Karl May

Waldröschen IV. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 2


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Auch ihr seid schuldig, aber ihr sollt nicht sterben. Ihr verlaßt das Haus. Ich konfisziere diese Hazienda mit allem, was dazugehört, als Eigentum des Staates. In einer Stunde müßt ihr fort sein. Ich gewähre euch Pferde, auf die ihr euer Eigentum packen könnt. Auch euer Geld dürft ihr mitnehmen. Jetzt fort aus meinen Augen!« – »Dürfen wir den Toten mitnehmen?« fragte jammernd die Frau. – »Ja. Jetzt aber packt euch!«

      Die Leute nahmen ihren Toten auf, trugen ihn hinaus, und als die Stunde vergangen war, verließen sie tränenden Auges die Hazienda. Jetzt gab Juarez dieselbe seinen Soldaten frei, und es wurde geplündert, so lange etwas zu finden war. Dann schlachtete man einige Rinder und begann im Freien nach Herzenslust zu schmausen.

      Juarez war unterdessen in dem Zimmer geblieben, während Verdoja die Plünderung beaufsichtigt hatte. Als er nun bei dem Indianer eintrat, sagte dieser:

      »So müssen alle enden, die gegen das Wohl des Vaterlands sündigen. Verdoja, seid Ihr treu?«

      Er richtete dabei einen wahren Tigerblick auf den Gefragten. Dieser antwortete ruhig:

      »Ja, Señor; das wißt Ihr.« – »Gut. Ich werde Euch eine Aufgabe erteilen. Habt Ihr Mut?« – »Hm«, lächelte der Hauptmann. »Habt Ihr mich einmal erbleichen sehen?« – »Nein, und darum werdet Ihr es zu hohen Ehren bringen. Kennt Ihr die Provinz Chihuahua genau?« – »Ich bin dort geboren und habe an der Grenze meine Besitzungen.« – »Gut. Ihr werdet Euch nach der Hauptstadt gleichen Namens begeben und meine Interessen dort vertreten. Wir trennen uns heute. Zuerst aber begleitet Ihr mich nach der Hacienda del Erina.« – »Reise ich mit Militärbegleitung?« – »Ihr erhaltet eine Schwadron, mit der anderen kehre ich zurück. Vorwärts!«

      Eine Minute später saßen sie zu Pferde und ritten, nur von einigen Lanzenreitern begleitet, fort. Einer der anwesenden Vaqueros mußte den Führer machen.

      Als sie die Hazienda erreichten, waren sie bereits bemerkt worden. Da die Bewohner derselben gewitzigt waren, so hatten sie das Tor verschlossen. Juarez selbst klopfte an.

      »Wer ist draußen?« fragte Arbellez von innen. – »Soldaten! Öffnet!« – »Was wollt Ihr?« – »Alle Teufel, wollt Ihr öffnen oder nicht?«

      Sternau, Helmers und Mariano standen neben dem Haziendero.

      »Soll ich öffnen?« fragte dieser leise. – »Ja«, antwortete Sternau. »Es sind ja nur einige Reiter.«

      Als das Tor offen war und Juarez in den Hof ritt, musterte er mit funkelndem Auge die Leute, die vor ihm standen.

      »Warum gehorchtet Ihr nicht?« donnerte er. – »Wir kennen Euch nicht«, antwortete Arbellez. »Seid Ihr einer, dem man zu gehorchen hat, Señor?« – »Ich bin Juarez. Kennt Ihr meinen Namen?«

      Arbellez verbeugte sich ohne alle Verlegenheit und antwortete:

      »Wohl kenne ich ihn. Verzeiht, daß wir nicht sogleich öffneten. Tretet in mein Haus; Ihr seid uns willkommen.«

      Er geleitete die beiden Gaste nach dem Salon, wo sie sich ohne Umstände niederließen. Trotz des freundlichen Empfangs hatte Juarez seine finstere Miene nicht verloren und fragte:

      »Saht Ihr uns kommen?« – »Ja, Señor.« – »Und Ihr saht, daß wir Soldaten sind?« – »Ja, das sahen wir.« – »Und Ihr öffnetet trotzdem nicht? Das verdient Strafe!« – »Oh, Señor, der Präsident hat auch Soldaten. Diese würden mir nicht willkommen sein. Ich konnte doch nicht wissen, daß Sie es selbst waren.«

      Juarez‘ Züge heiterten sich auf.

