesunken da und wagte nicht, mich anzusehen. Darum klang es unwillkürlich fast teilnehmend, als ich ihm nun sagte:

      »Du wirst einsehen, daß ich jetzt nichts mehr mit dir zu thun haben mag. Ich fahre nicht weiter mit dir.«

      »Fahr‘ mit dem Teufel und zur Hölle!« fauchte er mich katzenartig an.

      »Wie viel hat Murad Nassyr Passage für mich bezahlt?«

      »Nur hundert Piaster,« antwortete er, das Folgende ahnend.

      »Lüge nicht! Zweihundert für mich und hundert für die beiden Schwarzen. Er hat es mif gesagt, bevor ich an Bord ging, und ihm glaube ich mehr als dir.«

      »Hundert!« behauptete er starr.

      »Dreihundert! Die wirst du mir wiedergeben, denn ich verlasse deine Dahabijeh.«

      »Er hat nur hundert gegeben. Es soll mir eine Wonne sein, dich nicht mehr zu sehen. Mache dich also fort! Aber du bist mit mir von Bulak nach Giseh gefahren; das macht fünfzig Piaster; also werde ich dir nur die übrigen fünfzig zahlen.«

      »Für diese kurze Strecke fünfzig Piaster ? Nun, meinetwegen; rechne, wie du willst; ich habe nichts dagegen. Ich werde also nicht gehen, sondern bleiben, bis die hiesige Polizei über den Fall entschieden hat.«

      »Das kann mehrere Wochen dauern!«

      »Ich weiß es; aber ich habe Zeit.«

      »Ich auch!«

      »Und dabei wird natürlich auch zur Sprache kommen, warum ich nicht weiter mit dir fahre. Ich werde den Bescheid in der Freiheit erwarten, während ihr indessen im Gefängnis darüber nachdenken könnt, ob es geraten ist, einen Christen nicht nur für einen Giaur, sondern auch noch für einen Dummkopf zu halten.«

      Ich trat von der unglückseligen Gruppe weg und schritt an dem nach dem Ufer zu gelegenen Borde auf und ab. Nach demselben hinüberblickend, sah ich drei Männer stehen, deren Gestalten von dem Scheine unserer Pechfeuer hell beleuchtet wurden. Der Muza‘bir war nicht bei ihnen. Um uns her lag die Stille des Abends, und wir hatten laut gesprochen; ja, es war sogar geschrieen worden. Man hatte uns also vom nahen Ufer aus hören können. Die Stelle, an welcher wir lagen, schien freilich eine einsame zu sein.

      Als ich stehen blieb, um die drei Personen zu betrachten, trat die eine näher heran und fragte:

      »Ist das nicht die Dahabijeh es Semek?«

      »Ja,« antwortete ich.

      »Und du bist Passagier?«

      »So ist es.«

      »Woher?«

      »Ich bin ein Franke aus Almanja. [Deutschland]«

      »Aus Almanja!« rief der Mann in einem Tone, welchem man es anhörte, daß es ihn freute, einen Deutschen vor sich zu haben. »Nimm es mir nicht übel, wenn ich dich frage, wohin du willst!«

      »Nach Siut.«

      »Mit diesem Schiffe? Nimm dich in acht!«

      »Vor wem?«

      »Vor allen, mit denen du an Bord bist. Als wir hier vorüber wollten, sahen wir einen Menschen schleichen, den ich sehr wohl kenne. Er schien hören zu wollen, was bei euch gesprochen wurde. Es war ein Muza‘bir.«

      »Der war an Bord, um mich zu bestehlen; es ist ihm aber nicht gelungen.«

      »Danke Allah, daß es so gekommen ist! Es hätte leicht schlimmer, viel schlimmer werden können.«

      »Habt ihr Zeit?«

      »Ja.«

      »Ich bitte euch, einen Augenblick an Bord zu kommen!«

      Ich gab dem Landungsbrette einen Schwung, daß es drüben aufzuliegen kam, fühlte mich aber hinten gepackt und zurückgezogen. Der Reïs war es. Er raunte mir, als ob es am Ufer nicht gehört werden solle, in unterdrücktem Tone zu:

      »Was fällt dir ein! Wer hat hier Leute einzuladen, du oder ich?«

      »Wir beide.«

      »Nein, nur ich. Und gerade diesen Menschen, den ich an der Stimme erkenne – — —«

      Er hielt inne und wagte nicht, weiter zu sprechen, denn das Brett hatte feste Lage erhalten und die drei kamen nun eben an Bord. Als der Steuermann sie erblickte, sah ich, daß er schleunigst in einer Luke verschwand; der famose Kajütendiener folgte ihm ebenso schnell. Dem Reïs wäre es vielleicht auch lieber gewesen, wenn er sich in der Ferne befunden hätte; jedenfalls kamen ihm diese Leute höchst ungelegen; aber er konnte weder verschwinden noch sie fortweisen, und so blieb er stehen, legte beide Hände auf der Brust übereinander, berührte mit der Rechten Stirn, Mund und Herz und verneigte sich fast so tief, wie ich es von dem Haushofmeister meines Türken gesehen hatte. Aus dieser Begrüßung war mit Sicherheit zu schließen, daß die drei Ankömmlinge, wenigstens der vorderste von ihnen, keine gewöhnlichen Leute waren.

      Dieser war ein Mann in den besten Jahren, kräftig gebaut und, so viel ich sehen konnte, fein gekleidet. Er trug weite, weiße Hosen mit dunklen Halbstiefeln und eine goldverbrämte blaue Jacke, um die Hüften einen rotseidenen Shawl, an welchem ein krummer Säbel hing, während die mit Gold und Elfenbein ausgelegten Griffe zweier Pistolen vorn hervorblickten. Darüber hing ein weißseidener Mantel. Der Turban auf seinem Haupte war von demselben Stoffe und derselben Farbe. Sein Gesicht, dessen dunkle Augen mit forschendem Wohlwollen auf mir ruhten, wurde von einem schwarzen Vollbarte eingerahmt, wie ich gleich schön noch selten einen gesehen hatte. Ohne auf den Reïs einen Blick zu werfen, grüßte er mich:

      »Allah schenke dir einen glücklichen Abend!«

      »Heil sei dir!« antwortete ich ebenso kurz wie höflich.

      Seine Begleiter verneigten sich stumm gegen mich, was mich veranlaßte, ihnen eine ebensolche Verbeugung zu machen. Jetzt wendete er sich zu dem Reïs und fragte in strengem Tone:

      »Du kennst mich?«

      »Das Glück, dein Angesicht zu sehen, ist mir wiederholt zu teil geworden,« antwortete der Gefragte in orientalischer Weise.

      »Es ist kein Glück für dich gewesen. Waren nicht noch zwei Männer hier?«

      »Mein Steuermann und der Fremdendiener.«

      »Weiter niemand?«

      »Nein,