Blum Hans

Robert Blum


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härtesten durch die Franzosenzeit und die veränderte Staatsangehörigkeit heimgesucht worden. Schon mit dem Eindringen der als Retter aus aller Noth begrüßten Jacobiner war das städtische Eigenthum Nationalgut geworden, der beste und wohlhabendste Theil der Bürger geflohen, die Aufhebung der Klöster und mancher milden Stiftung beschlossen. Nach Beendigung der Fremdherrschaft konnten nur noch wenige alte Convente und klösterliche Institute Zeugniß ablegen von der Art, wie im alten Köln die Noth gelindert, die Krankenpflege betrieben worden war. Auch wurde Köln unter der neuen Regierung wichtiger Institute und Behörden beraubt, die ihm wohl gebührt hätten. Die Universität ward nach Bonn, das Oberpräsidium nach Coblenz, die Malerakademie nach Düsseldorf, das Polytechnikum nach Aachen verlegt. Erst später verstand die betriebsame Stadt, sich trotz der Ungunst der Verhältnisse zum Mittelpunkt des rheinischen Großhandels zu machen.

      Damit dürfte zur Genüge erklärt sein, wie das Elend der Hungerjahre sich zwei Jahre lang in der großen Stadt behaupten, wie Robert Blum auf seinem ferneren Lebenswege so gut wie gar keine unterstützende Aufmerksamkeit von Seiten der Vaterstadt finden konnte.

      Wir sahen, daß der junge Robert schon mit dem siebenten Jahr lesen, schreiben und rechnen konnte. Er hatte sich bis zum zehnten Jahr in diesen und allen sonstigen Künsten, die in seiner Pfarrschule gelehrt wurden, so weit vervollkommnet, daß er anfing, manchem Lehrer als unbequemer „Ueberflieger“ zu gelten, das heißt als ein Bursche, dem Alles zu leicht wird, dem nichts mehr gelehrt werden kann.

      In diesem Stadium seiner Bildung bethätigte seine Tante Agnes Blum (wie wir sahen, die einzige Tochter seines Großvaters Robert) die volle Staatskunst der Frauen, indem sie nach dem alten machiavellistischen Grundsatz den gefährlich-oppositionellen Denker in das Ministerium ihres Lehramtes berief und ihm zunächst das Portefeuille der Mathematik verlieh – mit zehn Jahren!

      Das ging so zu. Die gute Tante Agnes hatte sich niemals träumen lassen, Lehrerin zu werden. Sie war vielmehr Jahre lang blos Pflegerin einer alten Dame gewesen, welche in dem Gebäude der Elementarschule der St. Maria-Himmelfahrts- oder Jesuiten-Pfarre wohnte. Als diese Dame das Zeitliche gesegnet hatte, wurde Agnes die Universalerbin der Verstorbenen und als solche sehr wohlhabend. Sie übernahm nun gleiche Samariterdienste bei der Lehrerin der genannten Schule, wohnte ihrem Unterrichte vielfach bei, vertrat sie in der Schule, als die Lehrerin kränker und kränker wurde, und erhielt – wahrscheinlich zu ihrem eigenen nicht geringen Schrecken – die Lehrerinstelle der hochehrwürdigen Jesuiten-Pfarr-Elementarschule angetragen, als die Lehrerin die Augen für immer geschlossen hatte. Freilich tobte damals noch nicht der Culturkampf. Auch der Schulzwang und die Schulordnung hatten die Pforten der Hölle noch nicht überschritten. Jeder konnte nach seiner Façon Lesen, Schreiben und Rechnen lehren. Jeder, der zahlen konnte, schickte seine Kinder wohin ihm beliebte. Wer nicht zahlen konnte, schickte sie – in die Stecknadelfabrik zum Verdienen. So war’s unter dem menschenfreundlichen Krummstab gewesen. So war’s auch noch Anno 1817. Das Geld, welches für die Schulstunden zu entrichten war, gehörte der „Lehrperson“. Dieser letztere Gesichtspunkt scheint für Tante Agnes entscheidend gewesen zu sein, als sie sich entschloß, ohne jegliche ausreichende Vorbildung zum Amte einer Elementarlehrerin, dem an sie ergangenen Rufe Folge zu leisten. Immerhin blieb ja doch der große Trost, daß in der Hauptsache, in der Religion, die armen Kinder von der Pfarrgeistlichkeit direct unterrichtet wurden. Nur in einem Punkte konnte sich ihr zartes Gewissen mit dem übernommenen Amte nicht abfinden: im Einmaleins, in den vier Species, vollends im Bruchrechnen, der Regeldetrie &c. Diesen Geheimnissen gegenüber war sie völlig rathlos. Um so besser, daß der kleine Neffe Robert so ausgezeichnet darin bewandert war. Er wurde also als Rechenlehrer bei Tante Agnes angestellt.

