mehr war. Ohne etwas zu antworten, mit einem erleichterten kleinen Seufzer, schaute sie ihm zu, wie er in seinen üppig gefütterten, rotseidenen, übrigens an mehreren Stellen zerrissenen Schlafrock schlüpfte und sich auf dem Ruhebett niederließ.
Das Sofa, welches man für die Nacht als Bett herrichten konnte, war tagsüber bedeckt mit Tüchern und bunten Kissen. Neben dem Kanapee[31] stand die Lampe auf dem runden, niedrigen Rauchtisch.
„Mach das grelle Licht aus!“ bat Hendrik mit der singenden, wehleidigmelodischen Stimme. „Und komme zu mir, Juliette!“
Durch das rosige Halbdunkel schritt sie auf ihn zu. Als sie neben ihm stehenblieb, seufzte er leise: „Wie gut!“
„Hat es dir Spaß gemacht?“ fragte sie ziemlich trocken. Sie hatte sich eine Zigarette angezündet und reichte auch ihm Feuer; er benutzte zum Rauchen die lange, ordinäre Zigarettenspitze, das Geschenk der Rahel Mohrenwitz. „Ich bin völlig erledigt“, sagte er. Daraufhin verzog sie ihren gewaltigen Mund zu einem gutmütigen und verständnisvollen Lächeln. „Das ist recht“, sagte sie, wobei sie sich über ihn beugte.
Er hatte seine breiten, bleichen, rötlich behaarten Hände auf ihre edlen, von schwarzer Seide überglänzten Knie gelegt. Träumerisch sprach er: „Wie hässlich meine gemeinen Hände auf deinen herrlichen Beinen aussehen, Geliebte!“
„An dir ist alles hässlich, mein Schweinchen – Kopf, Füße, Hände, und alles!“ versicherte sie ihm mit einer knurrenden Zärtlichkeit.
Sie ließ sich neben ihn hingleiten. Das graue Pelzjäckchen hatte sie abgelegt; darunter trug sie eine knappe, hemdartige Bluse aus einem stark glänzenden, rot und schwarz karierten Seidenstoff.
„Ich werde dich immer lieben“, sagte er erschöpft. „Du bist stark. Du bist rein.“
Dabei schaute er, unter gesenkten Lidern, auf ihre harten und spitzen Brüste, die sich unter dem eng anliegenden, dünnen Gewebe deutlich abhoben.
„Ach, das sagst du nur so“, meinte sie ernst und ein wenig verächtlich. „Das bildest du dir nur ein. Manche Leute haben das – dass sie sich immer so was einbilden müssen. Sonst fühlen sie sich nicht wohl.“
Er tastete mit seinen Fingern nach ihren hohen und geschmeidigen Stiefeln. „Aber ich weiß doch, dass ich dich immer lieben werde“, flüsterte er, nun mit geschlossenen Augen. „Nie wieder finde ich eine Frau wie dich. Du bist die Frau meines Lebens, Prinzessin Tebab.“ Sie wiegte misstrauisch ihr dunkles, ernstes Gesicht über seinem weißen, ermüdeten. „Und dabei darf ich nicht einmal ins Theater gehen, wenn du spielst“, sagte sie unzufrieden.
Er hauchte: „Trotzdem spiele ich nur für dich – nur für dich, meine Juliette. Ich hole bei dir meine Kraft.“
„Aber ich lasse mir’s nicht verbieten“, sagte sie trotzig. „Ich gehe ins Theater, ob du es mir erlaubst oder nicht. Nächstens einmal sitze ich im Parkett, und dann lache ich laut, wenn du auf die Bühne kommst, mein Affe.“
Er sagte hastig: „Mach keine Witze!“ Dabei hatte er erschreckt die Augen geöffnet und sich halb aufgerichtet. Der Anblick seiner Schwarzen Venus schien ihn wieder zu beruhigen. Er lächelte, und nun begann er sogar zu rezitieren.
„Vienstu du ciel profond ou sorstu de l’abîme – o Beauté?“[32]
„Was ist denn das für ein Quatsch?“ fragte sie ungeduldig.
„Das ist aus diesem herrlichen Buch da“, erklärte er ihr, und deutete auf eine gelb broschierte französische Edition, die neben der Lampe auf dem Rauchtisch lag – es waren „Les Fleurs du Mal“ von Baudelaire.
„Das verstehe ich nicht“, sagte Juliette verdrossen. Er aber ließ sich nicht stören in seiner Ekstase, sondern fuhr fort:
„Tu marches sur des morts, Beauté, dont tu temoques;
De tes bijoux l’Horreur n’est pas le moins charmant,
El le Meurtre, parmi l es plus chères breloques,
Sur ton ventre orgueilleux danse amoureusement.“[33]
„Wie magst du nur so blöd lügen“, sagte sie und berührte mit ihrem dunklen und schlanken Finger seinen redenden Mund.
