schien mir als ob sie hier höher hingen als bei uns im Norden. An beiden Seiten des Weges starrte nacktes, schwarzes Gestein empor; dann und wann guckte ein Gesträuch aus dem Schnee hervor, doch kein einziges vertrocknetes Blättchen regte sich und es that einem wohl, inmitten dieses Todesschlafes der Natur das Schnauben der ermüdeten Troika6 zu vernehmen, so wie das unregelmäßige Gebimmel des russischen Wagenglöckchens.
„Morgen wird herrliches Wetter sein!“ sagte ich. Der Stabskapitain antwortete kein Wort, sondern zeigte nur mit dem Finger nach einem hohen Berge, der sich grade vor uns erhob.
„Was ist da?“ fragte ich.
– Der Gudberg.
„Nun, und was ist mit dem?“
– Sehen Sie nur, wie er raucht.
In der That rauchte der Gudberg; an seinen Abhängen krochen leichte Wolkengebilde dahin, aber auf seinem Gipfel lagerte ein schwarzes Gewölk, so schwarz, daß es gegen den dunkeln Himmel wie ein schwarzer Fleck abstach.
Schon konnten wir die Poststation und die Dächer der sie umringenden Hütten erkennen, aus denen einladende Feuer uns entgegenblinkten, als sich ein feuchter, kalter Wind erhob, die Felsenklüfte zu heulen anfingen und ein feiner Regen herabfiel. Kaum hatte ich Zeit gehabt mir meine Burka7 umzuwerfen, als auch, schon Schnee fiel. Mit Ehrfurcht blickte ich auf den Stabskapitain.
– Jetzt bleibt uns nichts anderes übrig als hier zu übernachten, sagte er verdrießlich: in einem solchen Schneegestöber kann man diese Berge gar nicht passiren. Sag’ mal, sind am Kreuzberge schon Lawinen gestürzt, fragte er den Postillon.
„Noch nicht, Herr“ antwortete der Ossete, „aber es hängt viel, viel.“
In Ermangelung eines Passagierzimmers theilte man uns ein Nachtlager in einer räucherigen Hütte zu. Ich lud meinen Reisegefährten zu einem Glase Thee ein, denn ich führte meine eiserne Theemaschine – mein einziges Labsal auf meinen kaukasischen Reisen – immer mit mir. Die Hütte (hier Saklja genannt) lehnte sich von der einen Seite an den Felsen; drei schlüpfrige, feuchte Stufen führten zu ihrer Thüre. Tappend ging ich voran und stieß auf eine Kuh (der Viehstall vertritt bei diesen Leuten die Stelle des Bedientenzimmers). Ich wußte nicht wohin ich mich wenden sollte: da blöcken Schafe, dort knurren Hunde. Zum Glücke schimmerte an der Seite ein trüber Lichtstrahl durch und half mir eine andere thürähnliche Oeffnung finden. Ein ziemlich interessantes Bild eröffnete sich vor uns: Die umfangreiche Hütte, deren Dach sich auf zwei verräucherte Pfeiler stützte, war mit Menschen angefüllt. In der Mitte flackerte ein Feuer, das auf dem Fußboden angemacht war, und dessen Rauch, da er vom Winde aus der Oeffnung im Dache wieder zurückgetrieben wurde, sich rundum gleich einer so dichten Hülle ausbreitete, daß ich lange nichts zu unterscheiden vermochte; am Feuer saßen zwei alte Weiber, eine Menge Kinder und ein abgemagerter Grusier, alle in Lumpen. So blieb uns weiter nichts übrig; wir nisteten uns gleichfalls am Feuer ein, rauchten unser Pfeifchen und bald kochte die Theemaschine auf die einladendste Weise.
„Was für ein jämmerliches Volk!“ sagte ich zum Stabskapitaine, indem ich auf unsere schmutzigen Wirthsleute wies, die uns schweigend und in einer Art von Erstarrung anblickten.
– Und ein erzdummes Volk! antwortete er. Wollen Sie wohl glauben, daß sie durchaus nichts können, daß sie keiner Art von Bildung fähig sind! Da lobe ich mir doch unsere Kabardiner oder die Tschetschiner! Es sind zwar auch Räuber und Halsabschneider, aber ganz verzweifelte Tollköpfe; diese hingegen nehmen nicht einmal gern ein Gewehr zur Hand: einen anständigen Dolch findet man bei keinem einzigen. Und nun gar erst die Osseten!
„Sie waren also lange in Tschetschen?“
– Ja gewiß, ich lag wohl an die zehn Jahre mit einer Kompagnie in einer Festung, da bei Brückburg, – wissen Sie?
