Gerstäcker Friedrich

Pfarre und Schule. Zweiter Band.


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spielen, den ganzen Tag sitzt sie auf dem Sopha, und liest Bücher und Journale und draußen in Küche und Speisekammer geht's drunter und drüber, und die Kinder dürfen Alles herrichten, wie es ihnen gerade Spaß macht.«

      »Unser Mädchen hat auch, ehe sie zu uns zog, bei Mehlheims gedient,« sagte die Schwester, »und uns schöne Geschichten von dort erzählt – den Wein konnte sie nur so wie sie wollte aus dem Keller nehmen, da war sie förmlich daran gewöhnt.«

      »Aber die Mädchen reden auch manchmal mehr, als sie sollen und verantworten können,« sagte Sophie Scheidler, »man darf wahrlich nicht Alles glauben, was die sagen; ich weiß, was nur allein hier in Horneck schon für häßliche Sachen aus solchem unbegründeten Nacherzählen entstanden sind.«

      »Nun da kommen wir wieder auf unser Kapitel, liebes Sophiechen,« nickte ihr Anna zu – »das weiß der liebe Gott, die Noth, die man mit den Dienstboten jetzt hat, ist entsetzlich – unsere Rieke, das ist soweit ein ganz gutes Mädchen, aber das Klatschen – das liebe Mundwerk steht ihr den ganzen Tag nicht still, und schickt man sie gar einmal aus, so kann man sich nur fest darauf gefaßt machen, daß sie in der ersten Stunde nicht wieder kommt.«

      »Das machen sie alle so,« nahm hier Fräulein Melinde die Sache auf, »ich hatte einmal ein Mädchen, das durfte ich Abends gar nicht aus den Augen lassen, und selbst im hellen Sonnenschein verging kaum ein Tag, wo sie nicht irgend ein Bruder aus der Provinz, manchmal Soldat, manchmal Civil, besucht hätte. Und kein Fertigwerden mit ihr; zum Aufwasch brauchte sie manchmal drei volle Stunden.«

      »Nun ich dächte« fiel ihr hier Josephine in's Wort, »darin leistete unsere jetzige auch etwas – denken Sie sich, neulich Abends nach dem Essen hatte sie Nichts mehr zu thun, als das Bißchen Messing und Kupferzeug zu putzen, den Vorsaal und die Küche zu scheuern, und uns noch eine Kleinigkeit von Taschentüchern und Kragen zu waschen, und wissen Sie bis wie lange sie dabei das theure Oel verbrannt hat? – bis Morgens um zwei Uhr – das ist denn doch wahrhaftig zum krank ärgern, und da hilft auch kein Reden und Sagen.«

      »Der muß es aber bei uns wie im Himmel sein,« nahm hier Fräulein Melinde die Unterhaltung wieder auf, – »denn vorher war sie bei der Frau Hauptmann Kohlwitz in Dienst gewesen, und die sollen Dienstleute wirklich wie die Sclaven behandeln.«

      »Nun, den Ruf hat sie wenigstens,« fügte, wenn das irgend noch nöthig gewesen wäre, Fräulein Schütte als Bestätigung hinzu – »wissen Sie, meine Gnädige, – ach, die Frau Oberpostdirector war ja nie in Dresden – wissen Sie, Fräulein Seiffenberger, wie der Hauptmann damals das Duell mit dem alten Bergcommissar hatte – ich war gerade in der Zeit auf ein paar Tage zu Besuch oben, da kam eine gute Freundin von der Frau Hauptmann manchmal zu uns, und die hat uns entsetzliche Geschichten von ihr erzählt –«

      »Und kleiden thut sich die Frau,« setzte Fräulein Josephine hinzu – »das ist fabelhaft, man kann ihr doch recht gut nachrechnen, was ihr Mann eigentlich zu verzehren hat, denn das Gerücht mit dem amerikanischen Onkel war doch ein Bißchen gar zu plump, und sollte wahrscheinlich die Gläubiger etwas geduldiger machen, – und trotzdem giebt sie allein mehr für seidene Kleider und Hüte aus, wie – das weiß ich aus ganz sicherer Quelle – ihr monatliches Wirthschaftsgeld beträgt.«

      »Wissen Sie denn, wer jetzt – erst etwa vor zwei Stunden, in Horneck eingetroffen ist?« frug Fräulein Schütte plötzlich, aber mit leiser Stimme, als ob sie irgend ein wichtiges Geheimniß mitzutheilen habe. Die Frage verfehlte ihre Wirkung denn auch keineswegs, die Damen fuhren blitzesschnell mit den Köpfen zusammen, und ein erstauntes »wer denn?« lief durch die Reihe.

      »Die Frau Ministerin von Herchenthal mit Mutter und Tochter?« rief triumphirend Anna und ein erstauntes »ist es denn möglich?« war ihr Lohn.

      »Was muß aber da nur vorgegangen sein?« frug Fräulein Melinde rasch.