Er aber sprach weiter, immer mit demselben, melancholisch singenden Ton: „Du erzählst mir nie davon, wie du früher gelebt hast, Prinzessin Tebab. Ich meine: in deinem Erdteil…“
„Ich kann mich an nichts mehr erinnern“, sagte sie kurz. Dann küsste sie ihn – vielleicht nur, um ihn daran zu hindern, noch länger indiskrete und poetische Fragen zu stellen: ihr weit geöffneter, tierischer Mund mit den dunklen, rissigen Lippen und der blutroten Zunge näherte sich langsam seinem gierigen, fahlen Mund.
Sowie sie ihr Gesicht wieder von dem seinen erhoben hatte, redete er weiter. „Ich weiß nicht, ob du mich vorhin verstanden hast, als ich sagte, dass ich nur für dich und nur durch dich spiele.“ Während er so weich und träumerisch sprach, führte sie ihre geübten Finger durch sein schütteres Seidenhaar, auf dessen Fahlheit die Lampe ein wenig Goldglanz zauberte. Sie behandelte sein feines Haar auf eine nicht eigentlich zärtliche, sondern auf eine ernste und sachliche Art, als wollte sie es frisieren. „Ich habe es ganz wörtlich gemeint“, fuhr er fort. „Wenn ich den Leuten ein bisschen gefalle, wenn ich Erfolg habe – dir verdanke ich ihn. Dich zu sehen, dich zu berühren, Prinzessin Tebab: das ist wie eine Wunderkur für mich… etwas Herrliches, eine Erfrischung ganz ohnegleichen…“
„Ach, wenn du nur immer schwatzen und lügen kannst“, sagte sie mütterlich. „Du bist doch der drolligste kleine Dreckhaufen, dem ich jemals begegnet bin.“ Sie hatte, um ihn nur zum Schweigen zu bringen, ihre beiden Hände auf sein Gesicht gelegt; die breiten Armbänder klirrten an seinem Kinn; auf seinen Wangen ruhten die hellen Innenflächen ihrer Hände. Da endlich verstummte er. Er rückte seinen Kopf auf dem Kissen zurecht, als wollte er einschlafen. Gleichzeitig schlang er mit einer hilfesuchenden Gebärde seine beiden Arme um das schwarze Mädchen. Während sie ganz still in seiner Umarmung hielt, ließ sie die Hände auf seinem Gesicht liegen, als müsste sie ihn davor bewahren, das zärtlichhöhnische Lächeln zu sehen, mit dem sie jetzt auf ihn niederblickte.
III
Knorke
Die Saison ging weiter, es war keine schlechte Saison für das Hamburger Künstlertheater. Oskar H. Kroge war entschieden ungerecht gewesen, als er gesagt hatte, Höfgen werde überzahlt mit tausend Mark Monatsgehalt. Ohne diesen Schauspieler und Regisseur hätte das Institut gar nicht auskommen können; er leistete Enormes, war so unermüdlich wie einfallsreich. Er spielte alles, jugendliche Rollen und alte: nicht nur Miklas hatte Anlass, auf ihn eifersüchtig zu sein, sondern auch Petersen, und sogar Otto Ulrichs hätte ihn gehabt; aber der war mit wichtigeren Dingen beschäftigt und nahm den bürgerlichen Theaterbetrieb nicht ganz ernst. Höfgen gewann sich die Kinderherzen als witziger und schöner Prinz im Weihnachtsmärchen; die Damen fanden ihn unwiderstehlich in französischen Konversationsstücken und in den Komödien von Oscar Wilde[34]; der literarisch interessierte Teil des Hamburger Publikums diskutierte seine Leistungen in „Frühlings Erwachen“, als Advokat in Strindbergs „Traumspiel“, als Leonce in Büchners „Leonce und Lena“. Er konnte elegant sein, aber auch tragisch. Er hatte das „aasige“ Lächeln, aber auch den Leidenszug an den Schläfen. Er bezauberte mit übermütigem Esprit, er imponierte mit herrisch gerecktem Kinn, abgehacktem Kommandoton und stolznervösen Gebärden; er rührte durch Demut, hilflos irrenden Blick, weltfremd zarte Verstörtheit. Er war gütig oder gemein, hochfahrend oder zärtlich, schneidig oder gebrochen – ganz wie das Repertoire es verlangte. In Schillers „Kabale und Liebe“ spielte er abwechselnd den Major Ferdinand und den Sekretarius Wurm, den überschwenglichen Liebhaber und den ruchlosen Intriganten: dabei hätte er es kaum nötig gehabt, seine Wandlungsfähigkeit, an der niemand zweifelte, solcherart kokett zu betonen. Vormittags hatte er Proben zum „Hamlet“, nachmittags zu einer Posse „Mieze macht