Karl May

Winnetou 4


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von unten, tief unter uns, kann es nicht gut kommen, das ist sehr richtig! Es ist ein Schabernak, weiter nichts!«

      »Nein, es ist Ernst! Zwar kein Kriegsruf, sondern ein Zeichen, ein wirkliches Zeichen!«

      Ich wiederholte den Schrei noch einmal.

      »Horst du!« rief Pappermann. »Das ist kein alberner Scherz! Der Mann ist entweder wirklich ein Siou Ogallallah oder ein alter Westläufer meines Schlages, der es versteht, das Schlachtgeheul der Roten nachzuahmen, um sie selbst zu täuschen. Das ist ein alter Kamerad, der mich hier sitzen sah und mir sagen will, daß – — —«

      Er wurde unterbrochen, denn von der Hintertür des Hauses her ertönte eine Frauenstimme:

      »Schnell herein, herein! Ich weiß nicht, was ich kochen soll!«

      »Kochen? Man will nicht bloß trinken?«

      »Nein! Auch essen! Und sogar logieren!«

      »So ist ein Fremder da?«

      »Sogar zwei!«

      »Gott sei Dank! Endlich, endlich wieder einmal! Wo sind sie denn?«

      »In Nummer drei und vier! Ein Ehepaar!«

      Da fiel Pappermann schnell ein:

      »Nummer drei und vier? Die liegen nach hinten! Nach hier heraus! Die Fenster stehen offen! Jetzt weiß ich, wo geheult worden ist!«

      »Abermals Unsinn!« widersprach der neue Wirt. »Seit wann hört man denn Ehepaare heulen?!«

      »Sehr oft! Aber hier hat natürlich nicht die Frau geheult, sondern der Mann! Er ist ein Kamerad von mir! Dabei muß es bleiben, oder man soll mich teeren, federn, lynchen und – — —«

      »So kommt doch nur endlich herein!« wurde er von der weiblichen Stimme unterbrochen. »Die Fremden wollen essen, und ich habe doch kein Fleisch und auch kein Geld!«

      Sie verschwanden unten im Haus. Das Herzle aber sagte mit lachendem Mund:

      »Du, da sind wir in eine äußerst glänzende Wirtschaft geraten! Dein alter Pappermann aber ist kein dummer und auch kein übler Kerl! Er beginnt schon jetzt, mir zu gefallen, und ich – — —«

      Da klopfte es laut und kräftig an die Tür.

      »Herein!« rief sie, indem sie sich selbst unterbrach.

      Wer trat herein? Natürlich Pappermann!

      »Pardon!« entschuldigte er sich. »Ich hörte da unten den Kriegsschrei der Sioux Ogallallah und wollte – — – und da dachte – — – und da schien es mir – — – und – — – und – — – Mr. Shatterhand, Mr. Shatterhand – — – halloo, welcome, welcome!«

      Er hatte seine Rede in fließender Weise begonnen, dann aber, als er mich erblickte, gestockt und wieder gestockt, bis er mich erkannte und jubelnd auf mich losstürzte. Er breitete die Arme aus, als ob er mich umfassen und küssen wolle, besann sich aber, daß dies wohl nicht angängig sei, und faßte nur meine Hände. Die aber drückte er in Einem fort, zog sie an sein Herz, an seine Lippen, erging sich in allen möglichen Ausrufungen der wahrsten, herzlichsten Freude, betrachtete mich dazwischen mit tränenden Augen wieder und immer wieder; kurz, es war, als ob er sich vor Entzücken nicht lassen könne. Man sagt, daß man einen Menschen nicht mit einem Tier vergleichen solle; hier aber war es wirklich wie die Liebe und unsägliche Freude eines treuen Hundes, der seinen Herrn wiedersieht, ihn jauchzend umspringt und gar nicht weiß, was er vor lauter Wonne tun und angeben soll. Dem Herzle traten vor Rührung die Tränen in die Augen, und auch ich mußte mich zusammennehmen, um scheinbar ruhig zu bleiben.

      »Nicht wahr, Ihr habt geheult, Ihr, Ihr, Mr. Shatterhand?« fragte er, als der erste, innere Sturm vorüber war.

      »Ja, ich war es«, gab ich zu.

