Gerstäcker Friedrich

Eine Gemsjagd in Tyrol


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säet sie ihren Samen, treibt Keime und Schößlinge, und klammert sich mit den festen Wurzeln ein. Wo sich ein solcher Anhaltspunkt, und sei er noch so unbedeutend, bietet, findet man diese Büsche, die Nadelspitzen oft klein und kümmerlich, die Zweige dünn und kurz, aber immer fest und sicher in die Felsspalte eingeklemmt, und gar willkommene Anhaltspunkte sind das dann für den Steigenden. Der einmal gefaßte Zweig bricht nicht ab in der Hand, und, wenn er das ganze Gewicht seines Körpers daran hinge.

      Ha – was war das? ein zischender Pfiff der von dort herüber schallt. Eine schreckende Gemse, der irgend woher der verrätherische Luftzug die fremde Witterung des Feindes zugetragen – und dort drüben? – ein rollender Stein, der von den scharfen Klauen eines aufgescheuchten Thieres losgestoßen, hinunter zu Thal die springende Bahn nimmt. – Aber zu sehn ist noch Nichts und der forschende Blick sucht rasch und mistrauisch all die hundert kleinen Schluchten und Spalten ab, aus denen allen das ersehnte Wild im Augenblick herausfliehen kann.

      Todtenstille herrscht – da bricht ein Schuß von oben dröhnend und donnernd in's Thal nieder und weckt das Echo in den Bergen von Wand zu Wand. Das war des Jagdherrn Büchse – wie den Schall die gegenüberliegenden Gebirge jetzt wiedergeben, und wie er sich prasselnd und schmetternd die Bahn hinunter bricht in's tiefe Thal. Und doch ist das hier in den Bergen so eigenthümlich mit eben dem Schall, daß ein im Nachbargraben Stehender den Schuß vielleicht nicht einmal hören konnte.

      Da poltert's und bricht's über das Felsgestein, ganz in der Nähe. Wie mit einem Messer sticht's bei dem Ton dem lauschenden Jäger in's Herz hinein, und bebt und zittert ihm durch alle Glieder. Und ob er von Kindheit an die Büchse geführt und der Spur des Wildes gefolgt wäre, dem ersten, unwillkürlichen, fast krampfhaften Herzklopfen beim plötzlichen Erscheinen eines Stücks Wild, beim Rascheln oder Rauschen das seine sichere Nähe verräth, entgeht er nicht. – Aber es dauert nicht lange, und in der nächsten Minute schon muß er die alte Ruhe wieder erlangt haben, und hat sie auch – einzelne Fälle natürlich ausgenommen.

      Wie das dort rasselt und tobt durch die kleine Schlucht. Drunten heraus aus ihrer Mündung kollern und springen die losgegangenen Steine schon vor, und den Berg hinab. Das muß ein ganzes Rudel sein. – Und richtig, dort in den Laatschen zeigt sich plötzlich der schwarze Körper einer alten Geis mit den weißen Backenstreifen und den hohen scharf umgebogenen Krickeln. Wenn sie allein käme könnte man sie recht gut für einen Bock halten. Aber ein Rudel wird meist immer, ja fast ohne Ausnahme von einer alten Geis geführt, oft der Stammmutter des ganzen Trupps, die so von Kindern und Kindeskindern gefolgt, den Berg durchzieht. Jetzt werden die andern auch sichtbar – leider außer Schußweite, denn das ganze Rudel ist wohl noch vier- bis fünfhundert Schritt entfernt. Auf einem mit Laatschen dünn bewachsenen Felsrücken tauchen sie auf, eine hinter der andern – jetzt eine braune Geis mit schwarzem Rücken, das kleine munter springende Kitz an der Seite, jetzt ein junger zweijähriger Bock der ernst und gravitätisch, wie er es von den älteren gesehn, eine Weile daher schreitet. Dann aber plötzlich, als er das munter seitwärts springende Kitz um sich her tanzen sieht, vergißt er, wenn er auch vorn seinen stolzen Ernst beibehält, hinten doch die Gravität, und macht mit den Hinterläufen einen Jugendsprung. Mehr und mehr drängen herauf und bleiben Kopf an Kopf auf der kleinen Lichtung stehn, alle hinauf nach der Klamm äugend und windend, von der der Schuß tönte. Ehe die Altgeis weiter geht, denkt keins daran sich von der Stelle zu rühren.

      Von drüben herüber ist das Rudel gekommen, jedenfalls von dem Schuß aus sicherer Ruhe aufgeschreckt. Jetzt aber mag doch irgend ein Geräusch der von unten herauf brechenden Treiber von dem scharfen Gehör der Leitgemse erfaßt sein, oder ihr Blick hat auch wohl die sich da unten regende Gestalt, sei sie noch so weit entfernt, gesehn, ihre Nase die fremde gefährliche Witterung gefangen. Da unten ist's jedenfalls nicht recht geheuer, was es auch sei, und seitwärts an der Wand auf der sie gestanden niedertretend, läuft und rutscht sie halb die fast senkrechte Steinplatte hinab, an der sich, von hier aus wenigstens, nicht der geringste Anhaltpunkt erkennen läßt. Jedenfalls will sie schräg durch den Graben dem anderen Ausläufer zu; ihr aber folgen auch, ohne weiter zu fragen weshalb oder wohin, die andern Gemsen. Zuerst die Geis mit dem Kitz, dann der zweijährige Bock, wahrscheinlich ein Herr Sohn vom vorvorigen Jahr, dann wieder zwei Kitzgeisen und nun ein starker Bock. – Wetter noch einmal, ob der Bursche nicht aussieht wie ein Wildschwein, als er da breitspurig und bequem den halsbrechenden Pfad ohne die mindeste scheinbare Anstrengung hinuntergleitet. Wenn der zum Schuß herüberkäme, der wär' recht. – Jetzt folgen noch ein paar wahrscheinlich gelte Geisen oder schwächere Böcke – es läßt sich von hier aus nicht so deutlich erkennen – dann wieder Kitzgeisen dazwischen, und zum Schluß noch ein alter Bock. Im Ganzen ein Rudel von drei und zwanzig Stück.

