Gerstäcker Friedrich

Tahiti: Roman aus der Südsee. Dritter Band.


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Glauben abhold, nie in das stille Heiligthum Deines Herzens hätte eindringen dürfen, eindringen können, wäre nicht grobe Sinnlichkeit und fleischliche Lust stärker in Dir gewesen als die Liebe zu Gott.«

      »Ehrwürdiger Herr« bat Sadie.

      »Es schmerzt mich« fuhr der Geistliche mit fast weicher Stimme fort »es schmerzt mich tief Dir weh thun zu müssen, Prudentia, denn ich habe Dich lieb gehabt, schon als kleines Kind, und Dein Wachsen und Gedeihen in so Gott wohlgefälliger Weise mit inniger Freude angesehen. Ich hielt es damals für meine Pflicht Dir entgegenzutreten als Du den ersten Fehltritt thun wolltest – der Herr hat es anders gelenkt, Sein Name sei gepriesen. – Aber nur eine Prüfung wollte er Dir auflegen, ob Du, das Kind dieser Inseln, die Du die Herrlichkeit Seines Namens von Seinen Dienern selber gehört, und sorgfältig aufgezogen warst, Sein Wort weiter zu verbreiten auf diesen Inseln, auch bestehen würdest auf dem rauhen Pfad des Lebens, wenn keine treue und sichere Hand Dich mehr führte und leitete auf Seinen Wegen zu wandeln. Alle, alle diese Hoffnungen sind dahin gestoben, wie Spreu im Winde – der erste Lufthauch der Lust, der Verführung, und Jahrelange Arbeit und Müh schwand dahin, als ob es ein Nichts gewesen wäre, ein todtes Blatt im Herbststurm, das dem Meere der Vernichtung entgegenweht. Und noch – jetzt noch ist es Zeit Dich zurückzuhalten, jetzt noch ist Rettung nicht unmöglich, wenn Du die mahnende Freundesstimme – die Stimme Gottes hören wolltest, die bittend, flehend zu Dir spricht, durch meinen Mund. Noch ist die elfte Stunde nicht vorüber – noch lacht Dir das Licht der Verheißung und es ist mehr Freude im Himmel über einen Sünder, der reuig zurückkehrt in die Arme des Allliebenden, als über tausend Gerechte die da eingehn zur himmlischen Herrlichkeit.«

      »Was kann ich thun?« klagte die arme Frau und faltete verzweifelnd die Hände auf dem Schooße »mein Gatte, mein Kind fordern mein Leben – ihnen gehört es, ihnen muß ich bleiben und sagt nicht selbst Gott in seinem Wort: Du sollst Vater und Mutter verlassen, und dem Manne folgen?«

      »Dem Manne, aber nicht dem Feind« rief der Missionair zum ersten Mal wieder den alten unversöhnlichen Haß im Blick – »nicht dem Feind, Prudentia, der Dich mit süßen Liedern und rauschenden Klängen lockt. Du sollst dem Mann, der nun doch einmal Dein Mann geworden, in allem Guten folgen, aber nicht in Sünde und Finsterniß – und das nicht allein, Du sollst, Du mußt all Deine Kraft, all Deine Macht über ihn anwenden, ihn selber zurückzuhalten von dem, was ihm Verderben droht.«

      »Was würde Vater Osborne sagen« fuhr er wieder mit weicherer leiserer Stimme fort, »wenn er Dich gestern in ihren Reihen, die Fröhlichste unter den Fröhlichen noch hätte sehen können?«

      Sadie schüttelte traurig mit dem Kopf und seufzte tief auf.

      »Wenn er Zeuge gewesen wäre, wie Du ihre Tänze tanztest und in ihren Armen den Abend verbrachtest, der in Gebet um Deinen Gatten, um Dein Kind hätte verfließen sollen. Prudentia – kannst Du noch beten?«

      »Aus voller inniger Seele zu meinem Gott!« rief aber das arme Weib jetzt, dem bei den Worten eine Last von der Seele wälzte – »der Schein mag wider mich sein, und der Ausspruch der Menschen; aber Gott der mein Herz sieht und kennt, weiß mit wie wehmüthigem Gefühl ich dem Befehl, dem Wunsch meines Gatten gehorchte, Theil zu nehmen an den Lustbarkeiten der Fremden. Mir war nicht freudig dabei zu Muthe und nicht froh; ich passe nicht zwischen sie mit ihren fremden Sitten und Gebräuchen – mit ihren fremden Gedanken von recht und gut – mir ist nur wohl in meiner Heimath, bei meinem Kind und hätt' ich mein freundliches Atiu nicht verlassen dürfen, wie froh, wie glücklich, wie Gott dankbar hätte ich leben wollen.«

      »Ich komme jetzt von Atiu« sagte Mr. Rowe leise.