      »Wußte es! Wußte es! Das konnte nur so einer sein wie Ihr!«

      »Ja, nur ich«, lachte ich. »Nicht aber hier meine Frau, wie Ihr ganz richtig zu Euerm Kollegen sagtet.«

      »Eure Frau? Eure Frau? ‚sdeath – Tod und Teufel, da habe ich ganz vergessen, mein Kompliment zu machen! Es ist doch in jeder Prärie und in jeder Savanne gute Sitte, daß man zunächst die Frau und erst dann den Mann begrüßt! Pardon! Ich hole das hiermit nach!«

      Er versuchte, eine sehr devote und sehr elegante Verbeugung zu machen; da bemerkte ich in seiner und meiner Muttersprache:

      »Sie können deutsch mit ihr reden, lieber Pappermann; sie ist eine Deutsche.«

      »Deutsch? Auch das noch! Da küsse ich ihr gar die Hand! Oder lieber gleich alle beide!«

      Er tat es, aber freilich mit der Grazie eines Bären, doch war es gut gemeint. Dann wollte er sofort meine Schicksale erfahren, um mir hierauf die seinigen zu erzählen. Darauf ging ich ganz selbstverständlich nicht ein, denn erstens galt es, Distanzen zu halten, und zweitens muß man zu solchen Dingen die nötige freie Zeit und die richtige Stimmung besitzen. Ich lud ihn ein, mit uns zu speisen, und bat ihn, unten zu sagen, daß wir wünschten, im Garten zu essen, und zwar erst nach Verlauf einer Stunde. Bis dahin werde ich mit meiner Frau einen Spaziergang unternehmen, damit sie die Stadt kennenlerne, in welcher einer meiner alten Kameraden dieses schöne Hotel besitzt.

      »Nicht besitzt, sondern besessen hat«, verbesserte er mich. »Ich werde Ihnen das erzählen.«

      »Aber nicht jetzt, sondern später einmal! Hieran schließe ich die Bitte, auch in Beziehung auf mich so wenig wie möglich zu sprechen. Es soll hier Niemand wissen, wie ich heiße und daß ich ein Deutscher bin – — —«

      »Schade! Jammerschade!« unterbrach er mich. »Ich wollte soeben hier von Ihnen erzählen – — —«

      »Ja nicht, ja nicht!« fiel ich ihm in die Rede. »Ich würde sofort gehen und Sie nie wieder ansehen! Sie mögen meinetwegen sagen, daß auch ich ein alter Westmann bin – — —«

      »Und zwar ein berühmter, ein sehr berühmter!«

      »Nein, keinesfalls! Ich habe meine guten Gründe, über mich nur Schweigsamkeit zu üben. Ich heiße jetzt Burton, und Sie sind viel, viel berühmter gewesen als ich. Verstanden?«

      »Ja.«

      »Wir reden also auch kein Deutsch mehr miteinander. Machen Sie mir ja nicht etwa Fehler!«

      »Keine Sorge! Ich heiße Maksch Pappermann, und wenn es darauf ankommt, bin ich stumm und taub. Ich vermute, es handelt sich um irgendeines Ihrer alten oder vielmehr nun wieder neuen Abenteuer?«

      »Möglich! Vielleicht vertraue ich mich Ihnen an, aber nur dann, wenn ich mich überzeuge, daß Sie wirklich schweigsam sind. Jetzt gehen Sie!«

      Er machte eine zweite Verbeugung und entfernte sich, den ihm gewordenen Auftrag auszufahren. Wir aber unternahmen den beabsichtigten Rundgang durch die Stadt, von dem wir pünktlich zur angegebenen Zeit heimkehrten. Wir gingen da zunächst nach unseren Zimmern. Von dort aus sahen wir, daß neue Gäste gekommen waren, nämlich ein halbes Dutzend junger Menschen, die auch im »Garten« essen wollten. Für uns war bereits gedeckt, für sie aber nicht. Man hatte ihnen eine Art von Tafel mit Stühlen herausgestellt. Da saßen sie nun vor einer Flasche Brandy und vollführten einen Heidenlärm, weil das einzige weiße Tuch, welches der Wirt besaß, über unsern Tisch gebreitet war, nicht über den ihren. Auch verlangten sie das für uns soeben fertig gewordene Essen. Sie hatten Pappermann gezwungen, sich zu ihnen zu setzen und mit ihnen zu trinken, und er war so klug gewesen, sich ihnen zu fügen. Nun schrien sie alle auf ihn ein. Sie wollten ihn nicht nur ärgern, sondern auch foppen; er aber zeigte sich dabei so ruhig und unberührt, wie es ihm als alten Wald- und Savannenläufer geziemte. Der von ihnen, welcher das größte Wort führte, hieß, wie wir später erfuhren, Howe. Eben als wir in unsere Räume, deren Fenster noch offen standen, getreten waren, hörten wir ihn sagen:

      »Wer ist denn eigentlich dieser Mr. Burton, der das Alles vor uns voraushaben soll?«

      Pappermann warf einen Blick nach unseren Fenstern. Er sah mich stehen. Da nickte er leise vor sich hin und antwortete.

      »Er ist Musikant.«

      »Musikant?