überhaupt Geistlicher geworden?« frug ihn Hennig erstaunt.
»Weshalb?« sagte Brauer, »dieselbe Frage könnte ich Ihnen zurückgeben, denn glauben Sie das Alles selber, was Sie Ihrem Amtseid nach gezwungen sind, den Kindern im Religionsunterricht zu lehren? – nein, aber Sie wissen auch, wie wir im Anfang und von Jugend auf erzogen werden, und wie sich unser Leben fast stets so, daß unser freier Wille nur dem Namen nach dabei in's Spiel kommt, gestaltet und heranbildet. Schon mit der Taufe, unserer ersten Aufnahme in den Bund der Christen, fangen wir an; das schreiende Kind wird mit lauwarmem Wasser begossen, und seine Pathen bestätigen in seinem Namen, wohl häufig selbst ungläubig, den ›festen Glauben‹ des neuen Erdenbürgers. Das aber geht noch an; es ist eine symbolische Handlung, und manche Leute hängen am Formellen; aber nun ist der Junge vierzehn Jahr alt, also in den besten Flegeljahren, hat von einem selbstständigen Gedanken noch keine Idee, plappert nach, was ihm vorgebetet wird, und legt nun auf einmal, mit dem ersten Eid, den er leistet, und wie oft ein Meineid, sein Glaubensbekenntniß ab. Welche Erinnerung bleibt ihm in späteren Jahren von dieser so feierlich gehaltenen Handlung? – daß er sich da zum ersten Mal höchst unbehaglich in einem langschössigen schwarzen Frack gefühlt, und ungeheure Angst gehabt habe, die Oblate bliebe ihm auf der Zunge sitzen – weiter Nichts. Entschließt sich nun der Knabe, nach allen diesen Vorbereitungen dazu, Theologie zu studieren, so begreift er gewöhnlich erst dann so recht aus innerster Tiefe heraus, welchen Stand er gewählt – wenn es zu spät ist. Schritt nach Schritt wird er seinem neuen Berufe näher gezogen, das zweite Examen befestigt ihn endlich unwiderruflich darin, und wenn er sich auch mit Sophismen beschwichtigen und einschläfern will, der Geist in ihm wacht doch und ist lebendig, und raunt ihm Tag und Nacht in's Ohr: einen Priester der Wahrheit willst Du Dich nennen, und zweifelst selber an den Worten, die dir die todte Schrift auf die Lippen legt. –
Aber fort mit den Gedanken, sie quälen uns umsonst, und die Sache bleibt doch wie vorher, die Ketten, die unser Leben fest und unerbittlich umschlossen halten.«
»Sie mögen bei Manchen recht haben« sagte Hennig, und schien ebenfalls plötzlich weit ernster geworden zu sein, – »das hat dann freilich Jeder mit seinem Gewissen auszumachen, was aber das äußere Leben betrifft, so sind die Geistlichen doch unbedingt vor uns Lehrern auf das ungerechteste bevorzugt. Sie bilden auf dem Lande die alleinige Aristokratie, und werden von den Bauern geachtet und geehrt; wie aber steht dies dagegen mit dem Schulmeister? – so ein armes Thier von Dorfschul–«
Ein lautes Pochen am Hausthor unterbrach ihn hier, und der Diaconus, der eben aufgestanden, und ein paar Mal im Zimmer auf und abgegangen war, öffnete seine Thür, ging die Treppe hinab, und schob den Riegel zurück, der den Eingang verschlossen hielt.
»Is der Herr Paster uaben?« frug ihn hier eine vierschrötige Bauerngestalt, die einen derben, etwa elfjährigen Jungen an der Hand, gerade vor dem Eingange stand. Der Mann sah böse und gereizt aus, die Pelzmütze stak ihm seitwärts auf dem struppigen blonden Haar, und mit der linken, breiten, sehnigen Faust hielt er fest des Jungen rechten Arm gepackt, der seinerseits ebenfalls dickverweinten Angesichts und Trotz und Angst in den schmutzig geschwollenen Zügen, mit dem anderen freien Ellbogen die Spuren der letzten Thränen zu verwischen suchte.
»Der Herr Pastor studiert« sagte der Diaconus ruhig, »Ihr wißt wohl, es ist heute Sonnabend, und da läßt er sich nicht gern stören.«
»Ich muß ihn aber emol sprächen« beharrte der Unabweisbare – »'sis von wägen mein Jungen do, den hat mir der Schulmaistr verschlahn.«
»Der Schulmeister?«
»Jo, der Ole – blitzeblau is der Junge auf'm ›Setz Dich druff,‹ un der Rücken hat Striemen, wie meine Finger dick; soll mich der Böse bei Nacht besuche, wenn ich mer mein Jungen verschlahn lasse, wenn er keene Schuld nich hat.«
»Keine Schuld? aber woher wißt Ihr das schon? wird der Schulmeister ein Kind unverdient strafen? Vater Kleinholz ist doch sonst nicht so hart und grausam.«
»Ah was, grausam hin un her!« knurrte der gekränkte Vater, »mein Junge hot mer de ganze Geschichte verzählt, und gor nix hot er gethan, sein Hingermann is es gewäsen, der hot die ganze Suppe verdient, denn des is dem Klausmichel sein Crischan, das Raupenluder, un den hab' ich schon lange uff'm Striche.«
»Aber lieber Freund –«
»Ah, papperlapapp, mit dem Pastor will ich räden, wu is er, der hot noch Zeit gening zum Studieren!« und ohne eine weitere Antwort oder Erlaubniß abzuwarten, schleppte er seinen Jungen, der sich übrigens bei der ganzen Sache nicht wohl zu befinden schien, die Treppe hinauf, bis vor des Pastors Zimmer, klopfte hier rasch an, und trat, ohne selbst das gewöhnliche »Herein« abzuwarten, zu ihm ein.
