Gerstäcker Friedrich

Pfarre und Schule. Erster Band.


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»lebenden Bilder« in Gang zu halten, und verkehrten nicht weiter mit ihnen, als sie nothgedrungen mußten.

      Unter den verschiedenen Familien, die ebenfalls und zwar schon Ende März ihre Sommerwohnungen in Horneck bezogen, befand sich auch eine alte Kommerzienräthin Schütte mit ihrer Tochter, die besonders freundlichen Umgang mit Pastors gesucht und gefunden hatte. Anna Schütte, ihre etwa vierundzwanzigjährige Tochter, war besonders die Liebenswürdigkeit selber; der Frau Pastorin hielt sie das Garn und half ihr mit nach den Kühen sehen, setzte sich zu ihr, und erzählte ihr tausend und tausend Geschichten, alle natürlich auf den Buchstaben wahr, aus dem Residenzleben (und wer hätte das nicht besser gekannt, als Anna Schütte, deren ganzes Leben in der Residenz eine ununterbrochene Kaffeevisite bildete) lobte ihre vortreffliche Butter und den delikaten Käse, versicherte selbst, in Itzingen keinen so guten Kaffee getrunken zu haben, und die Kinder – nein die Kinder, so 'was Herziges existirte auf der weiten Gotteswelt nicht mehr, mein himmlisches Louischen, meine Göttermimmi, mein Götterkind, mein Seelenplätzchen, mein Engelsgesichtchen – und wie gelehrig die »lieben herzigen Dinger« waren. Lieder lernten sie singen, merkwürdig schnell brachte sie die Melodie zum »Graf von Luxemburg« dem fünfjährigen Mädchen in drei gewöhnlichen Unterrichtsstunden bei, und zu Gesichterschneiden u. s. w. zeigten die lieben Dinger eine für ihr Alter ungewöhnliche Geschicklichkeit. Besonders in einer Sache wußte sie die »herzigen Kinder« zu wirklicher Vollkommenheit zu bringen, und diese war, daß sie den Namen irgend einer Person über die Straße hinüber, oder Etagen herauf oder hinunter, mit unverwüstlicher Geduld anriefen. Stand z. B. ihr Vater über dem Weg drüben und sprach mit Jemandem, so mußten die Kleinen rufen Va–ter, und die letzte Sylbe immer eine Quinte höher als die erste – Va–ter – Va–ter, bis der Vater, oder wer es nur war, der zu solchem Anruf als Opfer ausersehen worden, in voller Verzweiflung, denn seinem Schicksal entging er nicht, Folge leistete.

      Daß das unartig oder unschicklich sei, konnte man den Kindern ebenfalls nicht gut sagen, denn Fräulein Schütte hatte es sie ja gelehrt, und die kleinen Dinger trugen ihr jedes Wort zu, was gesprochen wurde.

      Fräulein Schütte hatte aber noch eine andere Eigenschaft – sie sang, und zwar fast stets – auch bei nicht außergewöhnlichen Gelegenheiten – fortissimo, als ob sie auf einer sehr großen Bühne stände und contractlich verpflichtet wäre, bis in die entferntesten Räume der Galerien verständlich hineinzuschreien. Allerdings klang ihre Stimme, bei leisem Gesange, keineswegs unangenehm, bei solchen Kraftanstrengungen wurden die Töne aber scharf und – etwas Entsetzliches bei jedem Gesange – unrein.

      In diesem Frühjahr war auch ein junger Mann aus der Residenz ganz allein hier in Horneck eingetroffen, den man früher dort noch nicht gesehen. Es war ein »Schriftsteller«, wie er sich selber nannte, und ein »sunderbares Gestell!« wie ihn die Landleute titulirten. Was er eigentlich in Horneck wolle oder treibe, wußte man nicht, seiner Aussage nach, wünschte er »eine Arbeit zu beenden«, die Bauern schüttelten aber dazu den Kopf und sagten, »wenn der eine Arbeit fertig machen wolle, so müsse er auch erst dazu anfangen, jetzt sei er aber schon vierzehn Tage im Orte, und habe nicht d'ran gegedacht, zu arbeiten, sondern nur in einem fort geschrieben.«

      Dieser Literat, Strohwisch mit Namen, wohnte in demselben Hause mit der Commerzienräthin Schütte, und zwar unten Parterre. Anstatt aber mit denen, die gleich ihm hier an »ferne Küste« verschlagen worden, in recht freundschaftlichem Verhältnisse zu stehen, schien er wunderbarer Weise und ohne etwa vorhergegangenen Streit, auf sehr gespanntem Fuße mit den Damen zu leben, ja selber eine Art Ingrimm gegen sie im Herzen zu tragen. Konnte das verschmähte Liebe sein? »Pastors Sophie«, ein liebenswürdiges junges Mädchen von 19 Jahren, hatte ihn deshalb im Anfang stark im Verdacht – heißt das ihn – denn wenn auch Anna die Kinderschuhe schon lange ausgetreten haben mochte, wäre sie doch noch immer zu hübsch für den wirklich häßlichen Fremden gewesen.

      Um aber auch unseren jungen Schriftsteller mit wenigen Worten bei dem Leser einzuführen, wird es vielleicht gut sein, ihn kurz und oberflächlich, das heißt sein eigenes liebenswürdiges Aeußeres, zu schildern und abzuconterfeien.

