Ketzergericht, das nun gesprochen hatte. Sie brachte ihren Robert zu dem alten, würdigen, gutmüthigen Geistlichen, der sie und Robert schon so lange kannte, klagte diesem, wie Alles gekommen, und bat ihn, sich ihres armen Kindes anzunehmen und ihn auf den Weg des Glaubens zurückzuführen. Robert folgte lammfromm den Worten des Einzigen, dem er vertraute, erhielt die früher verweigerte Absolution, ging nach wie vor zur Beichte und Communion – aber trotzdem war für ihm immer dahin die selige Glaubenswelt seiner Kindertage. Als er mehr als ein Vierteljahrhundert später sich öffentlich lossagte von der römischen Kirche und das praktischste und energischste Haupt der neuen Deutsch-katholischen Kirche wurde, hat, wie später an seinen eigenen Bekenntnissen gezeigt werden wird, gewiß der Gedanke, politische Ziele durch die religiöse Bewegung zu fördern, vollen Antheil an seinen Entschließungen gehabt. Dennoch aber war dieser Schritt nur die letzte Consequenz jener Seelenkämpfe, die in ihm erregt wurden in Jahren, wo wir kaum über uns und Andere zu denken beginnen.
Den Besuch der Pfarrschule wegen dieser Ketzereien Robert zu verbieten, wagte man doch nicht. Er lernte hier mit gleichem Eifer fort. Da ließ eines Tages Robert’s Lehrer, der verwachsene, fleißige und hochgeachtete Herr Burg, die Mutter zu sich bitten und sagte ihr: „er sei jetzt fünfunddreißig Jahre lang Lehrer an einer und derselben Schule – aber ein Talent und solchen Fleiß, wie er bei Robert gefunden, sei ihm in dieser langen Zeit noch nicht vorgekommen. Er rathe der Mutter, Alles aufzubieten, um ihn studiren zu lassen.“ Die Mutter wendete ein, sie sei nur eine arme Frau, der Knabe habe einen Stiefvater, es werde ihr unmöglich sein, Robert studiren zu lassen. Da meinte Herr Burg: „gerade für strebsame und arme Kinder und Waisen habe ja die Stadt ihre reichen Stiftungen. Er rathe, ihren Sohn nach dem Gymnasium zu bringen und dann sich um Erlangung einer ‚Stiftung‘ zu bemühen.“
Robert war selig, als er von diesem Plane hörte, und ließ es natürlich an Bitten nicht fehlen, um das hohe Ziel zu erreichen. So brachte ihn denn die Mutter nach dem Kölner Jesuitengymnasium. Seine Freude, sein Fleiß waren grenzenlos. Immer hatte er zu wenig Arbeit. Als er die Sexta durchlaufen hatte und am Schlusse des Schuljahrs öffentliche Prüfung stattfand, wurde ihm, dem Fleißigsten und Aermsten, der erste Preis, das „goldene Buch“, zuerkannt. Vor mir liegt unter all den ähnlichen Zeugnissen, welche Robert aus seiner Schulzeit davongetragen, auch das Zeugniß über dieses letzte Vierteljahr seines Schulbesuchs. Es lautet: „Vierteljährige Censur. Vorbereit. Classe des Jes. – Gym. Nro. Ein. Schuljahr 1819–20, viertes Vierteljahr. Namen Robert Blum. Betragen gegen Mitschüler gut, gegen Vorgesetzte lobenswerth. Fleiß lobenswerth in allen Fächern; der häusliche Fleiß sehr groß, und mit dem besten Erfolge. Fortschritte vorzüglich in allen Fächern. Abwesend und zu spät gekommen vacat. Also ausgestellt von den Lehrern Weiß, Breuer, Religionslehrer. Unterzeichnet von dem Director Heuser. Köln, 27. August 1820.“ An den Fuß dieses Zeugnisses hat die ungelenke Hand des Stiefvaters geschrieben: „Mit Freuden gesehen von Caspar Georg Schilder.“
Mit noch erhöhter Freude ging Robert natürlich zu Anfang des folgenden Jahres nach Quinta. Die Mutter hatte sich nun ein volles Jahr übermäßig angestrengt, um Schulgeld, Bücher, Kleidungsstücke &c. zu beschaffen. Aber trotz aller unablässigen Bemühungen wollte es ihr nie gelingen, eine Stiftung für ihren Sohn zu erlangen. Immer hieß es: es seien keine Gelder vorhanden. Jetzt wurde ihr eröffnet, es könne noch anderthalb Jahr währen, ehe er in den Genuß einer solchen Freistelle treten könne. Das war ein furchtbarer Schlag. Es fehlte an Allem, an Büchern, Geld, vor Allem an dem so nöthigen Anzuge. Aber es gab ja noch eine Hoffnungsaussicht, welche die Mutter um ihretwillen nie angerufen hatte, aber um des reichbegabten Sohnes willen nicht unversucht lassen wollte: die wohlhabende Verwandtschaft. Trostsuchend wandte sich die Mutter zuerst an den früheren Lehrer Robert’s, Herrn Burg, und auch von diesem wurde sie vertrauensvoll gewiesen an Alles, was sich Robert gegenüber mit dem Namen „Onkel“ schmückte. Verheißungsvoll wiesen sämmtliche Onkels ihrerseits auf die reiche Tante Agnes, zumal da Robert sie ja in ihrer bekannten mathematischen schweren Noth über Wasser gehalten hatte. Diese treffliche Dame aber sagte: „Ich habe keine Kinder. Wer Kinder hat, mag dafür sorgen!“ Damit war die Entscheidung gesprochen. Robert mußte der Hoffnung, weiter zu lernen, entsagen und zu Hause bleiben.
