Max Buchner

Reise durch den Stillen Ozean


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Neutralität und Isolirtheit, und meine Bücher und die Thiere des Meeres waren mir viel interessanter als Alles, was der Kapitän und Mister Ross zu sagen wussten.

      Die Verpflegung, welche wir genossen, unterschied sich vortheilhaft von jener auf Postdampfern nach Amerika üblichen dadurch, dass man nie in Versuchung kam, aus Mangel besserer Beschäftigung den Magen zu überladen. Von der Ablösung der ersten Wache des Morgens um 4 Uhr an war schwarzer Kaffe zu haben. Um 8 Uhr wurde das Frühstück, Kaffe mit kondensirter Milch nebst Zwieback und Butter sowie die kalten Fleischüberreste des vorigen Tages servirt. Um 1 Uhr folgte, nachdem die Mittagsobservation genommen und der Ort des Schiffes berechnet war, das Dinner. Salzfleisch und Büchsenfleisch, Reis und Kartoffel, Erbsen und Bohnen, Pflaumen und Sauerkraut waren die wechselnden Hauptfaktoren desselben. Um 3 Uhr gabs abermals Kaffe, manchmal mit einem frischgebackenen Kuchen von sehr zweifelhafter Qualität, und um 7 Uhr den Abendthee, einschliesslich Butter und Salz- oder Büchsenfleisch. Dazu wurde jedesmal harter Zwieback geknabbert, nachdem der Vorrath an heimischem Schwarzbrot in den ersten vierzehn Tagen aufgezehrt war. Ein schmieriger Wachstuchüberzug bedeckte den Tisch, schmierig waren Gabel und Messer und schmierig der vielgeprüfte Kajütsjunge Hannes, der uns bediente.

      Besonders heilige Festtage auszuzeichnen, hatte man uns einige Käslaibe, Schinken und Würste mitgegeben. Wir, die Honoratioren der Kajüte, erfreuten uns jedoch nur zwei- oder dreimal dieser Kostbarkeiten. Eines schönen Tages waren sie verschwunden, es hiess, die Matrosen hätten sie gestohlen und aufgefressen.

      In Bezug auf Spirituosen lebten wir äusserst mässig. Eine Flasche Bier zu dritt war die tägliche Ration. Ich hatte zwar kontraktlich Anspruch auf eine halbe Flasche Rothwein pro Tag, es war aber nichts davon an Bord aufzufinden. Der in Seegeschichten eine so wichtige Rolle spielende steife Grog existirte auf der Euphrosyne nicht, existirt überhaupt wohl nur auf den Schiffen der Seegeschichten. In der Wirklichkeit sind die Seeleute zu arm und die Rheder nicht splendid genug, um einen solchen Luxus zu gestatten. Wenn ein Kapitän auf zwei Jahre hinaussegelt, so kriegt er vielleicht ein paar Dutzend Flaschen Kognac und Wein für sich und ein kleines Fässchen Rum für die Mannschaft mit. Erstere sind bestimmt zur Repräsentation, wenn das Schiff im fremden Hafen liegt und Besuche an Bord kommen, letzteres reicht gerade, um zwei- oder dreimal ein Fest zu feiern.

      Die Euphrosyne besass eine sehr hübsche, helle und luftige Kajüte frei auf Deck stehend, zu beiden Seiten schmale Gänge zwischen ihr und den Borden. Ein roh getünchter Tisch, ein Sopha, etliche Klappstühle, zwei grosse Medizinkisten, ein Spiegel, ein Barometer, ein Thermometer und ein Kompass bildeten das Mobiliar des kleinen Salons derselben. Rechts hatte der Kapitän seine Kammer, links ich die meinige. Gleich vor dem Salon wohnte Mister Ross. Dann kamen die Badezimmer und das Frauenhospital, und in dem vordersten Theil der Kajüte hausten die Offiziere des Schiffs, der Steuermann, der Proviantmeister und der Bootsmann. In einem anderen Häuschen über Deck zwischen Gross- und Fockmast waren die Küche, das Männerhospital und das »Logis« für die Mannschaft.* Meine Kammer liess an Gemüthlichkeit nichts zu wünschen. Sie war zwar eng und klein, und wenn ich eine Schublade aufmachen wollte, musste ich erst meinen Koffer und den Stuhl in den Salon hinaussetzen, aber sie hatte ein grosses Fenster und eine Menge Licht. Leider ging es gerade vor dem Fenster über eine Treppe hinauf nach dem Achterdeck, auf welches die einzelnen Mädchen gebannt waren, und mit Vorliebe setzten sich diese, meine Kammer verdunkelnd, auf jene Treppe, bis ich mit dem Stock hinauslangte und sie von dannen stupfte.

      Unser Zwischendeck war das schönste, welches ich jemals gesehen habe. Es hatte die ungewöhnliche Höhe von 2,7 Meter und war sehr gut ventilirt. Es war jedoch keine Stätte des Friedens, sondern der Schauplatz beständiger Kämpfe. In den Verschlägen der einzelnen Männer vorne und der einzelnen Mädchen hinten ging es noch leidlich. In der Mitte aber bei den Familien mit ihrem Kindersegen hörten die Reibereien nie auf. Fast immer waren es natürlich die Weiber, welche anfingen und ihre respektiven Ehegatten auf einander hetzten.

