vor uns liegt, haben wir keine Vorstellung von der ungeheuer großen Zahl der Züge, die allein in Deutschland am Tag und in der Nacht ständig in Bewegung sind. Dieses unendliche Gewimmel sich vorzustellen, geht über das Auffassungsvermögen des menschlichen Gehirns hinaus, des Gehirns desselben Menschen, der das Schienenwirrsal doch geschaffen hat.
Allein im Jahre 1913 sind in Deutschland 18 Millionen 357 000 Züge gefahren worden. Die Anzahl der beförderten Personen betrug rund 1 Milliarde 800 Millionen. Danach wäre, wenn man von der verhältnismäßig geringen Zahl der Fremden absieht, jeder der 67 Millionen Einwohner, die Deutschland in dem genannten Jahr hatte, einschließlich aller Kinder, durchschnittlich 27 mal gereist. Die Strecke, über die jeder einzelne Fahrgast im Durchschnitt befördert wurde, war allerdings sehr kurz; sie betrug nicht mehr als rund 23 Kilometer, was ungefähr der Strecke Berlin-Bernau entspricht.
Besonders verblüffend ist das Gewicht der Güter, das in dem einem Jahr auf den deutschen Bahnen befördert worden ist. Dieses war nämlich höher als 676 Milliarden 626 Millionen Kilogramm.
Denkt man sich den Äquator und sämtliche 180 Meridiane mit Schienen belegt, so würde das Gesamtgewicht all dieser Stränge noch nicht einmal ein Drittel jener Güter-Kilogrammzahl betragen. Wenn man aus Wagen von je 20 000 Kilogramm Tragfähigkeit einen Güterzug zusammenstellen wollte, der imstande wäre, das gesamte Gütergewicht auf einmal zu befördern, so würde dieser Zug 236 800 Kilometer lang sein müssen.
Das in den deutschen Eisenbahnen festgelegte Anlagekapital, also die Summe, welche seit dem Beginn der einzelnen Unternehmen für feste Bauten, Fahrzeuge usw. aufgewendet worden ist, betrug zu Beginn des Weltkriegs 19 Milliarden 245 Millionen. Dagegen besaßen zur gleichen Zeit sämtliche deutschen Aktiengesellschaften nur ein Aktienkapital von 15 Milliarden 500 Millionen Mark. Das allein für die preußisch-hessischen Staatsbahnen als dem größten gewerblichen Unternehmen auf der Erde verwendete Anlagekapital erreichte die Höhe von 12 Milliarden 600 Millionen Mark. Der Wert aller deutschen Eisenbahnanlagen wird von Kirchhoff auf 30 Milliarden Mark geschätzt.
Die deutschen Eisenbahnen haben im Jahre 1913 aus dem gesamten Verkehr 3 Milliarden 563 Millionen Mark eingenommen. Hiergegen betrugen die Einnahmen des Deutschen Reichs nach dem ordentlichen und außerordentlichen Haushaltplan nur 3 Milliarden 385 Millionen Mark. Dieser Vergleich zeigt wohl am besten die Riesenhaftigkeit der Summen, die ständig den Eisenbahnkassen zufließen.
Der Personenverkehr, dessen Bedeutung für die gesamte Eisenbahnwirtschaft von Fernerstehenden leicht überschätzt wird, lieferte hierzu einschließlich der Einnahmen aus der Beförderung des Reisegepäcks nur 1 Milliarde 17 Millionen. Das sind 28,55 vom Hundert der Gesamtsumme. Dagegen brachte der Güterverkehr 2 Milliarden 286 Millionen, gleich 64,16 vom Hundert. Der Rest entfällt auf kleinere Einnahmequellen.
Aus den Rieseneinnahmen ergaben sich zum Glück für die deutsche Geldwirtschaft auch sehr bedeutende Gewinne. Der Betriebsüberschuß aller deutschen Bahnen betrug 1913 die auch in der jetzigen Zeit nicht gering erscheinende Summe von 1 Milliarde 66 Millionen. Die Größe dieser Zahl wird noch deutlicher, wenn man zum Vergleich die Gesamtsumme der Jahresgewinne sämtlicher deutscher Aktiengesellschaften betrachtet; dies waren 1 Milliarde 736 Millionen.
Kein zweites Unternehmen auf der ganzen Erde kann im entferntesten einen so bedeutenden Jahresüberschuß ausweisen, wie die preußisch-hessischen Staatseisenbahnen. Hat dieser doch im Jahre 1913 die außerordentliche Höhe von mehr als 787 Millionen Mark erreicht. Wäre der Weltkrieg nicht ausgebrochen, so hätte man wohl schon in wenigen Jahren einen Überschuß von einer vollen Milliarde erzielen können. Die preußische Staatskasse erhielt von der Eisenbahnverwaltung 654 Millionen 267 800 Mark überwiesen. Dagegen betrugen die Einnahmen des preußischen Staats aus sämtlichen unmittelbaren Steuern nur 525 Millionen 490 000 Mark. Die Anlagesumme der preußisch-hessischen Staatsbahnen hat sich dabei mit 6,41 vom Hundert verzinst.
