Gogol Nikolai Vasilevich

Sämmtliche Werke 4: Mirgorod


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in fünfundzwanzig unterirdischen und mit Rasen bedeckten Schmieden niederfielen. Auf der Straße saßen riesige Gerber und walkten unter dem Schutzdach die Ochsenhäute mit ihren muskulösen Händen. Zahlreiche Krämer saßen unter ihren Zelten vor ganzen Haufen von Feuersteinen und Pulver; ein Armenier bot teure Tücher zum Verkauf aus, ein Tatar drehte ein in Teig gehülltes Lamm am Bratspieß, ein Jude zog mit vorgestrecktem Kopf Branntwein aus einem Faß ab. Der erste Mensch, der ihnen begegnete, war ein Saporoger, der mit weit ausgestreckten Händen und Füßen mitten auf dem Wege schlief. Taraß Bulba konnte nicht umhin, haltzumachen und ihn mit großem Vergnügen zu betrachten. „Du hast es dir aber ordentlich bequem gemacht! Verdammt noch einmal, bist du ein prächtiger Bursche!“ rief er aus und hielt an. Das Bild, das sich ihnen darbot, war in der Tat sonderbar genug: der Saporoger lag breit wie ein Löwe mitten auf dem Wege, sein stolz zurückgeworfener Haarschopf bedeckte mindestens drei Fuß vom Boden, und die Beinkleider aus teurem roten Tuch waren mit Teer beschmutzt, um die vollkommene Verachtung ihres Besitzers gegen solche Dinge recht deutlich zu zeigen. Nachdem Bulba sich an diesem Bilde sattgeschaut hatte, ritt er weiter durch die engen Straßen, die voll von Handwerkern, welche ihren Beruf gleich hier an Ort und Stelle ausübten, und von Leuten aller möglichen Nationalität war, die den Vorort bevölkerten. Es sah hier fast so aus wie auf einem Jahrmarkt, der die ganze Sjetsch kleidete und nährte, da diese sich ja nur aufs Herumlungern und Schießen verstand.

      Endlich hatten sie die Vorstadt hinter sich und erblickten einige zerstreut liegende Gebäude, die mit Rasen oder auch, nach tatarischer Art, mit Filz bedeckt waren. Vor einzelnen von ihnen standen Kanonen. Nirgends sah man einen Zaun oder eins jener niedrigen Häuser mit einem Schutzdach auf niedrigen Holzsäulen, wie man sie in der Vorstadt fand. Ein kleiner Wall und ein Verhau, ohne die geringste Bewachung, zeugten von einer unglaublichen Sorglosigkeit. Einige riesenhafte Saporoger Kosaken, die mit ihrer Pfeife in den Zähnen mitten auf dem Wege herumlagen, schauten die Ankömmlinge ziemlich gleichgültig an und rückten nicht vom Fleck. Taraß ritt mit seinen Söhnen vorsichtig zwischen ihnen hindurch und sagte: „Guten Tag, meine Herren.“ „Gleichfalls,“ antworteten die Saporoger. Überall, und auf dem ganzen Felde, sah man in malerischen, bunten Gruppen große Mengen Volkes lagern. Ihre gebräunten Gesichter zeugten davon, daß sie im Pulverdampf der Schlacht gestählt waren und mancherlei Ungemach erfahren hatten. Das also war sie, die Sjetsch! Das war die Höhle, aus der all die Helden hervorgingen, stark und stolz wie Löwen! Das war der Ort, von dem aus sich Rittertum und Freiheit über die ganze Ukraine ergoß!

      Die Reisenden lenkten ihre Pferde nach einem geräumigen Platze, wo sich gewöhnlich der Rat versammelte. Auf einem großen umgestürzten Fasse saß ein Saporoger, ohne Hemd; er hielt es in der Hand und stopfte langsam und bedächtig die Löcher. Wiederum versperrte ihnen ein ganzer Haufen von Musikanten den Weg, in deren Mitte ein junger Saporoger, die Mütze auf dem Ohr und mit hocherhobnen Händen, einen Tanz aufführte. Er schrie fortwährend: „Spielt doch schneller, ihr Musikanten! Thomas, schenk tüchtig Branntwein ein, spar doch nicht so bei rechtgläubigen Christen.“ Und Thomas, der ein angeschwollenes Auge hatte, reichte jedem, der an ihn herantrat, einen ungeheuren Becher. Um den jungen Saporoger herum, führten vier Alte mit kleinen Schritten allerlei Tänze aus; bald flogen sie zur Seite wie ein Wirbelwind, wobei sie fast die Köpfe der Musikanten berührten, bald setzten sie sich unvermutet nieder und begannen mit ihren silberbeschlagenen Absätzen laut und hart auf den festgetretenen Fußboden zu stampfen. Dumpf dröhnte die Erde in der ganzen Umgebung, und die Hopps und Topps, die mit den klingenden Sporen der Stiefel geschlagen wurden, schallten laut durch die Luft. Ein Kosak aber schrie lauter als alle andern und drehte sich mit den andern im Tanze. Sein Haarzopf flatterte im Winde, die starke Brust war ganz entblößt, über die Schulter aber hatte er den warmen Wintermantel geworfen, so daß ihm der Schweiß unaufhörlich in Strömen von der Stirn lief.

      „Zieh doch wenigstens den Pelz aus,“ sagte endlich Taraß. „Sieh doch, wie du dampfst.“

      „Das geht nicht,“ schrie der Saporoger.

