Rudolf Virchow

Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre


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Gewebe der Bindesubstanz. Das Binde- oder Zellgewebe. Die Theorien von Schwann, Henle und Reichert. Meine Theorie. Die Bindegewebskörperchen. Die Fibrillen des Bindegewebes als Intercellularsubstanz. Secretion derselben. Der Knorpel (hyaliner, Faser- und Netzknorpel). Incapsulirte und freie Knorpelkörperchen (Knochenknorpel). Schleimgewebe. Pigmentirtes Bindegewebe. Fettgewebe. Anastomose der Elemente: saftführendes Röhren- oder Kanalsystem.

      Die höheren Thiergewebe: Muskeln, Nerven, Gefässe, Blut, Lymphdrüsen. Vorkommen dieser Gewebe in Verbindung mit Interstitialgewebe. Muskeln. Quergestreifte. Faserzellen. Herzmuskulatur. Muskelkörperchen. Fibrillen. Disdiaklasten. Glatte Muskelfasern. Muskelatrophie. Die contractile Substanz (Syntonin) und die Contractilität überhaupt. Cutis anserina und Arrectores pilorum. Gefässe. Capillaren. Contractile Gefässe.

      Die normalen Gewebe lassen sich ohne Zwang in drei Kategorien eintheilen: Entweder man hat Gewebe, welche einzig und allein aus Zellen bestehen, in welchen Zelle an Zelle liegt, also in dem modernen Sinne Zellengewebe. Oder es sind Gewebe, in welchen regelmässig eine Zelle von der andern getrennt ist durch eine gewisse Zwischenmasse (Intercellularsubstanz), in welchen also eine Art von Bindemittel existirt, das die einzelnen Elemente in sichtbarer Weise aneinander, aber auch auseinander hält. Hierher gehören die Gewebe, welche man heut zu Tage gewöhnlich unter dem Namen der Gewebe der Bindesubstanz zusammenfasst, und in welche als Hauptmasse dasjenige eintritt, was man früherhin allgemein Zellgewebe nannte. Endlich gibt es eine dritte Gruppe von Geweben, in welchen specifische Ausbildungen der Zellen Statt gefunden haben, vermöge deren sie eine ganz eigenthümliche Einrichtung erlangt haben, zum Theil so eigenthümlich, wie sie einzig und allein der thierischen Oekonomie zukommt. Diese Gewebe höherer Ordnung sind es, welche eigentlich den Character des Thieres ausmachen, wenngleich einzelne unter ihnen Uebergänge zu Pflanzenformen darbieten. Hierher gehören die Nerven- und Muskelapparate, die Gefässe und das Blut. Damit ist die Reihe der Gewebe abgeschlossen.

      Eine solche Gruppirung der histologischen Erfahrungen unterscheidet sich sehr wesentlich von derjenigen, welche nach dem Vorgange von Bichat so lange die allgemeine Anatomie beherrscht hat. Die Gewebe der älteren Schule stellten zu einem grossen Theile nicht so sehr dasjenige dar, was wir heute als die Gegenstände der allgemeinen Histologie betrachten, sondern vielmehr das, was wir als den Inhalt der speciellen Histologie bezeichnen müssen. Wenn man die Sehnen, die Knochen, die Fascien als besondere Gewebe nimmt, so giebt dies eine ausserordentliche Mannichfaltigkeit von Kategorien (Bichat hatte deren 21), aber es entsprechen ihnen nicht eben so viele einfache Gewebsformen.

      In unserem Sinne lässt das ganze anatomische Gebiet sich zunächst zerlegen nach allgemein-histologischen Kategorien (eigentliche Gewebe). Die specielle Histologie beschäftigt sich sodann mit dem Falle, wo eine Zusammenfügung von zum Theil sehr verschiedenartigen Geweben zu einem einzigen Ganzen (Organ) Statt findet. Wir sprechen z. B. mit Recht von Knochengewebe, allein dieses Gewebe, die Tela ossea im allgemein-histologischen Sinne, bildet für sich keinen Knochen, denn kein Knochen besteht durch und durch, einzig und allein aus Tela ossea, sondern es gehören dazu mit einer gewissen Nothwendigkeit mindestens Periost und Gefässe. Ja, von dieser einfachen Vorstellung eines Knochens unterscheidet sich die jedes grösseren, z. B. eines Röhrenknochens: dies ist ein wirkliches Organ, in dem wir wenigstens vier verschiedene Gewebe unterscheiden. Wir haben da die eigentliche Tela ossea, die Knorpellage am Gelenk, die Bindegewebsschicht des Periosts, das eigenthümliche Mark. Jeder dieser einzelnen Theile kann wieder eine innere Verschiedenartigkeit der zusammensetzenden Bestandtheile darbieten; es gehen z. B. Gefässe und Nerven mit in die Zusammensetzung des Markes, der Beinhaut u. s. f. ein. Alles dies zusammengenommen, giebt erst den vollen Organismus eines Knochens. Bevor man also zu den eigentlichen Systemen oder Apparaten, dem speciellen Vorwurfe der descriptiven Anatomie kommt, hat man eine ganze Stufenfolge zu durchlaufen. Man muss sich daher bei Diskussionen mit Anderen immer erst klar werden, was in Frage ist. Wenn man Knochen und Knochengewebe zusammenwirft, so gibt dies eine eben so grosse Verwirrung, als wenn man Nerven- und Gehirnmasse einfach identificiren wollte. Das Gehirn enthält viele Dinge, die nicht nervös sind, und seine physiologischen und pathologischen Zustände lassen sich nicht begreifen, wenn man sie auf eine Zusammenordnung rein nervöser Theile bezieht, wenn man nicht neben den Nerven auf die Häute, das Zwischengewebe, die Gefässe Rücksicht nimmt.

