Karl May

Waldröschen II. Der Schatz der Mixtekas


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hinter ihnen eine andere geführt worden. Bärenherz ritt an der Seite der Indianerin. Sein Auge umfaßte mit verhaltener Glut die schöne Gestalt seiner Nachbarin, die mit einer Sicherheit auf dem halb wilden Pferd saß, als habe sie niemals anders als auf einem indianischen Männersattel geritten. Der schweigsame Häuptling war nicht gewohnt, seine Worte zu verschwenden; wenn er aber sprach, so hatte eine jede Silbe das doppelte Gewicht. Karja kannte diese Art und Weise der wilden Indianer, und darum wunderte sie sich auch nicht darüber, daß er wortlos blieb. Doch fühlte sie es förmlich, daß sein Auge durchdringend auf ihr ruhte; und fast erschrak sie, als er sie anredete:

      »Zu welchem Volk gehört meine junge Schwester?« – »Zu dem Volk der Mixtekas«, antwortete sie. – »Das war einst eine große Nation und ist noch jetzt durch die Schönheit seiner Frauen berühmt. Ist meine junge Schwester eine Squaw – Frau – oder ein Mädchen?« – »Ich habe keinen Mann.« – »Ist ihr Herz noch ihr Eigentum?«

      Bei dieser direkten Frage, die ein Weißer sicherlich nicht ausgesprochen hätte, rötete sich ihr dunkles Gesicht, aber sie antwortete mit fester Stimme:

      »Nein.«

      Sie wußte, daß es hier besser sei, die Wahrheit zu sagen, denn sie kannte die Apachen. Es veränderte sich kein Zug seines eisernen Gesichts, und er fragte weiter:

      »Ist es ein Mann ihres Volkes, der ihr Herz besitzt?« – »Nein, ein Weißer.« – »Bärenherz beklagt seine Schwester. Sie mag es ihm sagen, wenn der Weiße sie betrügt.« – »Er wird mich nicht betrügen!« antwortete sie stolz und zurückweisend.

      Ein leises, leises Lächeln zuckte um seine Lippen; er schüttelte den Kopf und entgegnete:

      »Die weiße Farbe ist falsch und wird leicht schmutzig. Meine Schwester mag vorsichtig sein!«

      Dies war das ganze Gespräch zwischen den beiden, aber es war wenigstens ebenso folgewichtig, wie die Unterredung zwischen dem Deutschen und der Mexikanerin.

      Im Verlauf des Weiterritts erfuhr Helmers, daß die beiden Frauen oben am Rio Pecos gewesen waren, um eine Tante der Mexikanerin zu besuchen, die schwer krank darniederlag. Diese Verwandte war die Schwester von Emmas Mutter, also die Schwägerin des alten Pedro Arbellez, der der Verwalter des Grafen Ferdinando de Rodriganda gewesen war, jetzt aber als Pächter des Grafen auf der Hacienda del Erina lebte. Die Pflege der beiden Frauen hatte den Tod der Tante nicht zu hindern, sondern nur zu verzögern vermocht. Später hatte Arbellez den Majordomo mit den Vaqueros geschickt, um die Tochter abholen zu lassen. Auf dem Rückweg waren sie von den Komantschen überfallen worden und wären ohne die Dazwischenkunft des Deutschen und des Apachenhäuptlings ganz sicher verloren gewesen.

      3. Kapitel

      Man ritt immer nach Süden zu. Der Tag neigte sich zu Ende; sie hatten nur noch eine Stunde bis zum Hereinbruch des Abends und befanden sich am Rand einer weiten Ebene, die nun hinter ihnen lag, als der Apache sein Pferd plötzlich anhielt, hinter sich zeigte und rief:

      »Ugh!«

      Die anderen drehten sich um, die Ebene zu durchmustern.

      »Ich sehe nichts«, sagte der Majordomo. – »Wir auch nicht«, erklärten die Vaqueros, trotzdem sie Augen besaßen, die gewohnt waren, in weite Ferne zu spähen. – »Was gibt es?« fragte Emma. – »Auch Sie sehen nichts?« antwortete Helmers. – »Nein. Siehst du etwas, Karja?« – »Nicht das mindeste«, erklärte die Indianerin. – »Der Häuptling der Apachen kann doch nicht den Trupp wilder Pferde meinen, den man dort erblickt?« fragte der Majordomo. »Uff!« sagte der Apache mit geringschätziger Miene. – »Gerade den meint er«, sprach der Deutsche. – »Was gehen uns die Mustangs an?« – »Sind sie wirklich so gleichgültig, Señor Majordomo?« – »Ja. Wir sind ja mit Pferden versehen.« – »Seht sie Euch genauer an!«

      Ungefähr zwei englische Meilen hinter ihnen galoppierte eine Herde von Pferden mit erhobenen Schwänzen und wehenden Mähnen einher. Sie kam immer näher. Kein Reiter, kein Sattel oder Bügel, kein Zügel, nicht die dünnste Schnur ließ sich sehen.

      »Es sind Mustangs!« sagte der Majordomo. – »Uff!« rief der Apache zum zweiten Mal, jetzt aber wirklich verächtlich.

