Gerstäcker Friedrich

Pfarre und Schule. Zweiter Band.


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täcker

      Pfarre und Schule. Zweiter Band. / Eine Dorfgeschichte

      Erstes Kapitel.

      Die Kaffeegesellschaft

      Die kleine Gesellschaft bestand bis jetzt erst aus vier Personen, und zwar aus der Frau Oberpostdirector von Gaulitz – erst seit wenigen Monaten vermählt – aus des Pastors rosigem Töchterlein Sophie, und den beiden Schwestern des Herrn Geheimeraths Seiffenberger aus der Residenz, und das bis jetzt nur über Putz- und Modesachen geführte Gespräch hatte schon einen recht erfreulichen Aufschwung genommen.

      Indessen eilten aber, um den freundlichen kleinen Zirkel zu vermehren, zwei andere Damen rasch dem Rittergute zu – nämlich unsere alte Bekannte »Fräulein Schütte nebst Mutter«, wie sie Poller bald darauf so eigenthümlich als bezeichnend anmeldete.

      »Aber Anna,« keuchte die Mutter endlich, die fortwährend ein nicht unbeträchtliches Stück hinter ihrer flüchtigeren Tochter zurückgeblieben war, »Du läufst ja, daß man gar nicht zu Athem kommen kann – wenn Du so rennen willst, so geh' allein, ich bin's nicht länger im Stande.«

      »Komm nur, Mutter,« bat aber Anna, als jene, dem Wort die That folgen lassend, wirklich stehen blieb, um nur einmal ordentlich Athem zu schöpfen – »es ist wahrhaftig schon drei Uhr vorbei, und Oberpostdirectors sollen immer so früh Kaffee trinken – die werden gar nicht wissen, wo wir bleiben.«

      Die Mutter setzte sich wieder langsam in Bewegung, und Anna, ihren Schritt auch etwas mäßigend, daß sie an ihrer Seite blieb, fuhr – augenscheinlich nur ihre bisherigen Gedanken laut aussprechend – fort:

      »Nein Mutter, ich kann mich gar nicht darüber zufrieden geben, daß sich der alte Oberpostdirector doch noch hat von der jungen hübschen Frau scheiden lassen, um das ungebildete Ding, seine Wirthschaftsmamsell, zu heirathen – das ist auch ein alter Sünder, der noch einmal, und hoffentlich auf dieser Welt schon, wenn er es am wenigsten erwartet, seinen Lohn kriegt. Na, die kann sich gratuliren, denn besser wie er seine anderen Frauen behandelt hat, wird er's mit der auch nicht machen. Ueberhaupt die Frommen, das ist so die rechte Art – vor den Leuten beten sie, und zu Hause sind's nachher Tyrannen, und Gott weiß was für Hallunken. – Wenn ich nicht so neugierig wäre, zu sehen, wie sie sich zusammen vertragen, ich käme dem Herrn wahrhaftig mit keinem Fuße über die Schwelle.«

      »Hat denn seine Frau ihr jüngstes Kind wirklich hergeben müssen?« frug die Mutter, und griff fast unwillkürlich nach der Tochter Arm, die eben schon wieder in größeren Schritten vorauseilen wollte.

      »Nun natürlich,« erwiederte diese, »weißt Du denn das nicht? Nicht des Kindes wegen, denn das wird dem alten Geizhals wohl kaum am Herzen liegen, aber der Welt wegen – der gute Mann, sollen die Leute sagen, kann nicht ohne sein Kind leben – was für eine Vaterliebe – siehst Du Mutter, ich wünsche keinem Menschen gern 'was Böses, aber wenn ich den Schuft könnte hängen sehen –«

      »Schrei nur nicht so,« sagte die Mutter, »Deine Stimme hört man so über drei Straßen hinüber – da oben steht wahrhaftig der Oberpostdirector am Fenster.«

      Und sich freundlich verbeugend und grüßend traten sie in's Haus, wo ihnen Frau von Gaulitz mit höflichem Willkommen entgegen kam und sie den anderen beiden Damen, Fräulein Melinde und Josephine Seiffenberger, Töchter des Herrn Geheimenraths Seiffenberger, vorstellte.

      Gegen diese beiden Damen verneigte sich Anna Schütte auf das Förmlichste, dann flog sie aber, wie aus einer Pistole geschossen, Sophie Scheidler um den Hals, nannte sie ihr liebes herziges Soph'chen und rief, sich darauf im ganzen Zimmer umschauend:

      »Nein aber, wie Sie reizend wohnen, Frau Oberpostdirector – das ist zu herrlich, zu göttlich – ach, so einen Stuhl habe ich mir schon lange gewünscht – nein der ist doch zu wonnig – und die Aussicht – ach die Berge da im Hintergrunde – das möcht' ich malen können – und der wunderschöne Flügel – das ist wohl ein Bretschneider? – spielen Sie denn auch?«

      Frau von Gaulitz wurde blutroth, antwortete aber nach kurzem Zögern:

