Gerstäcker Friedrich

Nach Amerika! Ein Volksbuch. Sechster Band


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die Hand ausgestreckt nach den Strauchelnden – noch ist es Zeit Mitbrüder, Mitschwestern, der Himmel ist offen, das Licht des Heilands leuchtet Euch entgegen, das Wort der Verheißung kann noch Wahrheit werden – noch ist es Zeit Gentlemen – Brüder, Schwestern, Reisegefährten!« schrie der Mann, der beinah in der Hitze der Rede in sein altes Geschäft, das Auktioniren, gefallen wäre und eben noch Raum fand wieder einzulenken – »noch ist es Zeit – kommt, kommt, kommt zu dem Herrn – kommt, kommt, kommt zu Jesus Christus – kommt – oh kommt in des Heilands Arme, der Euch rettet aus Noth, Tod und Verdammniß – kommt!«

      »Glory – glory – happy – happy!« brüllte und tobte da plötzlich die Masse – »blessed be de Looo'd Dschisos!« schrie die dicke Negerin mit einem gewaltigen Ruck sich emporrichtend, daß sie gerade vor Maulbeere auf die Erde zu sitzen kam, und ihm starr in's Antlitz sah. Aber überall zu gleicher Zeit brach der langverhaltene Sturm jetzt donnernd los – Männer und Frauen sprangen empor, rissen sich die Röcke vom Leib, die Tücher von den Schultern, rauften sich die Haare, schlugen sich die Brust, stöhnten, kreischten, schrieen, den dicken Schaum auf den Lippen, große Schweißtropfen auf der Stirn, und die Augen fast aus ihren Höhlen drängend.

      Es wäre überhaupt unmöglich dem Leser auch nur im Entferntesten eine solche Scene lebendig genug zu beschreiben, daß er sich selber hineindenken könnte; etwas Derartiges muß man selber gesehn und erlebt haben, und ist es dann vorbei, zweifelt man trotzdem wieder ob es wirklich geschehn sein könne, ob nicht ein toller Fiebertraum uns geneckt, und selbst der Erinnerung glauben wir nicht mehr, die uns solch wildes, tolles Zeug will aufbewahren. Nichts Geisterhafteres, Unnatürlicheres giebt es auf der weiten Gotteswelt, als diese Scenen, wo der heilige Geist von den schaumbedeckten Lippen wahnsinniger Schwärmer sprechen soll, und diese sich auf der Erde wälzen, die Fingernägel in den Boden einwühlen, den Rasen beißen und glory, glory! schreien, Ruhm dem Herrn in der Höhe!

      Viele mag es dabei geben, die einen solchen Zustand aus irgend einem Grunde heucheln; die sich eben nur stellen als ob der »Geist« über sie käme, mit den Armen und Beinen werfen, und solcher Art einen sehr billigen Ruf großer Religiosität erlangen, vielleicht Einlaß in manche Familie zu bekommen, deren Kreis ihnen sonst verschlossen geblieben wäre. Ebenso gewiß ist es aber auch, daß Viele, sehr viele in Wirklichkeit und Wahrheit in diesen Zustand verfallen, daß sie nur durch die oft vollkommen sinnlose, nur mit einer gewissen Begeisterung und mit steigendem Affekt gesprochene Rede in einen halb bewußtlosen überspannten Zustand gerathen, in dem sie sich der Erde entrückt und von einem anderen, außer-, und jedenfalls überirdischen Wesen begeistert wähnen.2 Fieberanfälle folgen nicht selten demselben, und die aufgeregte Einbildungskraft ist nachher jedenfalls sehr leicht im Stande das, wo sich etwa noch eine Lücke in ihren Gedanken und Bildern finden sollte, mit Leichtigkeit auszufüllen. Auf Jemandem aber, der einer solchen Versammlung mit kaltem, ruhigen Blute beiwohnt, macht sie unausweichlich den Eindruck eines Haufens wahnsinniger Menschen, die losgebrochen sind, und die kurze Zeit ihrer Freiheit geschwind benutzen, sich einmal recht tüchtig auszuschrein.

      In diesen Pferchen besonders, wohin die sich drängen, die den heiligen Geist über sich kommen fühlen, geht es zuweilen zu, daß man sich mit Ekel von einem solchen Bilde menschlicher Entwürdigung abwendet, und doch fühlen sich diese verblendeten Menschen auf dem Gipfel menschlicher Erhöhung, und werden natürlich darin von den Geistlichen, die den Erfolg ihrer Wirksamkeit nach den Köpfen ihrer geretteten Schaafe zählen, bestärkt.