      Dann lenkte der sein Pferd wieder herum und ritt im Galopp vorwärts. Die anderen mußten folgen. Emma aber drängte ihr Pferd zu Helmers heran und fragte:

      »Was hat der Apache?« – »Er ärgert sich.« – »Worüber?« – »Über die Dummheit des Majordomo.« – »Dummheit? Señor Helmers, unser Majordomo ist ein sehr erfahrener Mann.« – »In häuslichen Angelegenheiten vielleicht.« – »O nein. Er ist ein tüchtiger Reiter und Schütze, ein Pfadfinder, der seinesgleichen sucht; man kann sich in jeder Beziehung auf ihn verlassen.« – »Ein Pfadfinder? Hm!« Jetzt blickte der Deutsche ebenfalls verächtlich drein. »Ja, ein Pfadfinder in den Straßen einer Stadt oder auf den Gassen eines Dorfes. Zu einem Rastreador, zu einem wirklichen Pfadfinder, gehört mehr. Sie sagen, daß man sich in jeder Beziehung auf ihn verlassen könne, und doch wären Sie verloren, wenn Sie jetzt nur allein auf seine Erfahrung und seinen Scharfsinn angewiesen wären.« – »Ah! Wieso?« – »Weil diese Pferde keine wilden Mustangs sind.« – »Was sonst?« – »Es sind die Komantschen, die uns verfolgen.« – »Die Komantschen? Man sieht doch nur die Pferde?« – »Ja, aber die Roten sind dennoch dabei. Sie haben einen Riemen um Hals und Leib der Pferde gezogen, und in diesen Riemen hängen sie mit dem linken Arm und dem rechten Bein. Sahen Sie nicht, daß uns nur die rechten Flanken der Pferde zugekehrt waren, trotzdem sie gerade hinter uns herreiten? Sie lassen ihre Tiere in schiefer Körperstellung galoppieren. Eine solche Haltung ist das sicherste Zeichen, daß ein Indianer sich hinter dem Pferd verbirgt.« – »Heilige Madonna. So werden sie uns abermals angreifen?« – »Entweder sie uns oder wir sie. Ich ziehe das letztere vor. Der Apache ist ganz meiner Meinung. Sehen Sie, wie er nach beiden Seiten späht!« – »Was sucht er?« – »Ein Versteck für uns, von dem aus wir die Komantschen fassen können. Überlassen wir ihm alles. Er ist die tüchtigste und wackerste Rothaut, die ich kenne, und auf ihn allein verlasse ich mich lieber, als auf tausende von Ihren Majordomos, so erfahren sie auch sind.« – »Gut! Verlassen wir uns auf ihn und auf noch einen!« – »Auf wen?« – »Auf Sie!« – »Ah, wollen Sie das wirklich?« fragte er mit einem freudigen Aufleuchten seiner Augen. – »Von ganzem Herzen!« antwortete sie. »Sie loben nur den Apachen, aber Sie vergessen zu sagen, daß man Ihnen ebenso vertrauen kann als ihm.« – »Glauben Sie das wirklich?« – »Ja. Ich habe Sie beobachtet. Sie sind kein gewöhnlicher Jäger, und ich glaube sicher, daß auch Sie einen Ehrennamen tragen, den Ihnen die Trapper und Indianer gegeben haben.«

      Er nickte.

      »Sie erraten es.« – »Und welches ist Ihr Jägername?« – »O bitte, nennen Sie mich immer Antonio oder Helmers.« – »Sie wollen ihn mir nicht sagen?« – »Jetzt nicht. Wenn man ihn einmal zufällig nennen wird, werde ich mich zu erkennen geben.« – »Ah, Sie sind eitel. Sie wollen inkognito sein wie ein Fürst.« – »Ja«, lachte er. »Ein guter Jäger muß ein klein wenig eitel sein, und Fürsten sind wir alle, nämlich Fürsten der Wildnis, des Waldes und der Prärie.« – »Fürsten! Ja, da fällt mir einer jener berühmten Namen ein.« – »Welcher?« – »Matavase.« – »Ja, der ist einer der Berühmtesten. Haben Sie von ihm gehört?« – »Viel. Er soll da oben in den Felsengebirgen gewesen sein.« – »Allerdings; darum nennen ihn die Indianer Matavase, die englischen Trapper Rockyprince, und die französischen Coureurs sagen Prince du roc. Alle diese drei Namen bedeuten ein und dasselbe, nämlich Fürst des Felsens.« – »Er ist ein Weißer?« – »Ja.« – »Haben Sie ihn gesehen?« – »Nein, aber ich habe gehört, daß er ein Landsmann von mir ist.« – »Ein Deutscher?« – »Ein Deutscher«, nickte Helmers. »Er soll Karl Sternau heißen und eigentlich ein Arzt sein. Er hat Amerika bereist und ist mehrere Monate mit unserem braven Bärenherz durch die gefährlichsten Regionen des Felsengebirges gestrichen. Jetzt befindet er sich längst wieder auf dem Kontinent.«

      Während dieses Gesprächs hatte man im Galopp den Weg fortgesetzt. Die offene Prärie lag hinter ihnen, und sie ritten nun durch ein Hügel- und Felsengewirr, das ganz geeignet war, ein Versteck zu bieten. Dies hatte der Apache gewollt, denn plötzlich bog er rechts ein und schlug einen