weite unbegrenzte Steppe, die keinem von ihnen Sorgen machte, die von niemandem bewacht wurde, und wo bloß hier und da der flinke Kopf eines Tataren auftauchte, oder ein Türke finster und unbeweglich unter dem grünen Turban hervorschaute. Ferner kam hinzu, daß sie hier nicht ein fremder Wille zusammenführte, wie in der Schule, sondern eigner Entschluß: hatten sie doch selbst Väter und Mütter verlassen und waren dem elterlichen Hause heimlich entlaufen. Hier gab es Männer, deren Hals der Strick bereits berührt hatte, und die statt des blassen Todes noch mit Mühe das Leben erwischten, dies unbändige Leben voll herrlichen Genusses und Fröhlichkeit; hier hausten Menschen, die aus einer edlen Gewohnheit keine Kopeke in der Tasche behalten konnten, und wieder andere, die bisher einen Dukaten für einen großen Schatz gehalten hatten, und denen man dank den jüdischen Pächtern die Taschen umkehren konnte, ohne Gefahr zu laufen, daß etwas herausfiele. Hier befanden sich Seminaristen, die die akademischen Ruten nicht vertragen und in der Schule keinen Buchstaben gelernt hatten – zugleich aber auch solche, die ihren Horaz und Cicero kannten und über das Wesen der römischen Republik Bescheid wußten. Hier traf man viele jener Offiziere, die sich später in den königlichen Heeren auszeichneten, sowie jene erprobten Parteigänger, die die edle Überzeugung hegten, daß es gleichgültig sei, wo man kämpfe, wenn man nur überhaupt kämpfen konnte, denn es sei eines ritterlichen Mannes nicht würdig, ein Leben ohne Kämpfe und Schlachten zu führen. Endlich gab es auch eine Anzahl solcher, die nur in die Sjetsch gekommen waren, um sagen zu können: sie seien in der Sjetsch gewesen und seien folglich im Kampf gestählte Krieger. Aber was gab es hier nicht? Diese sonderbare Republik war durchaus ein Bedürfnis jener Zeit. Für Liebhaber des kriegerischen Lebens, goldener Becher, reicher Gewebe, Dukaten und Schaumünzen gab es hier jederzeit genug zu tun. Nur die Verehrer der Frauen kamen nicht auf ihre Rechnung: denn nicht einmal in der Vorstadt der Sjetsch durfte sich eine Frau zeigen … Ostap und Andrij fanden es sonderbar, daß niemand die zahlreichen Menschen, die mit ihnen in die Sjetsch gekommen waren, nach ihrer Herkunft und ihrem Namen fragte. Sie kamen hierher, als ob sie in ihr eigenes Haus zurückkehrten, das sie erst vor einer Stunde verlassen hatten. Der Ankömmling meldete sich bloß beim Hauptmann, der gewöhnlich fragte: „Grüß Gott. Glaubst du an Christus?“ „Ja, ich glaube,“ antwortete der Ankömmling. „Auch an die heilige Dreieinigkeit?“ „Auch das.“ „Besuchst du die Kirche?“ „Ja, ich besuche sie.“ „Gut, bekreuzige dich einmal.“ Der Ankömmling tat es. „Schön,“ sagte der Hauptmann, „geh und wähl dir selbst das Kosakendorf, das dir gefällt.“ Und damit war die Zeremonie beendet. Die ganze Sjetsch betete in derselben Kirche und war bereit, sie bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen, trotzdem sie von Fasten und Enthaltsamkeit nichts wissen wollte. Nur die, nebenbei bemerkt, äußerst geldgierigen Juden, Armenier und Tataren wagten es, sich in der Vorstadt niederzulassen und hier ihre Kramläden aufzuschlagen, denn die Saporoger handelten nur ungern und zahlten gewöhnlich so viel Geld, als sie mit einem Griff aus der Tasche holten. Übrigens war das Los dieser habsüchtigen Händler sehr traurig; man konnte sie fast mit den armen Leuten vergleichen, die am Fuße des Vesuvs wohnten, denn sobald es den Saporogern an Geld fehlte, zertrümmerte die rohe Bande die Buden der Krämer und nahm sich alles, was sie brauchte, auch ohne Zahlung.
Die Sjetsch bestand aus mehr als sechzig Niederlassungen, die ebenso viele völlig voneinander unabhängige Republiken darstellten. Sie glichen Schulen oder Seminaren, deren Zöglinge in der Anstalt gekleidet und beköstigt werden. Niemand besaß etwas, oder legte sich Vorräte an, alles befand sich in den Händen des Kosakenhauptmanns, den man deshalb auch gewöhnlich „Väterchen“ nannte. Er verwaltete das Geld, die Kleidung, den gesamten Speisevorrat, den Roggen- und Weizenteig, die Grütze und sogar das Heizmaterial: auch das Barvermögen wurde ihm zur Aufbewahrung gegeben. Zwischen den einzelnen Niederlassungen brachen des öfteren Streitigkeiten aus, die sogleich in Schlägereien ausarteten. Der Marktplatz füllte sich mit den Bewohnern der Dörfer, und man bearbeitete sich so lange mit den Fäusten, bis irgend eine Partei niedergekämpft war, und dann begann ein Zechgelage und ein großer Jubel. Das war die Sjetsch, die eine so starke Anziehungskraft auf die jungen Leute ausübte.
