Gerstäcker Friedrich

Tahiti: Roman aus der Südsee. Dritter Band.


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die Schuldigen von den Schuldlosen zu trennen – o wäre Vater Osborne hier, daß er seinem armen Kinde Trost spendete und Rath in der entsetzlichen Noth.«

      »Nur im Gebet liegt Beides« erwiederte streng und ernst wie je, der Geistliche – »bete Tochter, verlorenes Lamm der Heerde – bete. Bete zu dem Allmächtigen daß er Deiner Stimme Kraft verleiht, zu dem Ohr des Gatten zu dringen, daß er Deinem Herzen die Stärke giebt, auszuhalten in dem schweren Werk und Seinem Pfad zu folgen, trotz allen Irrgängen des Versuchers. Noch ist der Böse mächtig in Dir, aber der Herr wird Dich beugen und niederwerfen in den Staub, wenn Du Dich am sichersten glaubtest vor Seinem Arm – so bete, bete daß Er die Fasern Deines Herzens zum Lichte wende und Seine Hand über Dich halte, Dich zu schirmen und schützen in dem nahen Kampf.«

      Und wie von dem Geist berührt von dem er sprach, warf er sich plötzlich neben der Trauernden, die mechanisch seinem Beispiel folgte, auf die Knie nieder, und die Augen schließend und die fast krampfhaft zusammengefalteten Hände zum Himmel aufhebend rief er mit lauter wehdurchschauerter und das Herz des Weibes wie mit scharfer Waffe treffender Stimme in dem Psalm Assaphs:

      »Herr es sind Heiden in Dein Erbe gefallen – die haben Deinen heiligen Tempel verunreinigt und aus Jerusalem Steinhaufen gemacht.

      »Wir sind unseren Nachbarn eine Schmach geworden, ein Spott und Hohn denen, die um uns sind.

      »Herr wie lange willst Du so gar zürnen, und Deinen Eifer wie Feuer brennen lassen?

      »Schütte Deinen Grimm aus auf die Heiden, die Dich nicht kennen, und auf die Königreiche, die Deinen Namen nicht anrufen.

      »Denn sie haben Jacob aufgefressen und seine Häuser verwüstet.

      »Gedenke nicht unserer vorigen Missethat, erbarme Dich unserer bald, denn wir sind fast dünne geworden;

      »Hilf uns Gott, unser Helfer, um Deines Namens Ehre willen; errette uns und vergieb uns unsere Sünde um Deines Namens willen.

      »Warum lässest Du die Heiden sagen »Wo ist nun ihr Gott?

      »Laß unter den Heiden vor unseren Augen kund werden die Rache des Blutes Deiner Knechte, das vergossen ist.

      »Laß vor Dich kommen das Seufzen der Gefangenen; nach Deinem großen Arm behalte die Kinder des Todes,

      »Und vergilt unsern Nachbarn siebenfältig in ihren Busen ihre Schmach, damit sie Dich, Herr, geschmähet haben.

      »Wir aber, Dein Volk und Schaafe Deiner Weide, danken Dir ewiglich und verkündigen Deinen Ruhm für und für!«

      Langsam erhob sich der Priester nach dem Gebet der Rache an den Allerbarmer und stand noch viele Minuten lang, mit fest auf der Brust gefaltenen Händen neben der knieenden Frau; aber Sadie regte sich nicht – das Antlitz in den Händen über den Stuhl hingebeugt, lag sie in heißem brünstigen Gebet und nur das heftige Wogen ihrer Gestalt, der heiße rasche Athem der sich ihrer Brust entrang, verrieth das Leben, das Leiden der Armen.

      Der ehrwürdige Mr. Rowe schaute mit ernstem fast wehmüthigem Blick auf die Betende nieder und legte dann seine beiden Hände leise und wie segnend auf ihr Haupt. Sadie fühlte die Berührung und zuckte unter ihr zusammen, aber sie blieb regungslos in ihrer Stellung.

      »Prudentia« sagte Bruder Rowe leise – »Prudentia!« – aber keine Antwort wurde ihm, und nur fester schien die Weinende das Antlitz in ihren Händen begraben zu wollen. »So sei Gott mit Dir!« sagte der fromme Mann, seinen Hut ergreifend, den er daneben auf den Tisch gestellt – »so sende er Dir sein Licht und seine Gnade – er lasse sein Angesicht leuchten über Dir und gebe Dir seinen Frieden!«

      Sich dann wendend, verließ er mit leisen Schritten das Haus, ging langsam durch den Garten, an dessen Thüre ein Insulaner halb auf der Lauer, halb auf ihn wartend, gestanden hatte und folgte der Broomroad, die nach Papetee hinunter führte.