      Jetzt ist Alles wieder still – die Gemsen haben irgend einen bewaldeten Hang angenommen, und ziehen geräuschlos und gedeckt darin fort.

      Es ist aber, selbst für den geübten Gemsjäger, gar nicht etwa so leicht Geis und Bock von einander zu unterscheiden, ja in der Ferne fast ganz unmöglich, wenn nicht die Geis eben ihr Kitz als Legitimation mit sich führt. Die Farbe der Gemsen ist im Sommer lichter als im Winter, und schmutzig isabellfarbenartig nur mit dem dunklen Rückenstreifen. Im rechten Winter werden sie aber ganz schwarz, und alte gelte Geisen die allein kommen, und oftmals gar starke ansehnliche Krickeln tragen, sehn genau so aus wie ein Bock. Nur in der Nähe unterscheidet sie der längere dünnere Hals, wie auch der etwas zierlichere Kopf vom Bock. Ebenso stehn ihre Krickeln mehr parallel zusammen auflaufend, während die Krickeln des Bocks gleich unten von der Wurzel aus etwas stärker sind und sich ein wenig auseinander biegen. Allerdings nur schwache Unterscheidungszeichen in der Ferne.

      Links, dicht neben uns flattert etwas – welch prächtiger gewandter Vogel sucht sich da sein Mahl an dem nackten Felsen? – Es ist ein Alpenspecht, der mit den scharfen Klauen einkrallend in den Stein, die Flügel ausgespannt und wie zur Stütze an die Wand gestemmt, den Kopf zurückgebogen, auf und ab, bald rechts bald links hinüberläuft, und blitzschnell mit dem nur leicht gebogenen spitzen Schnabel in Ritz und Spalte fährt, Käfer und kleineres Gewürm daraus hervorzuholen. Und welche Pracht in dem Gefieder. Der ganze kleine Bursch ist in seiner Haupt- und Grundfarbe schön stahlgrau mit schwarzem Kopf und dunklen Streifen auf Schwung- und Deckfedern, aber über die zierlichen Flügel läuft ein rosenrother Streif, in dem Grau verschmelzend, wie an den Schwingen des Weinvogels, jenes zierlichen Nachtfalters, und die kleinen schwarzen Augen schauen so scharf, so klug umher. Ist er so wenig furchtsam daß er den, nur wenige Fuß von ihm kauernden Jäger gar nicht scheut? – Ja, der rührt und regt sich nicht, und sitzt da wie hineingewachsen in die Laatsche. Die erste Bewegung freilich – was war das? – Dort flattert auch schon der Alpenspecht zur Seite. Aber was kümmert uns jetzt der – gerade da drüben in der schmalen Klamm, die seit ab aus dem Walde niederführt, rollte ein Stein; dort unten springt er vor und da – wieder der Stich in's Herz – da drüben auf der nächsten Felsenspitze, auf einem Raum den ich mit der Hand bedecken könnte, steht ein schwarzer etwa drei- oder vierjähriger Bock, den klugen Kopf mit dem weißen Backenstreif nach unten gedreht, wo in diesem Augenblick ebenfalls eine Kitzgeis sichtbar wird.

      Wie krampfhaft faßt die Hand den Büchsenkolben, sucht der Zeigefinger der rechten Hand den Drücker, der Daumen den Hahn. Geräuschlos wird er gespannt, langsam durch keine rasche Bewegung den Blick des aufmerksamen Thieres hierherzulenken, hebt sich der Lauf und Korn und Visir zusammen.

      »Pest!« murmelt der Jäger leise zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, und er hat Ursache, denn oben auf dem Lauf, gerade vorn auf dem Korn, von dem blitzenden Metallpunkt vielleicht angezogen, schaukelt sich ein kleiner zierlicher gelber Schmetterling, und will nicht wanken und weichen.

      Noch steht der Bock da drüben und die Gemse unten interessirt ihn mehr als irgend ein Geräusch oder Luftzug der ihn von oben fortgescheucht. Mit unzerstörbarem Ernst schaut er nieder auf das spielende Kitz und die lauschende Geis.

      Langsam und vorsichtig hat der Jäger indeß die Büchse zurückgezogen, bis er mit dem Korn den nächsten Laatschenbüschel erreichen kann. Der Schmetterling weicht den drohenden Stacheln des grünen Busches aus, und flattert thalauf, und wieder richtet sich das Rohr dem heißersehnten Ziele zu.

      Da – hat sein Auge irgend einen verrätherischen rückschlagenden Sonnenstrahl von dem blanken Lauf gefaßt? – wirft der gefährdete