      »Ein Bischen – nur sehr wenig – aber bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen? – Louise, schenk doch den Damen ein.«

      »Den Augenblick, meine Gnädige,« sagte Anna, ließ sich vor dem geöffneten Flügel nieder und griff einige Accorde – »nein, was das Instrument für einen reizenden Ton hat – wundervoll.«

      Und ohne vorherige Warnung legte sie sich plötzlich in die Tasten und raspelte der auf's Aeußerste erstaunten Zuhörerschaft mit unzähligen falschen Griffen – armer Karl Maria – Webers Aufforderung zum Tanz herunter. Die beiden Geheimenrathstöchter und Frau von Gaulitz waren auch über die Ausführung wirklich entzückt, lobten wenigstens das Spiel auf das Angelegentlichste, und fragten nur, ob Fräulein Schütte nicht auch singen könne.

      »Nur wenig,« entschuldigte sich diese, »ich bin lange heiser gewesen, und muß mich jetzt noch sehr schonen.«

      »Nun nach dem Kaffee erfreuen Sie uns vielleicht mit einem Liede,« sagte der Oberpostdirector, der fest entschlossen war, nach dem Kaffee einige wichtige und unaufschiebbare Geschäfte zu haben.

      Die Neuangekommenen nahmen nach dieser Wendung und auf nochmaliges Nöthigen ihre Sitze ein. Fräulein Schütte erhielt den Platz zwischen den beiden Geheimenrathstöchter und Freundschaft war auch bald unter diesen dreien geschlossen. Im Anfange schweifte dabei das Gespräch, da man sich ja doch nicht näher kannte, natürlich nur über allgemeine und ziemlich gleichgültige Dinge hin, Wetter und Jahreszeit, beabsichtigte Lustfahrten und die reizende Lage der hiesigen Gegend mußten den Grundstoff liefern, zu dem die verschiedenen Parteien die Variationen ausarbeiteten; nicht lange dauerte es aber, so fing es an, auf einzelne Individuen oder Punkte seinen Stachel hinzulenken, und wurde dadurch, wie sich das von selbst versteht, nur interessanter.

      »Sie sind also voriges Jahr auch in Dresden gewesen?« frug Melinde auf eine von Fräulein Schütte geäußerte Bemerkung.

      »Ei ja wohl, beinahe fünf Monate, mein Fräulein – es ist doch eine herrliche Stadt – und so billig – nein Sie glauben gar nicht, wie billig und doch angenehm man dort wohnen kann.«

      »Wo haben Sie denn eigentlich gewohnt, es wundert mich, daß uns nie das Vergnügen zu Theil geworden.«

      »In der Pirnaischen Gasse, im Ploßfeld'schen Hause – Sie kennen es wohl?«

      »Das Ploßfeld'sche Haus? – ei gewiß, das ist dasselbe, Josephine, wo früher Mehlheims wohnten.«

      »Ach, die,« sagte Fräulein Josephine mit einem so bedeutungsvollen, wenn auch etwas höhnischen Lächeln, daß es augenblicklich die vollkommene Aufmerksamkeit der Familie Schütte erregte.

      »Was sind das für Mehlheims?« frug Anna rasch.

      »Kennen Sie die Mehlheims nicht?« sagte Fräulein Melinde erstaunt – »Professor Mehlheims, die erst vor zwei Jahren von Breslau zu uns kamen? – Sie stammen aus Dresden.«

      »Nein, von denen habe ich nie gehört«

      »Hm, das wundert mich, lieber Gott, sie ist eine Schwester der Regierungsräthin Hertig – die kennen Sie doch.«

      »Hertig? Hertig? Sind die etwa mit den Hertigs in Plauen verwandt?«

      »Das weiß ich nicht, aber ihre Mutter war eine geborene Jähn, von Assessor Jähn's die Tochter.«

      »Ach, die kenne ich ganz gut,« fiel hier die Frau Commerzienräthin ein, »die haben uns einmal ein halbes Jahr lang schräg über gewohnt – also mit denen sind die Mehlheims verwandt; aber was wollten Sie denn vorhin erzählen?«

      »O gar nichts von Bedeutung weiter,« sagte Melinde, »ich meine nur, sie hatten alle Ursache aus dem Logis zu ziehen, denn in solchem Schmutz und Unrath hätten sie doch nicht länger fortbestehen können.«

      »Aber das begreif' ich gar nicht,« fiel hier der Oberpostdirector, der sich bis dahin am Gespräch mit keiner Sylbe betheiligte, sondern nur manchmal aus dem Fenster nach dem erwarteten Pastor geschaut hatte, ein – »gerade die Professorin Mehlheim ist als eine vortreffliche Frau und gute Wirthin bekannt, und ich selbst bin schon oft bei ihnen gewesen, und weiß, daß ich mich sogar über die dort herrschende Sauberkeit sehr gefreut habe.«

      »Lieber Herr Oberpostdirector,« fiel ihm hier die jüngste Fräulein Seiffenberger in's Wort – »Sie können sich