Gerstäcker Friedrich

Eine Gemsjagd in Tyrol


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Wie still die Nacht hier auf den Bergen liegt. Nur das Rauschen des Stromes tönt herauf, und das einzelne Zirpen einer Grille mischt sich in das leise heimliche Flüstern und Rascheln der Zweige. – Drüben liegen in schweigender Majestät schwarz und düster die mächtigen Bergrücken wie schlummernde Riesen – kein Laut weiter unterbricht die Todtenstille.

      »Huh – a – h!« tönt da langsam und faul, aber tief und gewaltig der Brunftschrei eines starken Hirsches weit aus dem unten liegenden Thal herauf.

      »Das ist ein braver Hirsch,« geht der leise geflüsterte Ruf, den Schreienden nicht etwa zu stören und »da ist noch Einer« ruft Martin, als drüben vom »Roßkopf« herüber ein anderer schwächerer herausfordernd antwortete.

      Wie wunderbar das in dem stillen Walde klingt; wie seltsam feierlich, und doch so wild. Nur das Herz des Jägers füllt der Ton mit unbeschreiblichem Entzücken. – Was ist Nachtigallenschlag, was irgend eine Symphonie dagegen, die sonst im Lande drin vielleicht sein Herz entzückt. Das ist Musik, das zittert durch die Nerven, und macht das Herz rascher schlagen, das Auge glühn und leuchten.

      – Jetzt ist wieder Alles still – da noch einmal tönt der Ruf herauf, aber weiter nach rechts. Der alte Bursch unten hat die Ausforderung angenommen und zieht hinüber nach dem andern Hang, den Gegner zu bekämpfen oder zu vertreiben. – Nun ist Alles ruhig; – nur die Grille zirpt fort, und der Bergstrom unten rauscht sein volltönendes brausendes Lied durch die stille Nacht. –

      Es ist das überhaupt ein eigenthümliches Gefühl, das den aus dem unteren Land heraufgekommenen Jäger die erste Nacht erfaßt – diese ungewohnte heilige Stille der Natur. Kein Wagenrasseln, kein Nachtwächterruf, kein Glockenschlag, kein lauter Tritt der durch öde Straßen hallt – es ist Alles Frieden und Ruhe, als ob hier oben gar keine Leidenschaften tobten und stürmten. Nur das leise Flüstern des Laubes legt mit sanftem, wohlthuenden Finger den Schlaf auf unsere Augen – und wie gut schläft sich's in den Bergen.

      3.

      Aufbruch zur Jagd

      – Draußen schlägt ein Hund an – der langsame Schritt eines Jägers auf dem Steinboden wird laut; – durch das verhangene Fenster dringt der erste dämmernde Schimmer des jungen Tags – der erste freudige Bote begonnener Gemsenjagd.

      Frisch und stärkend schlägt die kühle Morgenluft in das weit geöffnete Fenster und dort? – träume ich denn noch oder wach' ich, und kann das wundervolle Bild das dort, den staunenden Blicken ausgebreitet in all seiner Pracht und Herrlichkeit liegt, Wahrheit – Wirklichkeit sein?

      Gerad gegenüber, und hoch in die reine duftige Morgenluft hineingebaut, ragen die grauen lichtumflossenen Kuppen der Falken hinein – rechts hebt der Stuhlkopf sein breites mächtiges Joch, und tief da unten, weit zwischen beiden hinein, und im Hintergrund von einer schroffen wallartigen Wand, dem Carvendelgebirge begrenzt, zieht sich ein tiefes grünes Thal, in das der Schöpfer zu dieser frühen Morgenstunde all seine wunderbarsten Tinten und Schatten, von all der zauberhaften Pracht der Alpenwelt übergossen, hineingeworfen hat.

      Vom Carvendelgebirge nieder springt der Johannisbach wie ein silberschlängelnder Faden zwischen dichtem Waldesteppich durch, der rechts und links in leichten wellenförmigen, selten schroffauflaufenden Hügeln die Seitenwand erklimmt. Kleine saftgrüne Grasflächen, hie und da mit Spuren hineingestreuter Hütten und Einfriedungen sind dazwischen sichtbar, und über dem Ganzen liegt ein leichter, durchsichtiger blauer Duft, der in dem dunklen Grün der Tannen über dem Silber des Baches, über dem Lichtgrau der in die Wälder hineinragenden Reißen seine Schattirung wechselt, während klar und schroff die hohen nackten Kuppen und Joche der umschließenden Gebirge dies wunderbare Meer von Licht und Farbenpracht überragen. – Jetzt plötzlich erglühen diese in dem ersten Strahl der aufgehenden Sonne, während ihre Zacken in ganz fremdartigem Licht und Raumtäuschung die weiten Schatten werfen, und unten im Johannisthal zittert, von den oben hellerleuchteten Wänden reflectirt, ein mattes rosiges Licht über das bläulich dunkle Grün der Waldung, das gegen den fremden Schimmer anzukämpfen scheint. Farben führen aber nur auf schlechten Bildern und geschmacklosen Kleidern Krieg mit einander; in der Natur ist Alles Harmonie. In wenigen Minuten ist das Ganze zu einem Rosenduft verschmolzen, in dem die tiefe Landschaft glühend liegt. Wie aus dem Grund heraus heben sich dabei die dunkleren Schatten der Waldung mit ihren eingerissenen und jetzt weit schärfer hervortretenden schwarzen Schluchten und Spalten; klarer schneidet sich der silberhelle blinkende Bach heraus, auf dem das Auge jetzt schon die kleinen schneeweißen Schaumwellen erkennen kann. – Der Rosenhauch geht in einen helleren, lichteren Duft über, und wie die Sonne drüben hinter dem Sonnenjoch emporsteigt und ihre Strahlen hell und mächtig in die Thäler wirft, schwinden die zitternden Tinten der Morgenluft in ihrem Schein und – es ist Tag.