      »Von Atiu?« rief Sadie rasch und bewegt die Hände faltend – »von – von Atiu;« setzte sie langsamer und mit kaum hörbarer Stimme hinzu – »von meinem Atiu – und haben sie meiner freundlich noch gedacht?«

      »Bruder Ezra hat mich begleitet« sagte der Missionair ohne direkt auf ihre Frage zu erwiedern – »denn der jetzigen inhaltschweren Verhältnisse wegen ist eine Zusammenkunft von allen solchen Männern wenigstens nöthig geworden, die irgend eine vorragende Stellung auf den verschiedenen Inseln einnehmen, dort etwa auftauchendem Französischem Einfluß zu begegnen. Die Mutterkirche in England scheint theilnahmlos unserem Kampfe zuschauen zu wollen, und wir müssen ihr jetzt zeigen über welche Kräfte wir zu gebieten haben, und ob nur einige wenige, der christlichen Religion gewonnene Häuptlinge ihren Schutz verlangten, oder ein starkes zahlreiches Volk, das ein Recht hat, ihre Hülfe zu beanspruchen.«

      »Mi-to-na-re« flüsterte die junge Frau, unter Thränen lächelnd leise vor sich hin – »Mi-to-na-re.«

      »Ja Prudentia – dort allerdings war eine schöne Zeit für Dich« sagte der Geistliche, mit ernster Theilnahme den Faden auffassend, der an ihre Erinnerung knüpfte – »und Gottes Hand lag liebend auf Deiner Heimath, seinen Segen spendend zu jeder Stunde die mit Glück und heiliger Ruhe Deine Brust erfüllte. Keine Reue über eine einzige verfehlte Stunde – keine Furcht vor einem einstigen Strafgericht erfüllte da Dein Herz – der aufkeimenden Sünde wehrten die Männer, die ihre Lieben daheim, ihr Vaterland verlassen hatten, Dich und die Deinen einem ewigen Leben einer einstigen Glückseligkeit zu gewinnen, indem sie die heidnischen Gräuel zerstörten, die diese Wälder und die Herzen ihrer Bewohner füllten, und Gottes Vaterhuld spannte seinen blauen Himmelsdom liebend über ein glückliches Land. Da kam der Versucher und Du erlagst.«

      »Ehrwürdiger Vater« bat Sadie.

      »Fürchte nicht, mein Kind, daß ich in dieser Stunde gekommen bin Dir Vorwürfe zu machen über Vergangenes; es ist geschehen – ich streckte meine Hand aus Dich zu retten, aber Du stießest sie zurück, und wenn ich Dich auch, durch die Verhältnisse gezwungen, eine Zeitlang Deinem Schicksal überlassen mußte, habe ich Dich doch nicht einen Tag nur aus den Augen verloren Prudentia, und keineswegs die Hoffnung aufgegeben, Deine Seele ihrem Erlöser zu retten – ja ich fürchte fast, wieder zu gewinnen.«

      »Aber was kann ich – darf ich thun?« frug Sadie in peinlicher Angst – »meinem Gatten gehört mein Leben, mein Glück – selbst unsere Religion gebietet uns ihm zu gehorchen.«

      »Willst Du seinen Leib oder seine Seele retten?« frug der Priester mit finsterer, fast tonloser Stimme.

      »Seinen Leib?« rief Sadie – der mit Blitzesschnelle der neue Gedanke an Gefahr des Gatten durch die Seele zuckte – »seinen Leib? was droht ihm? – was soll ich retten – o sprecht um des Heilands Willen, was ist geschehen?«

      »Thörichtes Kind« sagte aber der fromme Mann kopfschüttelnd und seufzend auf sie nieder schauend – »thörichtes blindes Kind, das hoffend und träumend, in sündhafter Sorglosigkeit in die Welt hineingelebt hat, und die wetterschwangere Wolke, die droben furchtbar am Himmel droht, nicht sieht – oder nicht sehen will. Nicht von dem Einzelnen spreche ich, der leichtsinnig die Rache seines Gottes herausfordert durch verstocktes Anhängen am Götzendienst, mit dem sich die Frevler hier Bahn gebrochen haben durch der Waffen Gewalt – nicht der Einzelne ist es, der den strafenden Schlag des Allmächtigen zu fürchten hat – »Ich will meine Pfeile mit Blut trunken machen,« spricht der Herr – »und mein Schwert soll Fleisch fressen über dem Blut der Erschlagenen, und über dem Gefängniß und über dem entblößten Haupt des Feindes. – Jauchzet Alle, die Ihr sein Volk seid, denn er wird das Blut seiner Knechte rächen und wird sich an seinen Feinden rächen und gnädig sein dem Lande seines Volks – Nun will ich mich aufmachen spricht der Herr – nun will ich mich erheben, nun will ich hoch kommen, denn die Völker werden zu Kalk verbrannt werden, wie man abgehauene Dornen mit Feuer ansteckt – Und der Herr ist zornig über alle Heiden, und grimmig über Alles ihr Herr – er wird sie verbannen und zum Schlachten überantworten und ihre Erschlagenen werden hingeworfen werden daß der Gestank von ihren Leichnamen aufgehen wird, und die Berge mit ihrem Blut fließen.«

      »Allerbarmer!« rief Sadie und barg zusammenschaudernd ihr Antlitz in den Händen, dem furchtbaren Bilde zu entgehen, das der finstere Mann vor ihr heraufbeschworen.

      »Allerbarmer ja!« sagte der Priester in langsamem und tiefem Ton – »ja, bis zum letzten Faden seiner Gnade und Barmherzigkeit – dann aber auch der Rächer und furchtbare Richter, mit dem Schwert seines gewaltigen Zornes und dem Eisen seiner Allmächtigkeit.