Rudolf Virchow

Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre


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aus einer Lymphdrüse. e. Ganglienzelle aus dem Kleinhirn. Die Kerne überall gleichartig.

      Zuerst erwarten wir, dass innerhalb der Zelle ein Kern sei. Von diesem Kerne, der in der Regel eine ovale oder runde Gestalt hat, wissen wir, dass er, zumal in jungen Elementen, eine grössere Resistenz gegen chemische Einwirkungen besitzt, als die äussereren Theile der Zelle, und dass er trotz der grössten Variabilität in der äusseren Gestalt der Zelle seine Gestalt im Allgemeinen behauptet. Der Kern ist demnach derjenige Theil der Zelle, der mit grösster Constanz in allen Formen fast unverändert wiederkehrt. Freilich giebt es einzelne Fälle, sowohl in der vergleichenden, als auch in der pathologischen Anatomie, wo auch der Kern zackig oder eckig erscheint, aber dies sind ganz seltene Ausnahmen, gebunden an besondere Veränderungen, welche das Element eingegangen ist. Im Allgemeinen kann man sagen, dass, so lange es noch zu keinem Abschlusse des Zellenlebens gekommen ist, so lange die Zellen sich als lebenskräftige Elemente verhalten, die Kerne eine nahezu constante Form besitzen. Nur in den niedersten Pflanzen z. B. in den niedersten Pilzformen, ist es nicht möglich, einen Kern nachzuweisen.

      Der Kern seinerseits enthält bei entwickelten Elementen wiederum mit grosser Beständigkeit ein anderes Gebilde in sich, das sogenannte Kernkörperchen (Nucleolus). Man kann jedoch von demselben nicht sagen, dass es als ein notwendiges Desiderat der vitalen Form erscheine; in einer erheblichen Zahl von jungen Elementen ist es noch nicht gelungen, es zu sehen. Dagegen treffen wir es bei gut entwickelten, älteren Formen regelmässig, und es scheint daher eine höhere Ausbildung des Elementes anzuzeigen.

      Nach der Aufstellung, welche ursprünglich von Schleiden gemacht und von Schwann acceptirt wurde, dachte man sich lange Zeit das Verhältniss der drei genannten Zellentheile (Membran, Kern und Kernkörperchen) so, dass der Nucleolus bei der Bildung der Gewebe als das Erste aufträte, indem er sich aus einer Bildungsflüssigkeit (Blastem, Cytoblastem) ausscheide, dass er schnell eine gewisse Grösse erreiche, und dass sich dann um ihn kleine Körnchen aus dem Blastem niederschlügen, um die sich wiederum eine Membran verdichte. Damit wäre ein Nucleus fertig, um den sich allmählich wiederum neue Masse ansammele und, zuerst an einer Seite des Nucleus, eine feine Membran erzeuge (die berühmte Uhrglasform der Zellenmembran. Fig. 5, d'). Diese Darstellung der Bildung von Zellen aus freiem Blastem, wonach der Kern der Zelle voraufgehen und als eigentlicher Zellenbildner (Cytoblast) auftreten sollte, ist es, welche man gewöhnlich unter dem Namen der Zellentheorie (genauer Theorie der freien Zellenbildung) zusammenzufassen pflegte, – eine Theorie, welche gegenwärtig vollständig verlassen ist, und für deren Richtigkeit keine Thatsache beigebracht werden kann.

      Fig. 5. Freie Zellenbildung nach Schleiden, Grundzüge der wiss. Botanik. I. Fig. 1. „Inhalt des Embryosackes von Vicia faba bald nach der Befruchtung. In der hellen, aus Gummi und Zucker bestehenden Flüssigkeit schwimmen Körnchen von Proteinverbindungen (a.), unter denen sich einzelne grössere auffallend auszeichnen. Um diese letzteren sieht man dann die ersteren zu einer kleinen Scheibe zusammengeballt (b. c.) Um andere Scheiben erkennt man einen hellen, scharf begrenzten Saum, der sich allmählich weiter von der Scheibe (dem Cytoblasten) entfernt und endlich deutlich als junge Zelle (d. e.) erkannt wird.“