      Die Einkünfte, die er für diese Thätigkeit genoß, waren verhältnißmäßig bedeutend. Denn Tante Blum überzeugte ihre Schülerinnen natürlich mit Leichtigkeit, daß die wunderbare Kunst des Rechnens nicht für den gewöhnlichen Unterrichtspreis mit verabreicht werden könne, daß vielmehr zur Aneignung dieser ungewöhnlichen Kenntnisse Privatstunden nothwendig seien. Selbstverständlich konnten auch nur die reiferen Schülerinnen an dieser Sahne des Unterrichts der Pfarrschule naschen. Der Preis von einem Stüber (vier bis fünf Pfennig) für zwei Rechenstunden in der Woche erschien als eine Kleinigkeit gegenüber der Errungenschaft dieses Wissens, welches – die Lehrerin selbst nicht besaß. Für Robert aber, der an vier Tagen der Woche Nachmittags von vier bis fünf Uhr zwei Classen der Tante unterrichtete, waren diese Kupfermünzen gerade ausreichend, um seiner guten Mutter die Ausgabe für einen Communionanzug zu ersparen. Denn Tante Agnes sammelte ihm die Einnahmen seines Rechenunterrichtes auf das Genaueste. Sie gab ihm aber außerdem durch eine bei ihrer Genauigkeit wahrhaft splendide Naturalleistung schamhaft zu verstehen, aus welcher Verlegenheit er sie durch seinen Rechenunterricht erlöste: sie verabreichte ihm nämlich, wenn er um vier Uhr aus seiner Schule zum Unterricht in die ihrige kam, eine ganze Tasse Kaffee und ein Brödchen. Die Tasse Kaffee mußte er nun schon als unübertragbare persönliche Rechtswohlthat für sich selbst hinnehmen. Aber das Brödchen allein zu genießen, ging über seine brüderlichen Begriffe. Sein Schwesterchen besuchte ja dieselbe Schule als Schülerin, in der er lehrte. So oft es ging, suchte er ihr das kleine Gebäck zuzustecken. War sie im Garten, auf dem Spielplatz, im Schulzimmer, so scheute er keinen Vorwurf, um seinem Liebling den hohen Genuß frischen Weißbrods zuzuwenden.

      Der schmutzige Geiz dieser Tante und die Kränkungen, die sie Robert und seinem Schwesterchen durch Zurücksetzung der Kinder hinter die reichere Verwandtschaft zufügte, haben in Robert’s Herz früh die schmerzlichsten Eindrücke hinterlassen. Höchst charakteristisch für ihn ist ein in diese Zeit fallender kleiner Vorfall, der in der Familie noch heute als die „Geschichte von den Hobelspänen“ streng wahrheitsgetreu erzählt wird. Schwester Gretchen hatte mit etwa sechs Jahren – man staune nicht über die fanatische Menschenquälerei, welche die fromme Geistlichkeit zu Wege brachte! – aus Christoph Schmidt’s biblischer Geschichte ein unendlich langes, in kleinen lateinischen Lettern gedrucktes Stück „Jesu letzte leidensvolle Nacht“ auswendig lernen müssen, und was noch wunderbarer ist – das „Stück“ auch fehlerlos ihrem armen Gedächtniß eingeprägt und am Sonntag in der Kirche heruntergesagt. Diese Quälerei zur größeren Ehre Gottes war speciell in dem jungfräulichen Haupte der Schultante Agnes Blum ausgeheckt worden und sie war keineswegs gewillt, blos in der Kirche mit ihrer Wundernichte Staat zu machen. Sie gab unmittelbar danach auch eine Kaffeevisite, zu welcher selbstverständlich der Herr Pfarrer, ihr Bruder Heinrich Blum, der kräftige Böttcher mit Frau, und einem Gretchen Blum beinahe gleichalterigen Töchterchen u. A. eingeladen waren. Als das Gespräch zufällig auf die Wundernichte gelenkt war, wurde diese aus ihrer Schule heruntergeholt und mußte Jesu leidensvollste Nacht noch einmal ohne Murren zum Kaffee hersagen – den Andere tranken. Den Blick hoffnungsvoll auf den Teller mit „Hobelspänen“ – einem geringelten Butterteiggebäck – gerichtet, sagte das Kind „sein Sprüchel und forcht sich nit“ und so ging denn auch diese „leidensvollste Nacht“ rasch und anstandslos vorüber. „Ach wie schön!“ „Das ist viel für ein so kleines Kind!“ „Brav Gretchen, das hast Du gut gemacht!“ rief es in der Runde. Das Auge des geplagten Kindes haftete gespannter als je auf den Hobelspänen. Da greift denn auch einer der Herren nach dem Teller mit dem Gebäck – und schüttet fast dessen ganzen Inhalt der Cousine des kleinen Gretchen zu. Die brave Tante Agnes aber sagt zu dem Staatskind: „Gretchen, Du kannst nun wieder in die Schule gehen.“ Sie mußte die Aufforderung mehrmals, dringlicher wiederholen.

      Darüber waren mehrere Jahre vergangen. Die Mutter nähte nach wie vor für die Leute und sandte eines Tages ihre kleine Tochter ein fertiges Kleid auszutragen und sechzehn Stüber Arbeitslohn dafür zu verlangen. (Dreizehn Stüber machten fünfzig Pfennig). Das Kind verlangte und erhielt siebzehn Stüber, und lief spornstreichs zum Hofconditor Maus – ich vermuthe beinahe, daß er zeitlebens wenig für den Hof conditort hat – und verlangte hier in der höchsten Aufregung für einen Stüber Hobelspäne. Der „Herr“ am Ladentisch fragte ängstlich, ob das Kind die Hobelspäne essen wolle – sie sah offenbar so aus, als ob sie damit zu jedem anderen Verbrechen fähig gewesen wäre – und als das Kind diese Absicht entschieden bejahte und als glaubhaften Beweggrund hinzufügte, daß sie ein andermal habe zusehen müssen, ohne welche zu kriegen, machte er ihr für den einen Stüber eine ganze Düte voll.

      Aber das Verhängniß schreitet schnell. Die Empfängerin des Kleides beschwert sich