      »Vorgegangen?« sagte Sophie Scheidler – »weshalb soll da gerade etwas vorgegangen sein; die Frau Ministerin – ist seit drei Jahren jeden Sommer herausgekommen.«

      – »Aber nicht mit der Mutter, mein Herz,« fiel ihr Anna Schütte rasch in's Wort – »nicht mit der Mutter und einem Reisewagen voll Koffer, als ob sie ihre Winterquartiere beziehen wollten; und nicht Anfang April, sondern Ende Mai, wenn die Tage ganz warm und schön waren. Nein, richtig ist die Sache nicht, darauf wollte ich mein Leben einsetzen.«

      »Das geschieht ihr aber ganz recht« versicherte in's Blaue hinein und ungewiß, auf was sich das »nicht richtig« eigentlich bezöge, Fräulein Josephine und hielt der Wirthschaftsmamsell zum fünften Mal ihre Tasse hin – »einen solchen Hochmuth wie die Leute gehabt haben – nein das ist ganz unglaublich; ich wünsche keinem Menschen etwas Böses, aber das gesteh ich, das könnte mir ordentlich einen frohen Tag bereiten, wenn ich erführe, daß es denen einmal nach Verdienst gegangen wäre.«

      »Was will denn die aber auf dem Lande?« frug Melinde – »von der Wirthschaft versteht sie denn doch nicht so viel. Kaskelts, die dicht neben an gewohnt haben, und ihnen gerade in den Hof sehn konnten, versicherten mich oft es sei wirklich traurig wie es bei Denen zu gehe – einen Hasen haben sie einmal drei ganze Wochen vor dem Küchenfenster hängen gehabt, bis er gar nicht mehr zu genießen war, denken Sie sich, den hatten sie rein vergessen und was die allein den vier kleinen Bologneser Hunden füttern, die sich die Frau Ministerin hält, davon könnten zwei arme Menschen anständig leben. Das sollte denn doch wahrhaftig nicht sein, und selbst in der theueren Zeit hat sie nicht einen einzigen abgeschafft.«

      Eine kurze Unterbrechung entstand hier durch das Eintreten des Pastors, der übrigens keinen Theil an der Unterhaltung nahm, sondern sich mit dem Oberpostdirector in die Ecke des Zimmers auf ein kleines Seitensopha setzte, und dort mit diesem einiges sehr angelegentlich zu besprechen schien. Das so interessante Gespräch der Damen wurde aber auch jetzt, als ob sie die Gegenwart des geistlichen Herren scheuten, mit etwas leiserer Stimme, sonst jedoch mit keineswegs vermindertem Eifer, fortgesetzt. Die beiden liebenswürdigen Schwestern Seiffenberger schienen sich übrigens der Unterhaltung mehr und mehr zu bemächtigen und Fräulein Schütte wurde einsylbiger als man das sonst wohl von ihr gewohnt war – sie brannte nämlich darauf irgend ein brillantes Gesangstück vorzutragen und hoffte bis jetzt nur noch immer auf eine erneute Einladung als zündende Lunte – obgleich sie im entgegengesetzten Fall dennoch fest entschlossen war, von selber los zu gehn.

      Die Dämmerung brach indessen an, es wurde dunkel in dem, von ein paar hohen Kastanienbäumen stark beschatteten Gemach – der Oberpostdirector und Pastor waren in ihrer düsteren Ecke kaum noch zu erkennen, ebenso verschwammen Fräulein Schüttes Umrisse, die vom Tisch aufgestanden – leise zu dem Fortepiano geschwebt war und sich dort schwärmerisch sinnend auf dem kleinen gestickten Sessel niedergelassen hatte, mit dem fahlen Hintergrund der Tapete.

      Da öffnete Poller die Thür, schaute herein und sagte:

      »Der Herr Schriftsetzer Strohwisch wünschen die gnädige Frau zu sprechen.«

      »Schriftsetzer?« riefen Fräulein Melinde und Josephine wie aus einem Athem – »hahaha – das ist göttlich – das ist himmlisch – Schriftsteller meinen Sie – das ist eine reizende Verwechselung – Herr Strohwisch ist humoristischer Schriftsteller – das hätte sich ja gar nicht besser treffen können, der liefert charmante Sachen.«

      »Wird mir sehr angenehm sein« sagte, während aus der Ecke in der der Oberpostdirector saß, ein leiser Seufzer emporstieg, Frau von Gaulitz zum Bedienten gewandt. Dieser verschwand – die Thür that sich auf und herein trat, im schwarzen Frack und mit den unausweichbaren papageigrünen Glacéhandschuhen, unter denen hervor ein Stück der derben, fest zusammengepreßten blutrothen Hand sichtbar wurde, in großcarrirten Unaussprechlichen, die Haare allem Anschein nach noch kürzer als gewöhnlich geschnitten, ebenso die Nase, wenn das möglich gewesen wäre, noch stumpfer, die Augenbrauen noch mehr heraufgezogen, die Augen noch stierer und größer, die Stirn noch schmaler, die weit abstehenden Ohren noch feindlicher gegen einander gesinnt – die Sporen noch klirrender, die Reitpeitsche noch graciöser in der Hand, Feodor Strohwisch, mit einem freundlichen Lächeln auf den breiten Zügen.

      Die Begrüßung war kurz, Strohwisch schien nicht gewohnt lange Complimente zu machen – ubi bene, ibi patria, ob sich das patria nun eben so wohl um