      Heiliger Gott, wie ist deine Welt so schön und reich, daß du selbst in die geheimsten Schluchten dieser Erde solch wunderbare Pracht gestreut. Worte fehlen da auch, solcher Allmacht gegenüber, und wie die Lerche draußen im Land wirbelnd ihr frohes Dankgebet zum Himmel trägt, wie der duftende Baum sein Weihrauchopfer haucht, wie die Berge, im Wiederglanz des himmlischen Lichts höher und freudiger erglühn, so bringt die zitternde Thräne im Menschenauge, bringt das jubelnde Herz in Menschenbrust dem unerkannten Wesen über uns seinen stillen Dank, den es mit Worten und Gebeten nimmer so heiß, so glühend sprechen könnte.

      Und doch vergessen ist im Nu die vor uns ausgebreitete Pracht und Herrlichkeit. –

      »Da drüben steht ein Hirsch!« ruft mit seiner heiseren Stimme Martin (kein Tyroler Jäger), der ein Auge wie der Falke hat – »und dahinter noch zwei Stück Wild!« Zu gleicher Zeit zieht er das immer händige Perspectiv hervor und richtet es nach dem Hang des Roßkopfs hinüber, der in einer Entfernung vor uns liegt als ob ihn eine Büchsenkugel leicht erreichen müßte.

      Vergebens aber sucht das Auge, noch nicht an diese Lichttäuschung in der Ferne gewöhnt, durch die offenen Blößen des dort ziemlich lichten Waldes, nach dem gemeldeten Wild. Nirgends läßt sich auch nur das geringste Lebendige erkennen.

      »Dort weiter oben steht auch noch ein Altthier mit einem Schmalthier, und links davon ein Sechsender. – Donnerwetter, ist das da unten ein starker Hirsch!« murmelt Martin dabei vor sich hin, indem er durch sein ausgezogenes »Bergspectiv« (wie es die Tyroler nennen) hinüber schaut.

      »Aber wo? um Gottes Willen?«

      »Gerad dort drüben auf der offenen Stelle; dicht neben der umgefallenen Tanne, wo der gelbe Fleck im Boden ist – gleich links darüber.« –

      Der gelbe Punkt? – wenn man nach einem Kaninchen ausgeschaut hätte, würde man etwa ein lebendes Wesen von der Größe in der Entfernung erwartet haben, und jetzt ist das ein starker Hirsch, zehn- oder zwölfendig, der sich dort ruhig an der Lanne im Walde äst, und nur manchmal nach den, nicht weit über ihm stehenden Thieren auf äugt. Jetzt wird der Blick auch erst auf die verhältnißmäßige Größe der Bäume aufmerksam, die da drüben wie zierlicher Nipptischschmuck, trotz der Entfernung in der reinen Luft mit jedem kleinen ausgezackten Zweig fast sichtbar, stehn, und steigt man zu ihnen hinüber, zu mächtigen Stämmen anwachsen.

      Das Wild äst sich indessen langsam in die Dickung hinein – wird wieder auf einer kleinen Blöße sichtbar, und verschwindet endlich in den Laatschen. Aber die kostbare Zeit verschwindet ebenfalls, und rasch wird das leichte Frühstück eingenommen, das nur ein kleines Intermezzo draußen nicht etwa stört, sondern eher noch würzt.

      Der rothe Schweißhund, Pirschmann, von guter tüchtiger Race – ob aus misverstandenem Eifer oder Langeweile – es läßt sich kaum vermuthen aus eigennützigen Zwecken – hat den etwas primitiv angelegten Keller auf seiner nächtlichen Runde entdeckt, und der dort niedergelegte Kern eines gekochten Schinkens war verschwunden. Pirschmann läugnete allerdings hartnäckig, oder weigerte sich wenigstens, wozu er auch nicht gezwungen werden konnte, gegen sich selber zu zeugen; und Rainer dem die Ueberwachung der Hunde übertragen, bekam vom Mundkoch die von ein oder dem andern verdiente Nase.

      Aber keine Zeit ist's mehr für solche Dinge. Die Jäger stehn draußen gerüstet, den Bergsack auf dem Rücken, den Stock in der Hand, die Büchsflinte oder den Wender über der linken Achsel; die Sonne scheint voll auf die markigen malerischen Gestalten, auf die offenen