      »Also, ich bin Euch wirklich willkommen.« – »Von Herzen.« – »Warum?« – »Weil Sie eine feste Hand haben, Señor, und diese fehlt unserem armen Land.« – »Ja. Diese feste Hand hat bereits mancher gefühlt. Vorhin wieder einer. Sagt, kennt Du die Hacienda Vandaqua?« – »Ich kenne sie genau.« – »Und alles, was dazu gehört?« – »Alles; ich bin ja der Nachbar.« – »Wieviel Pacht ist diese Besitzung wohl wert, Señor Arbellez?« – »Sie ist ja Eigentum, aber kein Pachtgut.« – »Beantwortet meine Frage!« sagte Juarez ungeduldig. – »Nun, wenn sie sich unter besseren Händen befände, könnte man zehntausend Duros zahlen, jetzt aber nicht.« – »Gut, so sollt Ihr sie für siebentausend Duros zur Pacht erhalten.«

      Arbellez blickte den Indianer verwundert an.

      »Señor, ich verstehe Euch nicht«, sagte er. – »Ich spreche deutlich genug. Ich denke, diese Pachtung liegt Euch bequem. Wollt Ihr sie oder nicht?« – »Ich habe keine Ahnung, daß die Hacienda Vandaqua zu verpachten ist!« – »Sie ist‘s. Ich habe sie für den Staat konfisziert und gebe sie Euch.« – »Und der Besitzer?« fragte Arbellez erschrocken. – »Er starb an meiner Kugel; er war ein Verräter. Seine Familie hat die Besitzung verlassen müssen. Entschließt Euch schnell, Señor!« – »Wenn es so steht, so sage ich ja. Aber …« – »Kein Aber! Holt Schreibzeug! Wir wollen diese Angelegenheit ordnen.«

      Wie alles, was Juarez in die Hand nahm, so wurde auch diese Sache in fliegender Eile und doch ganz sorgfältig und ordnungsmäßig erledigt. Dann sagte er:

      »Dieser Señor ist Hauptmann Verdoja. Er wird einige Tage bei Euch wohnen.«

      Das war dem Haziendero überraschend, aber er ließ sich nichts merken, sondern hieß den Hauptmann willkommen. Juarez fuhr fort:

      »Er hat eine Schwadron Reiter mit. Könnt Ihr diese verpflegen?« Arbellez bejahte diese Frage, obgleich er lieber nein gesagt hätte.

      »Diese Leute werden gegen Abend hier eintreffen. Sorgt für sie und macht dann mit dem Hauptmann Eure Rechnung. Lebt wohl!«

      Er erhob sich und schritt zur Tür hinaus. Verdoja folgte ihm. Sie ritten mit ihrer Begleitung im Galopp davon, die Bewohner der Hacienda del Erina in Verwunderung zurücklassend.

      Weshalb hatte der Nachbar sterben müssen? Weshalb sollte gerade Pedro Arbellez der Pächter sein? Also dieser Mann war Juarez, der große Indianer, den ganz Mexiko fürchtete und zugleich liebte und haßte. Diejenigen, die diese Frage aussprachen, ahnten nicht, welche Folgen die Anordnungen des Parteigängers für sie haben würden.

      Als dieser die Hacienda Vandaqua erreichte, fand er vor dem Haus alles aufgeschichtet, was die Lanzenreiter des Mitnehmens für wert gehalten hatten. Diese Beute wurde geteilt, und so wenig auf den Mann kam, es erregte bei den nicht an Luxus gewöhnten Leuten doch unendliche Freude.

      Nun das vorüber war, erhielt Hauptmann Verdoja seine Instruktion. Sein Aufenthalt bei Arbellez hatte nur den Zweck, die Pferde ausruhen und kräftigen zu lassen, da der Weg hinüber nach Chihuahua ein sehr beschwerlicher ist. Verdoja sollte sich auf der Hacienda del Erina nicht zu lange verweilen und dann schnell seinen Bestimmungsort zu erreichen suchen, wo er im Interesse seines jetzigen Vorgesetzten zu wirken hatte. Beide sprachen lange Zeit heimlich und angelegentlich miteinander. Man sah es ihnen an, daß sie höchst wichtige Sachen besprachen; dann aber schieden sie mit einem einfachen Händedruck voneinander.

      Juarez ließ aufsitzen und flog mit seiner Schwadron den Weg zurück, den er heute am Vormittag gekommen war. Er glich einem Rachegeist, der ebenso schnell verschwindet, wie er kommt, immer aber die blutige Spur seines Wirkens hinter sich läßt

      13. Kapitel

      Es wogt der Aufruhr durch die Gassen,

      Die Höhen leuchten blutig rot;

      Es geht durchs Land ein grimmig Hassen,

      Und reiche Ernte hält der Tod.

      Der Menschheit wild gewordne Scharen

      Zieh‘n mordend durch den weiten Gau,

      Und tausend tückische Gefahren

      Wälzt die Empörung durch die Au‘.

      Das stille Land wird zum Vulkane,

      Der weithin sein Verderben speit.

      Und die Elemente zum Orkane,

      Zertrümmernd alles, weit und breit.

      Es war bereits gegen die Zeit der Abenddämmerung, als donnernder Hufschlag das Nahen der Lanzenreiter verkündigte. Nur die