      Zwei feindliche Parteien standen sich voll Hass gegenüber, die Skandinavier und die Polen. Erstere waren musterhaft reinlich und hatten viel Sinn für Ordnung. Bei den letzteren galt mit wenigen Ausnahmen ungefähr das Gegentheil. Man konnte sich kein schmutzigeres und armseligeres Volk denken als jene unglücklichen Abkömmlinge der Weichselgegend. Alle Tage kamen Klagen über ihre Unsauberkeit, die selten grundlos waren, alle Tage musste ich über acquirirte Pediculi vestium jammern hören. Die Dänen erklärten mit Ueberzeugung, dass jene Thierchen nichts Geringeres beabsichtigten als sie alle aufzufressen. Ich bestimmte eine Frist, bis zu welcher die Polen dieselben abgeschafft haben mussten, vertheilte Sabadillaessig, Petroleum und Perubalsam, und bei wem ich nach zwei Wochen noch Spuren davon fand, bekam nichts zu essen. Dies half einigermassen. Die Betten wurden, so oft es das Wetter erlaubte, gesonnt, die Kleider gebrüht und die Kinder mit der bisher unbekannten Gewohnheit einer täglichen Reinigung vertraut gemacht.

      Die nationalen Gegensätze übertrugen sich auch auf das religiöse Gebiet. Wir hatten vier deutsche protestantische Missionäre an Bord, die theils für Neuseeland, theils für Australien bestimmt waren, und denen ich den vorgeschriebenen Gottesdienst und die Schule übertrug. Sie bildeten unsere offizielle Staatskirche, und im Anfang kam Alles einträchtig bei ihnen zum Sonntagsgebet zusammen. Auf einmal fiel es den skandinavischen Völkerschaften ein, dass sie ihren eigenen Gottesdienst in dänischer Sprache haben wollten. Sie wählten einen alten Mann aus ihrer Mitte zum Vorbeter und blieben weg. Dieses Beispiel wirkte ansteckend, und sofort wurden auch die katholischen Polen schismatisch und bildeten eine dritte Religionsgemeinde, so dass die Missionäre mit ihren salbungsvollen Worten nur mehr auf ein sehr kleines Häuflein beschränkt waren.

      Diese Dreiheit führte zu wahrhaft österreichischen Zuständen, und fast jeden Sonntag gab es Reibereien. Fingen die Einen hier ein deutsches Kirchenlied an, so erhob sich dort ein polnischer Gesang, und daneben begann wieder eine andere Gruppe, dänisch zu singen. Gerade so gings mit der Schule. Mit dieser wollten sich die Polen niemals befreunden. Sie schickten ihre Kinder nicht regelmässig, oder ihre Kinder waren widerspänstig und wollten nichts lernen. Recht gerne würde ich ihnen ebenso wie den Dänen eine eigene Schule eingeräumt haben, wenn unter den Polen ein einziger Mann fähig gewesen wäre, Unterricht zu ertheilen. Die ausgezeichneten englischen Vorschriften, nach denen ich regieren musste, waren eben für Auswanderer englischer Nation, nicht für das Sprachen- und Nationalitätengewirr, welches auf deutschen Schiffen zu sein pflegt, gemacht.

      Nur bei den Kindstaufen herrschte merkwürdiger Weise eine vollkommene Parität der Konfessionen. Fünfmal war es uns vergönnt, dieses Fest zu feiern. Und zwar geschah es jedesmal, da wir nöthigenfalls damit warteten, bis gutes Wetter eintrat, unter dem grössten uns möglichen Pomp, um keine Gelegenheit zu einer die Stimmung auffrischenden Volksbelustigung vorübergehen zu lassen. Unsere feinste Suppenschüssel wurde als Taufbecken mit rothen Bändern auf das Gangspill vor der Kajüte befestigt. Sämmtliche vierundzwanzig Signal- und etliche alte Nationalflaggen mussten herhalten, eine Art Presbyterium zu formiren. Die Missionäre zogen ihren besten Ornat an, predigten und beteten fast eine Stunde lang, und die Schuljugend sang fromme Lieder dazwischen.

      Gleich bei dem ersten kleinen Weltbürger, der protestantischer Abkunft war, machten die Missionäre ihre Sache so schön und so erhebend, dass selbst die religiösen Vorurtheile der Polen nicht mehr Stand hielten und alle vier im Mutterwerden folgenden Polinnen sich steif und fest in den Kopf setzten, dass auch ihre Sprösslinge von den Missionären getauft werden sollten. Die Stammesgenossen remonstrirten zwar dagegen und machten Vorwürfe, während die gestrengen Diener des Herrn betheuerten nur unter der Bedingung taufen zu können, dass dann die Kinder auch protestantisch werden müssten. Die Eitelkeit der Weiber überwand alle Bedenken und bekannte sich auf einmal zu den freiesten Grundsätzen, wohl unter dem geistlichen Vorbehalt, dass später der Katholizismus wieder in seine Rechte treten sollte.

      Die erste Geburt an Bord werde ich nie vergessen. Dieser Fall war komplizirt mit Schwierigkeiten, die in keinem Lehrbuch der Geburtshilfe vorhergesehen sein dürften, und auch später knüpften sich an ihn einige Thatsachen, die in Bezug auf Psychologie und Kulturgeschichte nicht ohne Interesse sind. Es war eine vorzeitige Greisin von vierzig Jahren, Erstgebärende und Gattin eines Wittwers mit acht Kindern, die den Reigen unserer Volksvermehrung eröffnete, und die ich in einer unwirschen Sturmnacht kurz vor Madera ins Hospital schaffen musste.

      Nicht