Karl May

Durch die Wuste


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Das Gesetz sagt es so.«

      »Und wenn ich es nicht zugebe?«

      »Wie wolltest du dies anfangen? Ich bin der Reïs meiner Dahabië und habe nach den Vorschriften des Gesetzes zu handeln.«

      »Und ich bin der Reïs meines Willens.«

      Jetzt trat Isla zu uns. Ich wollte ihm keine zudringliche Frage vorlegen, aber er begann selbst:

      »Kara Ben Nemsi, du bist mein Freund, der beste Freund, den ich gefunden habe. Soll ich dir erzählen, wie Senitza in die Hände des Aegypters gekommen ist?«

      »Ich möchte es sehr gerne hören, doch zu einer solchen Erzählung gehört die Ruhe und Sammlung, welche wir jetzt nicht haben können.«

      »Du bist unruhig? Weshalb?«

      Er hatte das hinter uns segelnde Fahrzeug noch nicht bemerkt.

      »Drehe dich um, und siehe diesen Sandal.«

      Er wandte sich um, sah das Schiff und fragte:

      »Ist Abrahim an Bord?«

      »Ich weiß es nicht, aber es ist sehr leicht möglich, weil der Kapitän ein Schurke ist, der sich von Abrahim erkaufen lassen wird.«

      »Woher weißt du, daß er ein Schurke ist?«

      »Abu el Reïsahn sagt es.«

      »Ja,« bestätigte dieser; »ich kenne diesen Kapitän und kenne auch sein Schiff. Selbst wenn es weiter entfernt wäre, würde ich es an seinem Segel erkennen, welches dreifach ausgebessert und zusammengeflickt ist.«

      »Was werden wir tun?« fragte Isla.

      »Zunächst abwarten, ob Abrahim sich an Bord befindet.«

      »Und wenn er da ist?«

      »So kommt er nicht zu uns herüber.«

      Unser Schiffsführer prüfte den Fortgang des Sandal und denjenigen, den wir selbst machten, und meinte dann:

      »Er kommt uns immer näher. Ich werde eine Triketha[29] beisetzen lassen.«

      Dies geschah, aber ich merkte bereits nach einigen Minuten, daß die Entscheidung dadurch höchstens verzögert, nicht aber aufgehoben werde. Der Sandal kam uns immer näher; endlich war er nur noch eine Schiffslänge von uns entfernt und ließ das eine Segel fallen, um seine Schnelligkeit zu vermindern. Wir sahen Abrahim-Mamur auf dem Deck stehen.

      »Er ist da!« sagte Isla.

      »Wo steht er?« fragte der Reïs.

      »Ganz vorn am Buge.«

      »Dieser? Kara Ben Nemsi, was tun wir? Sie werden uns ansprechen, und wir müssen ihnen antworten.«

      »Wer hat nach deinen Gesetzen zu antworten?«

      »Ich, der Inhaber meiner Dahabië.«

      »Merke auf, was ich dir sage, Abu el Reïsahn. Bist du bereit, mir dein Schiff von hier bis Kahira zu vermieten?«

      Der Kapitän sah mich erstaunt an, begriff dann aber gleich, was ich für einen Zweck verfolgte.

      »Ja,« antwortete er.

      »Dann bin also ich der Inhaber?«

      »Ja.«

      »Und du als Reïs mußt tun, was ich will?«

      »Ja.«

      »Und bist für nichts verantwortlich?«

      »Nein.«

      »Gut. Rufe deine Leute zusammen!«

      Auf seinen Ruf kamen alle herbei, und der Kapitän erklärte ihnen:

      »Ihr Männer, ich sage euch, daß dieser Effendi, welcher Kara Ben Nemsi heißt, unsere Dahabië von hier bis nach Kahira gemietet hat. Ist es nicht so?«

      »Ja, es ist so,« bestätigte ich.

      »Ihr könnt mir also bezeugen, daß ich nicht mehr Herr des Schiffes bin?« fragte er die Leute.

      »Wir bezeugen es.«

      »So geht an eure Plätze. Das aber müßt ihr wissen, daß ich die Leitung des Schiffes behalte, denn Kara Ben Nemsi hat es mir befohlen.«

      Sie entfernten sich, sichtlich befremdet über die sonderbare Mitteilung, welche ihnen geworden war.