Schweigsam und traurig, alle bisherigen Genossen seiner Studien sorgsam meidend, schlich der sonst so muntere, frohe Knabe einher. Ernstlich fürchteten seine Eltern und Alle, die ihn damals sahen, er möchte in Gemüthskrankheit verfallen. Dann aber, als er, finster vor sich hinbrütend, Tag und Nacht sein Mütterlein an der Arbeit sah, um ihm und seinem Schwesterchen Brod zu schaffen, ohne ein Wort des Vorwurfs für seine Unthätigkeit, da warf er den letzten schmerzlichen Blick rückwärts nach den für immer verlorenen Gefilden der ewigen Jugend des Alterthums und beugte seinen kräftigen Nacken unter das Joch gewöhnlicher Handarbeit. Als er etwa fünfzehn Jahre später um Aufnahme in den Freimaurerbund nachsuchte, faßte er selbst den Schmerz seiner Seele, der ihn damals bewegte, und die heroische Entscheidung, die er am Ausgange seiner Knabenjahre traf, in die schönen Worte zusammen: „So mächtig mich auch damals die Sehnsucht festhielt am Wissen, ich war gezwungen, ein Handwerk zu erlernen, und trat nach vollendetem siebenzehnten Jahre eine traurige Selbstständigkeit an, indem die Kindespflicht mich hinaustrieb in das Leben, um meinen Eltern die Sorgen für meinen Unterhalt abzunehmen.“
3. Lehr- und Wanderjahre
Wenn das lebhafte Rechtsgefühl, das Robert Blum Zeit seines Lebens beseelte, überhaupt auf eine bestimmte Erfahrung zurückgeführt werden kann, so hat er es sicherlich in der Hauptsache den Leiden und der Rechtlosigkeit seiner Lehrjahre zu danken. Denn geradezu das Gegenbild des heutigen Rechtsverhältnisses zwischen Lehrherrn und Lehrling boten jene Tage, da er Lehrjunge wurde. Hinweggefegt mit allen anderen historischen Einrichtungen früherer Jahrhunderte wurden auch die ehrsamen Zünfte, als die Jacobiner Frankreichs über Köln sich ergossen hatten. Keine Thräne soll etwa hier dem alten Zunftwesen nachgeweint werden. Unleugbar wurde der Lehrling im Zunftstaate der guten alten Zeit mehr als billig vom Meister ausgebeutet: das Lehrgeld kam sehr theuer zu stehen, und viel zu lange währte die Lehrzeit. Dagegen hatte die alte Zunftzeit auch jede herzlose Ausbeutung und Behandlung des Lehrlings von Seiten des Meisters, die über die Grenzen des nach damaligen Begriffen Erlaubten hinausging, streng geahndet. Kein Meister durfte wagen, dem Ehrenrathe der Zunftgenossen zu trotzen: wenn er es that, stellte er seine ganze Existenz auf’s Spiel.
Von diesen heilsamen Schranken gegen die Willkür des Meisters hat Robert Blum in seinen Lehrjahren nichts mehr vorgefunden. Wir Deutschen von heute können uns kaum eine Vorstellung von den Verhältnissen eines Lehrjungen jener Tage machen. Wir sind eben im Begriffe, die Zuchtlosigkeit und die Geneigtheit zu Vertragsbruch, die in erschreckendem Maße unter den heutigen Lehrlingen – in Folge bekannter Hetzereien – sich ausbreitet, durch gesetzliche Bestimmungen einzuschränken. Wir würden es einfach für unmöglich halten, daß heute ein Meister wagen sollte, seinen Lehrling nur als den Sclaven der Launen aller Hausgenossen und außerdem als „Mädchen für Alles“ zu benutzen ohne auch nur den Versuch zu machen, den Lehrling in dem Gewerbe zu unterrichten, das er lernen soll. Der starke Arm des Gesetzes schützt auch den Aermsten und Schüchternsten vor solcher Ausbeutung. Robert Blum dagegen hat mehr als einmal Lehrherren von diesem Schlage kennen gelernt.
Lange hatte der dreizehnjährige Knabe nachgesonnen, welchem Handwerke er sich zuwenden solle, als die Pforten des Gymnasiums sich ihm für immer geschlossen hatten. Seine Eltern ließen ihm freie Wahl. Robert entschloß sich, Goldschmied zu werden. Das edelste der Metalle, den Rohstoff, auf dessen Besitz das einzige Streben vieler Millionen unablässig gerichtet ist, wollte er bearbeiten und zu schmückendem Zierrathe künstlerisch gestalten lernen. Tiefer Sinn lag in dieser Berufswahl, die der denkende Knabe gewiß mit vollem Bewußtsein traf. Da nun einmal das reine Gold der Wissenschaft, das er ohne jeden unedeln Beisatz auszumünzen hoffte, seinen Händen für immer entrückt war, so wollte er wenigstens täglich jenes wichtigste Element unter den Händen haben, das so Viele noch höher schätzen, als das reine Gold der Wissenschaft. Seine Eltern billigten die Wahl. Robert wurde zum Goldarbeiter Asthöver in der Mauthgasse in die Lehre gebracht.
Es ist nun eine von allen bisherigen Biographen Robert Blum’s mit rührender Einstimmigkeit berichtete Fabel, deren „Moral“ nicht erst erläutert zu werden braucht: Robert habe bei Asthöver – den Namen des Meisters nennt übrigens keiner der bisherigen Biographen – ein