Ostap und Andrij stürzten sich mit der ganzen Leidenschaft der Jugend in dieses Freudenmeer, vergaßen schnell das väterliche Haus, das Seminar und alles, was ihre Seele bisher bewegt hatte, und gaben sich ganz dem neuen Leben hin. Alles fesselte sie hier: die wilden Sitten der Sjetsch, ihr einfaches Gerichtswesen und ihre Gesetze, die ihnen freilich manchmal für eine freie Republik gar zu streng erschienen. Wurde ein Kosak beim Diebstahl irgend einer Kleinigkeit ertappt, so galt dies für eine dem gesamten Kosakentum zugefügte Beleidigung: er wurde für ehrlos erklärt, an den Schandpfahl gebunden, und es wurde eine Holzkeule neben ihn gelegt, mit der jeder Vorübergehende ihm einen Schlag versetzen mußte, bis man ihn zu Tode gemartert hatte. Den säumigen Schuldner schmiedete man mit einer Kette an eine Kanone, wo er so lange gefesselt blieb, bis einer seiner Kameraden ihn auslöste und seine Schuld beglich. Den stärksten Eindruck aber übte die unerhört grausame Strafe, mit der der Mord bestraft wurde, auf Andrij aus: vor den Augen des Verurteilten wurde eine Grube gegraben, in die er lebendig hinabgestürzt wurde, dann senkte man den Sarg mit dem Leichnam des Ermordeten in die Grube hinab und schüttete Erde darüber. Noch lange nachher mußte Andrij an diesen entsetzlichen Brauch zurückdenken, und fortwährend stand der mitsamt dem grauenhaften Sarge lebendig begrabene Mensch vor seinen Augen.
Die beiden jungen Kosaken wurden schnell beliebt bei ihren Kameraden. Oft begaben sie sich mit ihren Lagergenossen und zuweilen auch mit dem ganzen Bezirk oder auch mit benachbarten Niederlassungen in die Steppe zur Jagd auf unabsehbare Scharen von Vögeln, Hirschen und Ziegen, oder sie zogen bis an die Seen, Bäche und Ströme, die jedem Dorf durch das Los zugeteilt wurden, um zu angeln, ihre Netze auszuwerfen und reiche Beute für ihr Lager mitzubringen. Obgleich es keine Wissenschaften gab, in der der Kosak geprüft wurde, machten sie sich doch unter den andern jungen Leuten durch ihre ehrliche Kühnheit und ihre Erfolge bemerkbar. Gewandt und sicher schossen sie ins Ziel und durchschwammen den Dnjepr selbst gegen die Strömung: eine Tat, für die der Neuling feierlich in den Kreis der Kosaken aufgenommen wurde.
Jedoch der alte Taraß sah sich nach einer anderen Tätigkeit für sie um. Das müßige Leben seiner Söhne war nicht nach seinem Wunsch: er verlangte ernstere Aufgaben für sie. Oft dachte er nach, wie er die Sjetsch zu einem kühnen Zuge bewegen könne, bei dem es eine einem Ritter geziemende Betätigung gab. Endlich aber ging Taraß eines Tages zum Hauptmann und sagte ohne Umschweife zu ihm: „Hauptmann, es wär’ Zeit, daß die Saporoger sich wieder einmal tüchtig austobten.“
„Es ist keine Gelegenheit dazu vorhanden,“ antwortete der Hauptmann, indem er seine kleine Pfeife aus dem Munde nahm und ausspuckte.
„Was, keine Gelegenheit? Man könnte doch gegen die Türken oder gegen die Tataren losgehen!“
„Nein, das kann man nicht. Weder gegen die Türken noch gegen die Tataren,“ antwortete der Hauptmann und steckte kaltblütig seine Pfeife zwischen die Zähne.
„Und warum nicht?“
„Weil wir dem Sultan versprochen haben, Frieden zu halten.“
„Aber er ist doch ein Mohammedaner, und Gott und die heilige Schrift befehlen, die Heiden auszurotten!“
„Wir haben kein Recht dazu. Ja, wenn wir nicht bei unserm Glauben geschworen hätten, dann ginge es vielleicht, so aber ist es unmöglich.“
„Warum unmöglich? Wie kannst du sagen, wir hätten kein Recht dazu? Sieh mal, ich habe zwei Söhne, beide sind junge Burschen. Weder der eine noch der andere war ein einziges Mal in der Schlacht, und da behauptest du, wir hätten kein Recht dazu, und sagst, die Saporoger dürften nicht in den Kampf ziehen!“
„Nein, es geht nicht.“
„Wie es scheint, soll wohl die ganze Kosakenkraft unnütz vergeudet werden, der Mensch soll wohl tatenlos faulen wie ein Hund, und weder das Vaterland noch die ganze Christenheit soll einen Nutzen von ihm haben? Wozu leben wir denn da – warum zum Teufel leben wir denn überhaupt? Bitte, erkläre mir das! Du bist ein kluger Mensch, sie haben dich nicht umsonst zum Hauptmann gewählt; also sprich: wozu leben wir?“
Der Hauptmann antwortete nicht auf diese Frage. Er war ein starrköpfiger Kosak. Er schwieg eine Weile still und meinte dann: „Einen Krieg gibt es dennoch nicht!“
„Es