      Mittlerweile war der Sandal in gleiche Linie mit uns gekommen. Der Kapitän desselben, ein alter langer, sehr hagerer Mann mit einer Reiherfeder auf dem Tarbusch, trat an die Bordung und fragte herüber:

      »Ho, Dahabië; welcher Reïs?«

      Ich neigte mich vor und antwortete:

      »Reïs Hassan.«

      »Hassan Abu el Reïsahn?«

      »Ja.«

      »Schön, kenne ihn,« antwortete er mit schadenfroher Miene. »Ihr habt ein Weib an Bord?«

      »Ja.«

      »Gebt es heraus!«

      »Chalid Ben Mustapha, du bist verrückt!«

      »Wird sich finden. Wir werden bei euch anlegen.«

      »Das werden wir verhindern.«

      »Wie willst du dies anfangen?«

      »Das will ich dir sofort zeigen. Merke auf die Feder an deinem Tarbusch!«

      Ich erhob sehr schnell die Büchse, welche ich, ohne daß er sie gesehen hatte, bereit gehalten hatte, zielte und drückte los. Die Feder flog herab. Selbst das entsetzlichste Unglück hätte den würdigen Ben Mustapha nicht so in Aufregung versetzen können, wie dieser Warnungsschuß. Er fuhr so hoch in die Luft, als beständen seine hageren Gliedmaßen aus elastischem Gummi, hielt sich den Kopf mit beiden Händen und floh hinter den Mast.

      »Jetzt weißt du, wie ich schieße, Ben Mustapha,« rief ich hinüber. »Wenn dein Sandal noch eine einzige Minute bei uns backseits fährt, so schieße ich dir nicht die Feder vom Tarbusch, sondern die Seele aus dem Leibe; darauf kannst du dich verlassen!«

      Diese Drohung hatte eine augenblickliche Wirkung. Er eilte an das Steuer, riß es aus den Händen dessen, der es bisher regiert hatte, und drehte ab. In zwei Minuten befand sich der Sandal in einer solchen Entfernung von uns, daß ihn meine Kugel nicht erreichen konnte.

      »Jetzt sind wir für den Augenblick sicher,« meinte ich.

      »Er wird nicht wieder so nahe kommen,« stimmte Hassan bei; »aber er wird uns auch nicht aus dem Auge lassen, bis wir irgendwo an das Ufer legen, wo er die Hilfe des Gesetzes in Anspruch nehmen wird. Die fürchte ich freilich nicht; aber ich fürchte etwas anderes.«

      »Was?«

      »Das da!«

      Er deutete mit der Hand hinaus auf das Wasser, und wir verstanden sogleich, was er meinte.

      Schon seit einiger Zeit hatten wir bemerkt, daß die Wogen mit größerer Gewalt und Schnelligkeit vorwärts strebten als vorher und die jetzt felsig gewordenen Ufer einander immer näher traten. Wir näherten uns nämlich einer jener Stromschnellen, welche, mehr oder weniger gefahrdrohend für den Schiffer, dem Verkehre auf dem Nile fast unüberwindliche Hindernisse entgegenstellen. Jetzt mußte die Feindschaft der Menschen schweigen, damit sich die ungeteilte Aufmerksamkeit aller auf das drohende Element richten konnte. Die Stimme des Reïs tönte laut schallend über das Deck:

      »Blickt auf, ihr Männer, der Schellahl kommt, der Katarakt! Tretet zusammen und betet die heilige Fatcha!«

      Die Leute folgten seinem Gebote und begannen:

      »Behüte uns, o Herr, vor dem von dir gesteinigten Teufel!«

      »Im Namen des Allbarmherzigen!« intonierte der Reïs.

      Darauf fielen die andern ein und beteten die Fatcha, die erste Sure des Koran.

      Ich muß gestehen, daß dieses Gebet auch mich ergriff, aber nicht aus Furcht vor der Gefahr, sondern aus Ehrfurcht vor der tief im Herzen wurzelnden Religiosität dieser halbwilden Menschen, welche nichts tun und