      Wir werden späterhin eine Reihe von Thatsachen der physiologischen und pathologischen Entwickelungsgeschichte besprechen, welche es in hohem Grade wahrscheinlich machen, dass der Kern allerdings eine außerordentlich wichtige Rolle innerhalb der Zelle spielt, eine Rolle, die, wie ich gleich hervorheben will, weniger auf die Function, die specifische Leistung der Elemente sich bezieht, als vielmehr auf die Erhaltung und Vermehrung der Elemente als lebendiger Theile. Die specifische (im engeren Sinne animalische) Function zeigt sich am deutlichsten am Muskel, am Nerven, an der Drüsenzelle, aber die besonderen Thätigkeiten der Contraction, der Sensation, der Secretion scheinen in keiner Weise unmittelbar mit den Kernen etwas zu thun zu haben. Dass dagegen inmitten aller Function das Element ein Element bleibt, dass es nicht vernichtet wird und zu Grunde geht unter der fortdauernden Thätigkeit, dies scheint wesentlich an die Existenz des Kerns gebunden zu sein. Alle diejenigen zelligen Bildungen, welche ihren Kern verlieren, sind hinfällig, sie gehen zu Grunde, sie verschwinden, sterben ab, lösen sich auf. Ein menschliches Blutkörperchen z. B. ist eine Zelle ohne Kern; es besitzt höchstens eine äussere Membran und einen rothen Inhalt, aber damit ist seine Zusammensetzung, soweit man sie erkennen kann, erschöpft, und was man vom Blutkörperchen-Kern beim Menschen erzählt hat, bezieht sich auf Täuschungen, welche allerdings sehr leicht und häufig hervorgebracht werden dadurch, dass kleine Unebenheiten an der Oberfläche entstehen (Fig. 61). Man würde daher nicht einmal behaupten können, dass Blutkörperchen Zellen seien, wenn man nicht wüsste, dass eine gewisse Zeit existirt, wo auch die menschlichen Blutkörperchen Kerne haben, nehmlich die Zeit innerhalb der ersten Monate des intrauterinen Lebens. Hier circuliren auch beim Menschen kernhaltige Blutkörperchen, wie man sie bei Fröschen, Vögeln, Fischen das ganze Leben hindurch sieht. Das ist bei Säugethieren auf eine gewisse Zeit der Entwickelung beschränkt; in der späteren Zeit besitzen die rothen Blutkörperchen nicht mehr die volle Zellennatur, vielmehr haben sie einen wichtigen Bestandtheil ihrer Zusammensetzung eingebüsst. Aber Alle sind auch darüber einig, dass gerade das Blut einer von jenen wechselnden Bestandtheilen des Körpers ist, deren Elemente keine Dauerhaftigkeit besitzen, vielmehr fort und fort zu Grunde gehen und ersetzt werden durch neue, die wiederum der Vernichtung bestimmt sind. Wie die obersten Epidermiszellen, in welchen wir auch keine Kerne finden, sobald sie sich abschilfern, haben die ersten Blutkörperchen schon ein Stadium ihrer Entwickelung erreicht, wo sie nicht mehr jener Dauerhaftigkeit der inneren Zusammensetzung bedürfen, als deren Bürgen wir den Kern betrachten müssen.

      Dagegen kennen wir, so vielfach auch gegenwärtig die Gewebe untersucht sind, keinen Theil, der wächst, der sich vermehrt, sei es physiologisch, sei es pathologisch, wo nicht kernhaltige Elemente als die Ausgangspunkte der inneren Veränderung nachweisbar wären, und wo nicht die ersten erkennbaren Veränderungen, welche auftreten, den Kern selbst betreffen, so dass wir aus seinem Verhalten oft bestimmen können, was möglicher Weise aus den Elementen geworden sein würde, wenn der Vorgang weiter fortgeschritten wäre.

      Fig. 6. a. Pigmentzelle aus der Chorioides oculi. b. Glatte Muskelzelle aus dem Darm. c. Stück einer doppeltcontourirten Nervenfaser mit Axencylinder, Markscheide und wandständigem, nucleolirtem Kern in der äusseren Scheide.

      Längere Zeit hindurch verlangte man für die Definition einer Zelle nicht viel mehr, als die Membran, mochte sie nun rund oder zackig oder sternförmig sein, und den Kern, welcher von vorn herein eine andere chemische Beschaffenheit besitzt, als die Membran. Es ist indess damit lange nicht alles Wesentliche erschöpft. Denn die Zelle ist ausser dem Kern gefüllt mit einer verhältnissmässig grösseren oder kleineren Menge von Inhaltsmasse, und ebenso in der Regel der Kern seinerseits, in der Art, dass der Inhalt des Kerns wieder verschieden zu sein pflegt von dem Inhalte der Zelle. Innerhalb mancher Zellen sehen wir Pigment, ohne dass der Kern davon etwas enthielte (Fig. 6, a.). Innerhalb einer Muskelzelle wird contractile Substanz abgelagert, die Trägerin der Contractions-Kraft; der Kern bleibt Kern (Fig. 6, b.). Eine Nervenfaser kann um den Axencylinder Mark ausscheiden, aber der Kern bleibt ausserhalb, der Axencylinder innerhalb des Markes unversehrt (Fig. 6, c.). In der Mehrzahl der thierischen Zellen nimmt der sogenannte Inhalt den verhältnissmässig grössten Raum ein; er ist wenigstens quantitativ unzweifelhaft der Hauptbestandtheil dessen, was ich den Zellkörper nenne. Allein schon Mohl schrieb dem Inhalte der Pflanzenzellen auch qualitativ eine bedeutende Rolle zu, indem er darin eine besondere, eiweisshaltige Flüssigkeit von grossem functionellen Werthe, das von ihm sogenannte Protoplasma, annahm. In neuerer Zeit hat diese Auffassung auch bei den Untersuchern der thierischen Zellen immer mehr Anklang gefunden, so dass gegenwärtig von Vielen das Protoplasma oder was man früher allgemein den Zelleninhalt nannte, als der wichtigste und gewissermaassen essentielle Theil des ganzen Gebietes angesehen