Wer heute eine Reise antreten will, hat nichts weiter zu tun, als am Schalter seine Fahrkarte zu lösen. Dann ist der Beförderungsvertrag mit der Eisenbahnverwaltung geschlossen, und diese hat nun die Aufgabe, den Fahrgast an den gewünschten Ort zu bringen. Hierdurch wird es für diesen, abgesehen von der Zeitdauer der Reise, ganz gleichgültig, ob er etwa von München nach Starnberg oder von derselben Hauptstadt aus nach Memel fahren will. Er setzt sich auf seine Bank im Wagenabteil, schaut müßig zum Fenster hinaus, und für alles übrige sorgt die Eisenbahn.
Aber welch eine in ihrer Vielfältigkeit geradezu ungeheuerliche Anzahl von Veranstaltungen ist notwendig gewesen, damit alle Reisenden so glatt ihre verschiedenen Ziele erreichen können! Von den feststehenden Bauten und den rollenden Vorrichtungen der deutschen Eisenbahnen mit ihren Milliardenwerten haben wir schon gesprochen. Um jedoch die Gesamtheit dieses toten Stoffs zu beseelen, um ihm zielstrebiges Leben einzuhauchen, ihn zu einem wirklich brauchbaren Werkzeug des Verkehrs und Handels zu machen, sind auch sachkundige Menschen notwendig, ist ein Riesenheer von Angestellten erforderlich.
Im Jahre 1913 waren bei den deutschen Eisenbahnen rund 800 000 Beamte und Arbeiter tätig. Ein volles Drittel der gesamten Beamtenschaft aller deutschen Staaten ist bei der Eisenbahn beschäftigt. Jeder 84. Bewohner des Deutschen Reichs dient dieser Verkehrseinrichtung! Zum Vergleich sei die Angabe gemacht, daß das größte Fabrikunternehmen Deutschlands, die Kruppschen Werke in Essen, im Jahre 1913 etwa 80 000 Angestellte beschäftigte. Der preußische Eisenbahnminister allein aber gebot über 560 000 Beamte und Arbeiter.
An Gehältern und Löhnen sind von den deutschen Eisenbahnen in unserem Stichjahr 1 Milliarde 350 Millionen Mark ausgezahlt worden. Die Aufwendungen der Verwaltungen für die an Beamte und Arbeiter gezahlten Ruhegehälter sowie für die Hinterbliebenenfürsorge betrugen über 151 Millionen Mark. Für die Krankenpflege wurden im gleichen Zeitraum aus den Betriebsvermögen 121⁄4 Millionen Mark gezahlt. —
Das Reichsgericht hatte vor etwa 45 Jahren in einem Streitfall festzustellen, was eigentlich eine Eisenbahn sei. Im ersten Band der Entscheidungen des Reichsgerichts auf Seite 252 findet sich die folgende Darlegung:
„Eine Eisenbahn ist ein Unternehmen, gerichtet auf wiederholte Fortbewegung von Personen oder Sachen über nicht ganz unbedeutende Raumstrecken auf metallener Grundlage, welche durch ihre Konsistenz, Konstruktion und Glätte den Transport großer Gewichtsmassen, beziehungsweise die Erzielung einer verhältnismäßig bedeutenden Schnelligkeit der Transportbewegung zu ermöglichen bestimmt ist und durch diese Eigenart in Verbindung mit den außerdem zur Erzeugung der Transportbewegung benutzten Naturkräften (Dampf, Elektrizität, tierischer, menschlicher Muskeltätigkeit, bei geneigter Bahn auch schon der eigenen Schwere der Transportgefäße und deren Ladung usw.) bei dem Betrieb des Unternehmens auf derselben eine verhältnismäßig gewaltige, je nach den Umständen nur in bezweckter Weise nützliche, oder auch Menschenleben vernichtende und die menschliche Gesundheit verletzende Wirkung zu erzeugen fähig ist.“
Man kann den Begriff der Eisenbahn wohl auch kürzer fassen: sie ist eine Fahrbahn aus eisernen oder stählernen Schienengeleisen, auf der Fahrzeuge durch Dampf oder andere mechanische Kraft fortbewegt werden. Diese einfache Feststellung birgt aber, wenn man sie genauer betrachtet, eine sehr eigentümliche Tatsache in sich.
Die Eisenbahnfahrzeuge fahren auf Schienen, das heißt auf einer für jedes Rad äußerst schmalen Bahn, von der dieses auch nicht um ein weniges abweichen darf. Die Landstraße bildet eine viele Meter breite Fahrtafel, auf der die Räder an jeder beliebigen Stelle gleich gut rollen können. Meterweite seitliche Ausbiegungen sind darum allen Fahrzeugen auf der Landstraße ohne weiteres möglich. Sie vermögen aneinander vorbeizufahren, sich gegenseitig zu überholen. Daraus ergibt sich, daß Fahrzeuge der verschiedensten Art mit allen erdenklichen Achslängen und mit beliebigen Höchstgeschwindigkeiten auf der Landstraße fahren können.
Auf den Eisenbahnschienen geht das nicht. Hier sind die Züge fest hintereinander aufgereiht, die Geschwindigkeit des einen begrenzt bei gewöhnlichem Gleis die Bewegung aller folgenden.
An die Stelle der Freiheit ist der Zwang getreten.
Eine meisterliche Beschränkung ist es gewesen, die dem Verkehr seinen gewaltigen Fortschritt und seine Unbeschränktheit gebracht hat. Es galt, für den Lauf schwerbelasteter Räder eine möglichst glatte und feste Fahrbahn zu schaffen. Diese ist mit den Mitteln, die uns bis heute zu Gebote stehen, nur