Betrachten wir nun die erste allgemein-histologische Gruppe etwas genauer, nämlich die einfachen Zellengewebe, so ist unzweifelhaft am leichtesten übersichtlich die Horn- oder Epithelialformation, wie wir sie in der Epidermis und dem Rete Malpighii an der äussern Oberfläche, im Cylinder- und Plattenepithelium auf den Schleim- und serösen Häuten antreffen. Der Name Epithelium stammt von Ruysch, der zuerst an der Brustwarze ϑηλή ein ablösbares Häutchen auffand, welches er weiterhin in ähnlicher Weise auch an Schleimhäuten nachwies. Heusinger hat das Verdienst, den Zusammenhang aller Horngebilde dargelegt zu haben, indem er die chemische und physikalische Uebereinstimmung derselben lehrte. Das allgemeine Schema ist hier, dass Zelle an Zelle stösst, so dass in dem günstigsten Falle, wie bei der Pflanze, vier- oder sechseckige Zellen unmittelbar sich an einander schliessen und zwischen ihnen nichts Anderes weiter, als höchstens eine geringe Kittsubstanz, gefunden wird. So ist es an manchen Orten mit dem Platten- oder Pflasterepithel (Fig. 17). Die besonderen Formen der Epithelialzellen sind offenbar grossentheils Druckwirkungen. Wenn alle Elemente eines Zellengewebes eine vollkommene Regelmässigkeit haben sollen, so setzt dies voraus, dass sich alle Elemente völlig gleichmässig entwickeln und gleichzeitig vergrössern. Geschieht ihre Entwickelung dagegen unter Verhältnissen, wo nach einer Seite hin ein geringerer Widerstand besteht, so kann es sein, dass die Elemente, wie bei den Säulen- oder Cylinderepithelien, nur in einer Richtung auswachsen und sehr lang werden, während sie in den andern Richtungen sehr dünn bleiben. Aber auch ein solches Element wird, auf einem Querschnitt angesehen, sich als ein sechseckiges darstellen: wenn wir Cylinder-Epithel von der freien Fläche her betrachten, so sehen wir auch bei ihm ganz regelmässig polygonale Formen (Fig. 15, b).

      Fig. 15. Säulen- oder Cylinderepithel der Gallenblase. a. Vier zusammenhängende Zellen, von der Seite gesehen, mit Kern und Kernkörperchen, der Inhalt leicht längs gestreift, am freien Rande (oben) ein dickerer, fein radiär gestreifter Saum. b. Aehnliche Zellen, halb von der freien Fläche (oben, aussen) gesehen, um die sechseckige Gestalt des Querschnittes und den dicken Randsaum zu zeigen. c. Durch Imbibition veränderte, etwas aufgequollene und am oberen Saum aufgefaserte Zellen.

      Im Gegensatze dazu finden sich ausserordentlich unregelmässige Formen an solchen Orten, wo die Zellen in unregelmässiger Weise hervorwachsen, so besonders constant an der Oberfläche der Harnwege (Fig. 16), in der ganzen Ausdehnung der Schleimhaut von den Nierenkelchen bis zur Urethra. An allen diesen Stellen trifft man sehr gewöhnlich Anordnungen, wo einzelne Zellen an dem einen Ende rund sind, während sie an dem anderen in eine Spitze auslaufen, andere Zellen ziemlich grobe Spindeln darstellen, andere wieder an einer Seite platt abgerundet, an der anderen ausgebuchtet sind, oder wo eine Zelle sich so zwischen andere einschiebt, dass sie eine kolbige oder zackige Form annimmt. Immer entspricht hier die eine Zelle der Form der Lücke zwischen den anderen, und es ist nicht die Eigenthümlichkeit der Zelle, welche die Form bedingt, sondern die Art ihrer Lagerung, das Nachbarverhältniss, die Abhängigkeit von der Anordnung der nächsten Theile. In der Richtung des geringeren Widerstandes bekommen die Zellen Spitzen, Zacken und Fortsätze der mannichfaltigsten Art. Diese Art von Epithel nannte  man, da sie sich nicht recht unterbringen liess, mit Henle Uebergangs-Epithel, weil sie schliesslich gewöhnlich in deutliches Platten- oder Cylinderepithel übergeht. Zuweilen ist dies aber nicht der Fall und man könnte ebenso gut einen anderen Namen dafür einführen. Sie stellt das Vorbild zu der vielbesprochenen Polymorphie gewisser pathologischer Epithelialzellen, z. B. der Krebszellen dar.

      An der Oberhaut (Epidermis) haben wir den günstigen Fall, dass eine Reihe von Zellenlagen über einander liegt, was an vielen Schleimhäuten nicht der Fall ist. Es lassen sich daher die jungen Lagen (das Rete Malpighii oder die Schleimschicht der früheren Autoren) von den älteren (der eigentlichen Epidermis) bequem trennen.

      Fig.