      Feodor Strohwisch war ein Mann nahe an sechs Fuß hoch, mit starkem grobknochigen Gestell, sehr hervorstehenden Backenknochen und etwas stumpfer Nase, die Stirne dabei niedrig und eher eingedrückt als vorstehend, die Lippen aufgeworfen, der Teint braun, das Haar struppig braun und ganz kurz, à la malcontent, abgeschnitten, die Augen groß und stier, auch die Gehörsorgane sehr »ausgearbeitet«, einen schmalen dunklen Schnurrbart von der Mitte des Nasenknorpels hoch an der Oberlippe bis zu den Mundwinkeln niederlaufend, kurz ein Gesicht, wie es Jedermann, wenn es ihm in New-Orleans oder Rio de Janeiro begegnete, für einem Mulatten gehörig, oder doch von Negerrace abstammend, halten würde. Dennoch wäre diese merkwürdige Menschengestalt in der gewöhnlich schlichten Modetracht vielleicht unbemerkt vorübergegangen; aber nein, daran lag dem Eigenthümer des Angesichts nichts; er wollte gesehen, und mit dem Sehen auch – bewundert sein. Ein fast weißer, roth gefütterter Burnus floß, afrikanisch gearbeitet, um seine Glieder, großcarrirte Unflüsterbare deckten die langen Unflüsterbaren, an den Stiefeln klirrten ein paar mächtige Sporen, und die Hand trug malerisch eine fischbeinerne Reitgerte mit elfenbeinernem Griff, der einen Fuß und ein zartgebogenes Mädchenknie bildete, was er auf der Straße stets sinnend und schwärmerisch an die dicken Lippen drückte. Papageigrüne Glacéhandschuh vollendeten die Toilette des »Gelehrten«. Feodor Strohwisch war auch musikalisch, spielte gar nicht übel Pianoforte, und schwärmte oft bis tief in die Nacht hinein, wenn – ihn Anna Schütte nicht daran verhinderte – doch davon später.

      Feodor saß unten im Parterre in seinem Zimmerchen und schrieb; er mußte augenscheinlich Gedichte machen, denn er kaute sehr viel dabei an den Federn herum, sah manchmal ganz vergnügt vor sich hin, schrieb vier Zeilen, strich drei davon wieder aus, und fing dann mit denselben Experimenten von vorne an. Das Singen aber schien ihn auch nicht zu stören, es hatte wenigstens keinen äußerlichen Einfluß auf seine Bewegungen, und seine Arbeit hatte ihren Fortgang, nur wenn ein falscher Ton kam, fuhr er wie Einer in die Höhe, der plötzlich und unerwartet mit einer Stecknadel gestochen wird, schüttelte dann mit dem Kopfe, biß wie verzweifelt in die Feder hinein, daß die hätte laut aufschreien mögen, und fuhr wieder in seiner Beschäftigung fort.

      Anders war es mit dem über die Straße Rufen des Fräuleins – das brachte ihn in der That oft der Verzweiflung nahe, und wenn die hohe Quinte auf der letzten Sylbe manchmal unverdrossen zehn, zwanzig Mal hintereinander durch das Haus schallte, begann er nicht selten die wunderbarsten Experimente, um seinem inneren Grimme Luft zu machen. Wie das aber geschah, werden wir im weiteren Fortgange der Erzählung sehen.

      Da glitt plötzlich eine schlanke Mädchengestalt dicht an seinem Fenster vorüber, blitzesschnell fuhr er mit dem Kopfe nach und hinaus, doch – schon zu spät, die Gestalt war in das Haus geschlüpft und Feodor Strohwisch zog sein tief gerunzeltes Haupt wieder unverrichteter Sache zurück. Wenige Minuten später aber klopfte es oben bei Schütte's an und Anna flog mit einem lautschmetternden »Sie ist's – sie ist's, die Flagge der Liebe soll wehen!« das den Dichter unten um so mehr zur Verzweiflung brachte, da er nicht einmal wußte, wer es war, der Freundin, »Pastors Sophiechen«, entgegen.

      »Ei du holder süßer Engel, das ist ja prächtig, daß Du mich heute besuchst,« rief sie nach der ersten Begrüßung, »ich habe schon gar nicht gewußt, womit ich den verzweifelt langen Nachmittag heute hinbringen würde; nun bleibst Du ein bischen bei mir und da plaudern –«

      »Nein, liebe Anna,« fiel ihr hier lächelnd Fräulein Scheidler in die Rede, »der Nachmittag ist so herrlich, daß wir, so gut es mir bei Euch gefällt, unmöglich hier im engen Stübchen bleiben dürfen; deshalb komm' ich, Dich zu einem kleinen Spaziergang abzuholen.«

      »Aber wohin, Soph'chen,« frug Anna, und ließ schon im Geist ihre Garderobe an sich vorbei defiliren, um die »Eingeborenen« wieder mit einer neuen Toilette in staunende Bewunderung zu versetzen; »wohin, unten am Fluß hin und her? Da wohnt ja Niemand, wie drüben über der Rausche etwa Försters.«

      »Du närrisches Kind,« lachte das holde Mädchen, »wenn wir blos spazieren gehen wollen, kann es uns auch einerlein sein, ob da Jemand wohnt oder nicht; doch am Flusse sind wir schon so oft gewesen, und ich dächte deshalb, wir wollten heute einmal auf der Straße nach Sockwitz zu durch