sich, dass genug faule Subjekte sich in ihr befanden. Der Steuermann debutirte mit einem kolossalen Rausch, unter dessen Einfluss er so viel dummes Zeug beging, dass der Kapitän genöthigt war, ihn bis zur Wiederkehr der Nüchternheit einzusperren. Zwei Matrosen versuchten Krankheit zu schwindeln, einer war in Folge von Verletzung beim Ankerhieven wirklich arbeitsunfähig, und die meisten anderen arbeiteten so träge, dass man sich ärgern musste, wenn man ihnen zusah.
Solcher Art waren die Auspizien, welche den Beginn einer langen, gefährlichen und verantwortungsschweren Reise bezeichneten, der ersten, die der Kapitän selbständig unternahm, nachdem er bis vor Kurzem Steuermann der Euphrosyne gewesen war. Alles hing für ihn von einer glücklichen und schnellen Fahrt ab. Passirte ein Unglück, dauerte die Reise zu lang, oder kostete er seinem Rheder mehr Geld, als dieser wünschte, so war ihm nach der Rückkunft in Hamburg die Entlassung gewiss, und er selbst mit Weib und Kindern dem Elend preisgegeben, ein Schicksal, dem in der gegenwärtigen traurigen Zeit des Stillstandes von Handel und Verkehr und bei dem herrschenden grossen Missverhältniss zwischen Angebot und Nachfrage so viele unserer tüchtigsten Seeleute anheimgefallen sind.
Als wir die Nacht über bei Kuxhaven vor Anker gelegen und die telegraphisch requirirte Chronometerkorrektion erhalten hatten, gingen wir am Morgen des 17. Novembers endlich in See. Der kleine Dampfer schleppte uns noch bis zum inneren Feuerschiff. Dann aber riss er sich los, um nach Hamburg zurückzukehren. Die Segel wurden entfaltet, und von einem sanften Südwind leicht gebläht, begannen sie, uns leise nordwestwärts zu führen. Bald erschien das äussere Feuerschiff, und hier verliess, mit den letzten Abschiedsgrüssen an die Zuhausegebliebenen reichlich beladen, der Lootse die Euphrosyne, die nun gänzlich auf sich selbst angewiesen war.
Nordsee – Mordsee, unwirsches, tückisches Gewässer, von dessen Launen ich schon gar manche Probe erfahren, wieder lag sie vor mir und that so sanft und unschuldig, als ob sie keinem Menschen böse sein könnte. Kaum dass sich die grüne Fläche des Wassers kräuselte und mit kleinen plätschernden Wellen den Bug des Schiffes umspielte. Die Luft des Horizonts war trübe, aber nur dünnes Gewölk verschleierte die Sonne und gestattete ihr, mit einem hellen, kalten, unheimlichen Schimmer den weitgedehnten Rücken der Salzfluth zu übergiessen. Die Jahreszeit war ungünstig, und das Barometer fiel langsam und stetig. Man musste sich auf einen Sturm gefasst machen. Es galt jetzt, so viel als möglich See zu gewinnen und so weit als möglich vom Lande sich fern zu halten.
Die grauen Umrisse der beiden Thürme auf Neuwerk, das letzte Stückchen Deutschland, verschwanden hinter uns unter den Horizont, und vor uns tauchte der einsame Thonfelsen von Helgoland empor. Als es Abend wurde, blinkte sein Feuer zu unserer Rechten, wich zurück und war nach einigen Stunden ausser Sicht. Die See begann höher zu gehen, dünende Wogen hoben und senkten das Schiff. Die Jammertöne der Seekrankheit regten sich im Zwischendeck, das Volk der Passagiere, bisher ausgelassen lustig und lärmend, wurde still und in sich gekehrt.
Der folgende Tag brachte uns flauen Wind und die Gefahr einer Kollision. Eine Bark, welche kurz vor uns von Kuxhaven abgegangen war, lag in Lee unfern auf dem Wasser, ebenso wie wir mit schlaff an den Raaen herabhängenden, klappernden Segeln. Nur hie und da versuchte ein sanfter Zephyr die Leinwand zu blähen, jedesmal frohe Hoffnung erweckend, aber nur um nach einigen Minuten höhnisch wieder abzulassen und sich schadenfroh an unserer Hilflosigkeit zu weiden.
So lange wir guten Wind von hinten hatten, waren wir mit jener Bark um die Wette gesegelt. Sie war tief geladen, die Euphrosyne jedoch, nur Ballast und wenig Ladung sowie Passagiere, die leichteste Waare, tragend, ragte mit ihrem Körper weit aus dem Wasser und segelte deshalb vor dem Winde um so besser und um so schlechter beim Winde. Gerade als unser Gegner eingeholt und wir in gleicher Höhe mit ihm waren, sprang der Wind nach der Seite um, wurde flauer und hörte endlich ganz auf. Immer näher rückten einander die beiden Schiffe. Wir konnten bereits deutlich mit blossem Auge den Namen und Heimathshafen der Bark »Alartus Hamburg« an ihrem Heck lesen, und noch immer kein Wind, der uns aus der drohenden Lage befreite. Die kleinen Lüftchen, die sich zuweilen regten, genügten vielleicht, den Alartus, wenn er von seinem Kurse abfiel, wegzutreiben, während wir keinen Raum zu vergeben hatten. Auf dem Alartus aber schien man sich wenig um unsere Nachbarschaft zu kümmern. Umsonst flehte unser Kapitän wiederholt durch das Sprachrohr hinüber, auf die Gefahr zu achten, es erfolgte keine Antwort.