      „Weshalb nicht?“

      „Das geht nicht, das ist bei mir nun mal nicht anders: habe ich ihn erst einmal abgenommen, so vertrinke ich ihn auch!“

      Der junge Bursche hatte schon längst keine Mütze, keinen Gürtel am Rock und kein buntes Tuch mehr: alles war schon dorthin gewandert, wo es hingehörte. Der Haufen wurde immer größer, neue Ankömmlinge schlossen sich dem Tanze an, und man konnte nicht ohne Bewegung sehen, wie hier alles an dem tollsten, leidenschaftlichsten aller Tänze, den die Welt je gesehen hat, und der nach seinen kräftigen Erfindern „Kosatschok“ benannt ist, teilnahm.

      „Säße ich bloß nicht zu Pferde,“ rief Taraß aus, „wahrhaftig, ich wollte selbst loslegen und mittanzen!“

      Unterdessen mischten sich hie und da auch einzelne graue, alte Männer unter die Menge, die in der ganzen Sjetsch wegen ihrer Verdienste geachtet und schon oft Kosakenälteste gewesen waren. Taraß traf bald eine Unzahl Bekannte, und Ostap und Andrij hörten fortwährend Begrüßungsworte: „Holla, da bist du ja, Petscheriza!“ „Guten Tag, Kosolup!“ „Wo kommst du denn her, Taraß?“ „Wie geht’s Doloto?“ „Guten Tag, Kirdjaga!“ „Guten Tag, Gustyj!“ „Ich hätte nie geglaubt, dich in diesem Leben noch einmal wieder zusehen, Remen!“

      Und all die Helden, die hier aus der großen Wildnis des östlichen Rußlands zusammengekommen waren, küßten einander, und zahllose Fragen flogen hin und her.

      „Was macht Kasjan?“ „Und Borodawka?“ „Wo steckt Kolopjor?“ „Und Pidsyschok?“ Und Taraß bekam fortwährend Antworten wie etwa folgende: Borodawka sei in Tolopan aufgeknüpft, Kolopjor sei bei Kisikirmen lebendigen Leibes geschunden worden, Pidsyschoks Kopf sei eingesalzen und in einem Fasse nach Konstantinopel geschickt worden usw. Und der alte Bulba blickte traurig zu Boden und sagte gedankenvoll: „Und waren doch so wackere Kosaken!“

      Drittes Kapitel

      Nun lebte Taraß Bulba bereits seit einer Woche mit seinen Söhnen in der Sjetsch. Ostap und Andrij beschäftigten sich nur wenig mit den militärischen Übungen. Die Sjetsch liebte es nicht, mit solch langweiligen Dingen ihre Zeit zu verlieren. Die jungen Leute wurden durch die Erfahrung erzogen und im Feuer der Schlachten ausgebildet, und daher mußten diese unaufhörlich erneuert werden. Die Kosaken fanden es langweilig, sich in den Ruhezeiten mit irgendwelchen Übungen abzugeben: sie versuchten sich höchstens mal im Scheibenschießen, oder veranstalteten große Ritte, oder jagten in der Steppe und auf den Wiesen nach wilden Tieren; die übrige Zeit war den Zechgelagen und ähnlichen Vergnügungen gewidmet – ein Zeichen der großen Leidenschaftlichkeit ihrer Seelen. Überhaupt war die ganze Sjetsch eine außerordentliche Erscheinung: hier herrschte eine nie endenwollende Feier, gleichsam ein Fest, das lärmvoll begonnen, ewig fortdauerte. Einige von den Bewohnern trieben ein Handwerk, andere hatten Kramläden und handelten mit allerlei Dingen – die meisten jedoch lungerten von früh bis spät herum, wenn ihre Taschen ihnen noch eine Möglichkeit dazu boten, und das erworbene Geld noch nicht in die Hände der Kaufleute und Gastwirte übergegangen war. Dieses allgemeine Zechen und Prassen hatte etwas geradezu Sinnbetörendes an sich. Das war kein Haufe von Zechern, die aus Verzweiflung und Elend tranken, das war eine völlig ursprüngliche und unbändige Fröhlichkeit. Wer hierher kam, vergaß alles und ließ alles liegen, was ihn bisher beschäftigt hatte. Man kann sagen: er pfiff auf seine Vergangenheit. Sorglos ergab er sich der Freiheit, dem geselligen Zusammensein mit gleichen Naturen und Abenteurern wie er selbst, die weder Angehörige, Familie, noch Haus und Hof besaßen, sondern nur den freien Himmel und ein ewiges Verlangen nach ewigen Festen und Feiertagen in ihrer Seele trugen. So entstand jene fessellose Fröhlichkeit, die aus keiner andern Quelle hätte kommen können. Die Erzählungen und Geschichten der mitten zwischen dem versammelten Volk faul auf den Boden Lagernden reizten so zum Lachen und atmeten solches Leben, daß es schon der ganzen Gelassenheit des Saporogers bedurfte, eine unbewegte Miene beizubehalten und nicht einmal mit den Mundwinkeln zu zucken – ein Charakterzug, der den Kleinrussen bis heut’ noch von seinen südrussischen Brüdern unterscheidet. Es war eine trunkene, lärmende Fröhlichkeit, aber nicht in einer verräucherten Schenke, wo der Mensch in einer finsteren, bizarren Ausgelassenheit Vergessenheit von seinem Schmerz sucht, dies war vielmehr ein enger Kreis von Freunden und Schulgenossen. Der einzige Unterschied bestand darin, daß die Menschen