Der Diaconus ging in seine eigene kleine Stube zurück, wo der Hülfslehrer noch sinnend auf dem Sopha saß, und die beiden hörten jetzt, wie der Bauer mit lauter ärgerlicher Stimme wahrscheinlich das ihm, in seinem Sohne widerfahrene Unrecht dem Pastor klagte.
»Hat denn Kleinholz Meinhardts Gottlieb so geschlagen?« frug der Diaconus den Hülfslehrer endlich, als auch jetzt des Jungen winselnde Stimme, sicherlich erst auf gestrenge Aufforderung, laut wurde, »er soll dicke Striemen haben.«
»Der Meinhardt ist ein böser, durchtriebener Bube« sagte mürrisch der Hülfslehrer, »hätte ich hier zu befehlen, die Range bekäme täglich dreimal Schläge, und das derbe, sonst wird aus dem nichts. Der alte Kleinholz hat aber die Kräfte kaum mehr, Striemen zu schlagen. Wenn er den Bengel übrigens doch gezüchtigt, so muß das schon gestern Nachmittag geschehen sein, denn heute Morgen ist er auf sein Feld hinaus, und ich begreife dann nicht, weshalb der Mann nicht gleich auf frischer That herüber kam.«
Des Pastors Thür ging drüben auf, und Sr. Ehrwürden rief heraus:
»Herr Diaconus – Herr Diaconus!«
»Herr Pastor?« sagte der Gerufene, und trat in die Thür.
»Bitte, bestellen Sie doch einmal, daß der Schulmeister herübergerufen werde – er soll aber den Augenblick kommen! Hören Sie?«
Der Diaconus, gerade nicht in der Laune sehr bereitwillig zu sein, brummte eine Art Antwort, schickte unten aus dem Haus das Mädchen nach der Schule hinüber, und kehrte in sein Zimmer zurück, der Hülfslehrer hatte dieses aber indessen verlassen, und war in das Dorf hinunter gegangen.
Etwa zehn Minuten mochten so verflossen sein, als der langsame Schritt des alten Keilholz auf der Treppe gehört wurde, und dieser gleich darauf leise und ehrfurchtsvoll an die Thüre des Herrn Pastors anklopfte. Drinnen die Leute waren aber im eifrigen Gespräch, und hörten nicht, wie der ängstliche Finger des Greises die Thüre berührte, dem geistlichen Herrn mochte aber indessen die Zeit zu lange dauern, der Bauer mit seinem Salbader hatte ihn so zu höchst unwillkommener Stunde in seinem Studium gestört, und rasch und ungeduldig, riß er die Thüre plötzlich auf, so daß er im nächsten Augenblick vor der eben zum Klopfen wieder niedergebeugten und jetzt ängstlich zurückfahrenden Gestalt des greisen Schullehrers stand.
»Halloh Herr, horchen Sie?« frug er scharf und überrascht.
»Bitte – bitte tau – tausendmal um Verzeihung,« stotterte, blutroth vor Schaam über die ungerechte Beschuldigung, der also Angeredete – »ich hatte schon zweimal angeklopft, aber der Herr Pastor –«
»Schon gut, Schulmeister,« fiel ihm der Seelsorger mit Autorität in's Wort, »kommt einmal auf ein paar Minuten herein – bringt nur Euren Hut mit – Schulmeister –« und er zog dabei die Thür hinter dem, durch die ernste Anrede etwas erschreckten kleinen Mann zu. – »Schulmeister, Meinhardt hier beklagt sich, daß Ihr seinen Jungen so unbarmherzig geschlagen haben sollt.«
»Die Striamen werd mer der Junge vier Wochen mit 'rim tragen,« fiel ihm der Bauer heftig in die Rede –
»Herr Pastor« sagte aber Kleinholz, der jetzt wohl merkte, um was es sich handele, »der Gottlieb hat eine kleine Strafe verdient gehabt, und meine Hand ist nicht mehr so schwer, daß sie einem Kinde Schaden zufügen könnte; von Striemen kann da wohl keine Rede sein.«
»Keine Rede sein?« rief der Bauer, »Gottlieb, gleich noch emol mit der Jacke ringer – keene Striemen nich – so? – ei da –«
Der