      Seine etwas lange und hagere Gestalt war aber noch nicht ganz hinter den, diesen Theil der Hecke bildenden Papayen verschwunden, als aus der ziemlich dichten Orangenlaube die nahe zum Hause stand, eine kleine wohlbeleibte Figur, ganz das Gegentheil des mageren Geistlichen, vortauchte, und dessen Entfernung mit augenfälliger Aufmerksamkeit und fast wie mißtrauisch beobachtete. Der hier jedenfalls versteckt Gewesene schien sich auch gar nicht damit zu beruhigen daß der also Bewachte seinen Weg die Straße entlang bis außer Sicht fortsetzte, sondern er verließ ebenfalls den Garten und folgte dem Andern zuerst eine kurze Strecke auf dem Weg, und dann, als er eine kleine Anhöhe erreichte, von der er einen ziemlichen Ueberblick gewann, noch eine ganze Zeitlang mit den Augen, bis er wirklich in weiter Ferne hinter einer Biegung der Straße verschwunden war. Erst dann schien er sich vollkommen sicher zu fühlen und eilte jetzt mit raschen Schritten und Freude strahlenden Augen zum Haus zurück, dessen Thüre noch, wie sie der Geistliche verlassen, halb geöffnet stand. An der Schwelle aber blieb er wie scheu und unschlüssig stehen – er hob den Arm und ließ ihn wieder sinken – er setzte den Fuß vor, und zog ihn fast ängstlich wieder zurück; endlich aber faßte er sich ein Herz – die Sonne stieg mit jedem Augenblick höher und er durfte die kostbare Zeit nicht länger versäumen, und die Hand der Thüre nähernd klopfte er, mit einem jedenfalls gewaltsam gesammelten Entschluß laut und herzhaft an.

      Keine Antwort; – drinn im Zimmer rührte und regte sich Nichts und der Klopfer blieb kopfschüttelnd und unschlüssig in seiner lauschenden Stellung an der Thür. Endlich, und nach augenscheinlicher Ueberwindung klopfte er zum zweiten Mal, und zwar etwas stärker als vorher, und als auch diesmal seine Anmeldung so unbeantwortet blieb als vorher, gewann die Ungeduld bei ihm so weit die Oberhand, daß er, vielleicht auch halb mit der Ueberzeugung es sei Niemand mehr im Haus, den Knöchel seines dritten Fingers laut und heftig an die Thür anpochte, in demselben Augenblick aber auch mit einem kaum unterdrückten Schrei zurücksprang, als das leise aber doch so deutliche und ihm so wohlbekannte »hare mai« einer weiblichen Stimme an sein Ohr schlug. Sein erstes Gefühl schien auch wirklich unbedingte Flucht, aber die Töne hatten zugleich alte und oh so liebe Erinnerungen in ihm geweckt, und fast instinktartig und jedenfalls unbewußt nach seinen Füßen hinunterfühlend, ob er die Schuhe auch, wie es sich gehöre, daran habe, und nicht etwa wieder barfuß als roher Wilder zwischen den cultivirten Menschen herumlaufe in der Welt, schob er die Thüre langsam auf und trat hinein.

      Sadie hatte sich eben, als sie das Klopfen gehört, vom Boden erhoben und stand der Thüre zugedreht, kaum aber auch die kleine, so lang befreundete Gestalt des Eintretenden erblickt als sie mit dem Freudenruf »Mitonare – mein guter, lieber Mitonare,« auf ihn zusprang und seine, nach ihr ausgestreckte Hand ergriff.

      »Pu-de-ni-a!« stammelte der kleine Mann, und riß die Augen weiter und weiter auf, den mehr und mehr füllenden und vorquillenden Thränen, die er nicht zurückpressen konnte in ihr Bett, einen Blick abzugewinnen auf das Wesen, das ihm das Liebste gewesen war auf der Welt, fast seit dem Tag an, wo er es zuerst auf seinem Arm gewiegt und mit allen Schmeichelnamen genannt hatte die er wußte – »Pu-de-ni-a – es – es freut mich recht – recht sehr – Sie – Sie – Dich – « Er kam nicht weiter – die großen hellen Thränen rollten ihm die Backen hinunter und die nicht widerstrebende Frau an sich ziehend, rieb er – den höchsten Ausdruck innigster, herzlichster Zärtlichkeit den er kannte, seine Nase an der ihrigen, zog sie dann fester an sich, streichelte ihr mit beiden Händen die Schläfe, drehte ihr Köpfchen zu sich hin, ihr in die Augen zu sehen und nannte sie dabei mit allen alten Schmeichelnamen die er kannte und ihr, o wie viel tausend Mal schon, in früheren Jahren liebkosend gegeben hatte; Sadie aber barg ihr Köpfchen an seiner Brust und ihre Thränen strömten ungehindert an dem Herzen des treuen ehrlichen Freundes.

      Bruder Ezra war auch wirklich der Erste der sich wieder sammelte, und das geliebte Kind auf Armes Länge leise von sich schiebend, daß er eben die bleichen, thränenfeuchten Züge erkennen und überblicken konnte, sagte er flüsternd und mit recht weicher, wehmüthiger Stimme, doch nicht in seinem gebrochenen Englisch, sondern der ihm geläufigen Muttersprache:

      »Aber was ist das? – ist Pudenia – meine kleine, liebe Pu-de-ni-a nicht mehr das fröhliche leichtherzige Kind von A-ti-u? – sind die klaren Augen schon so trüb geworden in der kurzen Zeit, und die Wangen so fahl? und ist der böse böse Wi-Wi etwa gar schlecht gewesen mit meinem Lieb, meinem süßen herztröstenden Lieb?«

      Unter