      Ich weiß wirklich nicht, ob der Ausdruck »Schaaf« in solchen Fällen hinlänglich und stark genug bezeichnend ist – er genügt mir sehr häufig bei uns nicht einmal.

      »Glory! Glory! Hallelujah!« brüllte die Schaar, »heiliger Geist komm – senke Dich auf uns herab, rette uns, hilf uns – glory, happy, happy, happy!«

      »Uch!« schrie oder kreischte da plötzlich eine einzelne Stimme, so scharf und gellend durch die Mistöne um sie her, daß sich selbst von den augenblicklich Begeisterten Viele, halb dabei aus ihrer Rolle fallend, nach der Stelle umsahen, von wo der merkwürdig wilde, unheimliche Laut ertönte, und hier bot sich ihnen allerdings ein neues seltsames Schauspiel.

      Zachäus Maulbeere hatte der Geist ergriffen, und während die dicke Negerin, die sich wieder aufgerichtet, seine Knie umklammert hielt und abwechselnd Hülfe und Glory! schrie, stand Maulbeere auf der Bank, auf der er bisher gesessen, mit bloßem Kopf, an der Stirn noch die Spuren des niedergelaufenen Regenwassers von der vorigen Nacht, die Arme zum Himmel ausgestreckt, und das Gesicht ebenfalls dorthin erhoben, und tobte ärger als Einer der Anwesenden sein happy – happy – happy dem grünen Waldesdome entgegen.

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      1

      In Arkansas kann und darf kein Ansiedler wegen irgend welcher Schulden gepfändet werden, wenn er nicht mehr hat, als ihm das Gesetz an Eigenthum gestattet und für seine Existenz für nöthig hält. Seine Wohnung, sein Bett, seine Büchse, sein Ackergeräth, sein Pferd und zwei Kühe dürfen nicht angerührt werden, und so gerecht und wohlthätig das Gesetz auch sein mag, läßt sich denken daß es manchmal gemißbraucht wird, indem der Farmer sein »überzähliges Vieh« nur auf kurze Zeit zu verleugnen und einem andern Nachbar zuzusprechen braucht.

      2

      Ich frug einst in Arkansas die Frau, in deren Hause ich wohnte, eine geborene Irländerin und sonst ganz vernünftige, brave Matrone, die ebenfalls dieser Sekte angehörte, ohne jedoch selber jemals vom »Geiste befallen zu werden,« ob sie denn wirklich glaube, daß die in solchen Zustand verfallenden Menschen etwas Derartiges ohne ihren freien Willen, ohne jede Absicht thäten, und also wirklich begeistert würden? – worauf sie mir antwortete: »Ja! – ich habe auch früher geglaubt, die Menschen verstellten sich, wenn ich mir auch den Schaum auf den Lippen nicht erklären konnte; ich dachte aber doch, der Wille des Menschen vermöchte auch dieß zu bewirken, und so sehr mich die Religion der Methodisten erfaßte und zu sich hinzog, so sehr schreckte mich diese Begeisterung, die ich für Heuchelei hielt, zurück. Da kam ich eines Abends auch aus einer solchen Versammlung zu Hause, und war recht traurig, uneinig mit mir selber; ich wußte nicht was ich thun, was lassen sollte, und bat den lieben Gott noch unterwegs recht inbrünstig, er solle mir ein Zeichen geben. Als ich mein Haus betrat hörte ich ein Flattern und mit den Flügeln Schlagen; ich hatte ein paar kleine zierlich gefleckte Hennen, die oft zu mir ins Haus (das Zimmer ist in Arkansas gewöhnlich gleich das ganze Haus) kamen, und die Brosamen aufsuchten. Ich sah mich danach um, und fand das eine von den beiden Hühnern unter dem Bett, anscheinend in Krämpfen, mit den Flügeln schlagend, mit den Beinen strampelnd, die Augen verdrehend, gerade wie ich die Bewegungen bei den Begeisterten gesehen hatte, und – es gab mir ordentlich einen Stich in's Herz – mit Schaum am Schnabel. Da war ich überzeugt; das Huhn – ob sich die Menschen verstellten – das Huhn verstellte sich nicht; das war Natur; der Zustand war also natürlich, er existirte, und von dem Augenblick an beschloß ich zu dieser Sekte überzutreten.«

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In Arkansas kann und darf kein Ansiedler wegen irgend welcher Schulden gepfändet werden, wenn e