Dieser Zustand währte den ganzen Nachmittag und bis in die Nacht hinein. Ich war vollauf beschäftigt, in meiner Kammer und in den Hospitälern Alles seeklar zu richten, zu ordnen und für den erwarteten Sturm festzustauen. Die schwebende Angelegenheit draussen machte mir nicht den Eindruck der grossen Wichtigkeit, die sie in der That hatte, und das beständige Hin- und Herrennen und Schreien der Offiziere beunruhigte mich nicht mehr, nachdem es bereits mehrere Stunden ohne greifbaren Grund gedauert.
Plötzlich jedoch stieg der Lärm auf eine ängstigende Höhe, und ich eilte nach dem Achterdeck. Die Nacht war so dunkel, dass ich nichts sogleich unterscheiden konnte. Die Matrosen heulten mit doppelter Kraft, indem sie an den ächzenden Tauen rissen. Ich bemerkte allmälig, dass die Raaen back gebrasst wurden, und dass leichte Windstösse in die Vorderflächen der Segel fielen, die Euphrosyne rückwärts treibend, und endlich draussen auf dem Wasser dicht zu unserer Rechten ein schwarzes Ungeheuer, der Alartus. Wir hatten jetzt raumen Wind, die Gefahr war vorüber.
Nur mühsam brachte ich aus dem wuthschnaubenden Kapitän heraus, was eigentlich vorgefallen. Erst musste der Alartus mit allem was darauf war nach allen Dimensionen verflucht werden, und ich bin fest überzeugt, dass in jenem kritischen Augenblick der Führer desselben sofort erwürgt worden wäre, falls er die Unvorsichtigkeit begangen hätte, in unserer Kajüte zu erscheinen. Die beiden Schiffe waren so nahe an einander vorbeigeglitten, dass man von unserem Klüverbaum auf des anderen Achterdeck hätte hinabklettern können, und nur durch den glücklichen Zufall einer aufspringenden Brise und das geschickte Manöver, schnell rückwärts zu gehen, war der Zusammenstoss vermieden worden, welcher beiden Schiffen wenn nicht den Untergang so doch sicher schwere Beschädigung gebracht haben würde. Abermals mein kostbares Leben gerettet, dachte ich, und ging befriedigt zu Bett.
Das Toben des Sturmes weckte mich, als der Morgen eben trübe heraufdämmerte. Es war mir keine angenehme Erfahrung, die ich bei dieser Gelegenheit zum ersten mal machte, dass die Euphrosyne, durchaus abweichend von der Ruhe und Gelassenheit, die sich für ein so starkes und breites Vollschiff eigentlich geziemte, die Neigung besass, sich von jeder Welle hoch emporwerfen zu lassen und in jedes Wellenthal ebenso tief ihre Nase hineinzustecken, und dass sie fast schlimmer rollte, als ein scharfgebauter Postdampfer. »Arbeiten« nennt der Seemann euphemistisch dieses Hin- und Herfackeln, welches bei der Euphrosyne noch mit einem so widerlichen Stöhnen und Aechzen, Knarren und Winseln sämmtlicher Balken und Bälkchen, Bretter und Brettchen komplizirt war, wie ich es nie zuvor auf einem Fahrzeuge weder Seiner Majestät noch zivilen Besitzthums kennen gelernt hatte. In dieses haarsträubende Konzert mischte sich noch zu allem Ueberfluss das beständige Auf- und Zuschlagen von mehr als einem Dutzend Thüren im Bereich meiner Ohren, welche entweder kein Schloss oder ein unbrauchbares besassen und bei welchen man in der Eile der Ausrüstung vergessen hatte, Haken zum Befestigen im geöffneten Zustande anzubringen.
Solchem Unfug ein Ende zu machen war meine erste Thätigkeit, und ich schickte mich an, einen dieser rebellischen Gegenstände nach dem anderen festzunageln oder festzubinden oder auszuhängen. Nur Derjenige, der selbst erfahren hat, welche Schwierigkeiten das beständige Hin- und Hergeworfenwerden, das ewige Auf- und Niederklettern im Innern eines heftig arbeitenden Schiffes bereitet, und das Gefühl der Betäubung kennt, welches das Tosen der Winde und der Wogen und der unaufhörliche Lärm der sich aneinander reibenden Holztheile hervorbringt, und in welchem man schliesslich nicht mehr weiss, was oben und unten, was horizontal und was vertikal ist, nur Derjenige wird die Grösse meines Unternehmens zu würdigen verstehen. Ich war allein und ohne Beihilfe. Denn Jan Maat, dessen Gehörorgane übrigens auch hocherhaben sind über Kleinigkeiten wie Lärm auf- und zuschlagender Thüren, hatte draussen zu thun, und fast alle Anderen waren seekrank oder mit seekranken Weibern und Kindern beschäftigt.
Der Tag ging langsam vorüber wie alle Sturmtage. Man versucht sich zu beschäftigen, steht aber bald wieder davon ab, man nimmt etwas Nahrung zu sich und ist froh, wenn dies ohne sonderlichen Unfall gelungen. Man klettert auf Deck und klettert nach wenigen Minuten, von See- und Regenwasser durchnässt, wieder in