„Ich habe davon gehört.“
– Nein, mein Bester, was diese Händelmacher mir zu schaffen gemacht haben! Jetzt, Gott sei Dank, ist’s da weit ruhiger; aber früher, Gott bewahre! früher brauchte man nur hundert Schritt vom Walle abzugehen, und so ein zottiger Teufel saß wahrhaftig auf der Lauer: kaum hatte man ausgegähnt, so saß einem auch schon eine Schlinge um den Hals oder eine Kugel im Nacken. Aber tapfere Jungens! . . .
„Ei, da müssen Sie ja wahrhaftig recht viele Abentheuer erlebt haben?“ sagte ich, vor Neugierde brennend.
– Wie denn nicht! wahrhaftig.
Hier begann er seinen linken Schnurrbart zu flattiren, ließ den Kopf auf die Brust sinken und verfiel in Nachdenken. Ich hätte ihm gar zu gern irgend ein Geschichtchen abgelockt, – ein Wunsch, der übrigens allen Verfassern von Reisememoiren und allen Volksschriftstellern mit mir eigen ist. Unterdessen war der Thee fertig geworden; ich zog aus meinem Koffer zwei Feldbecher, schenkte sie voll und stellte einen derselben hin: „Ja, wahrhaftig!“ Dieser Ausruf gab mir große Hoffnungen. Ich weiß nur zu gut, wie sehr die alten Krieger im Kaukasus zu sprechen und zu erzählen lieben; es wird ihnen auch so selten geboten: wie mancher steht da fünf Jahre lang in irgend einem abgelegenen Winkel mit seiner Abtheilung, und hört die ganzen fünf Jahre über kein einziges „Guten Tag,“ weil der Feldwebel ihn nur mit „Ich wünsche Ihnen Gesundheit“8 begrüßt. Und was wüßten sie nicht alles zu erzählen! Rundum ein wildes, interessantes Volk, jeden Tag eine Gefahr; was für wunderbare Fälle kommen da nicht vor! Hier bedauert man unwillkührlich daß bei uns so wenig geschrieben wird.
„Wollen Sie nicht ein wenig Rum hinzufügen?“ fragte ich meinen Reisegefährten, „ich habe weißen, aus Tiflis; es ist jetzt kalt.“
– Nein, ich danke, ich trinke nicht.
„Wie so?“
– Je nun, so. Ich habe mir das Wort gegeben. Einmal, als ich noch Secondelieutenant war, müssen Sie wissen, und wir uns untereinander einmal recht etwas zu Gute gethan hatten, wird des Nachts plötzlich Alarm geschlagen; wir, angerissen wie wir waren, hinaus; ja, das wäre uns bald gut bekommen als Alexéi Petrówitsch es erfuhr – Gott soll mich bewahren, wie er böse wurde! Es fehlte nicht viel, so hätte er uns vor ein Kriegsgericht gestellt. Und so geschieht’s jedesmal: zu einer andern Zeit lebt man das ganze Jahr hindurch und sieht keine Menschenseele; nimmt man aber einmal ein Gläschen zu viel, so ist man auch ein verlorner Mensch!
Bei dieser Erzählung verlor ich fast wieder alle Hoffnung.
– Nun nehme man aber gar erst die Tscherkessen, fuhr er fort, wenn die sich erst bei Hochzeits- oder Begräbnißgelagen in Busa9 betrinken, dann kommt’s auch gleich an’s Einhauen. Ich war einmal mit Gewalt und noch dazu bei einem friedlichen Fürsten10 zu Gaste gezogen worden.
„So? Wie war denn das zugegangen?“
– Sehen Sie . . . (er stopfte sich eine Pfeife, that ein paar tüchtige Züge und begann zu erzählen) sehen Sie also, ich stand damals mit einer Kompagnie in einer Festung jenseits des Tereks, – es wird nun bald an die fünf Jahre sein. Da kam einmal um die Herbstzeit ein Transport mit Proviant an, und bei diesem Transporte befand sich ein Offizier, ein junger Mensch von ungefähr fünf und zwanzig Jahren. Er stellte sich mir in voller Uniform vor und eröffnete mir, daß er die Ordre erhalten habe bei mir in der Festung zu bleiben. Er war so zart, so weiß, seine Uniform war so neu, daß ich sogleich errieth, er sei erst unlängst nach dem Kaukasus gekommen.
„Sie sind wahrscheinlich aus Rußland hierherversetzt worden?“ fragte ich ihn. – „Zu befehlen, Herr Stabskapitain,“ war seine Antwort. Ich faßte ihn bei der Hand und sagte: Sehr erfreut, sehr erfreut; nur wird es Ihnen hier ein Bischen langweilig vorkommen . . . nun, wir wollen schon freundschaftlich mit einander leben. Indessen bitte ich Sie, nennen Sie mich nur ganz einfach Maksim Maksimitsch und dann – wozu denn diese volle Uniform? Kommen Sie nur immer in der Feldmütze zu mir.“ – Man wies ihm eine Wohnung an, und so setzte er sich denn in der Festung fest.
„Und wie hieß er?“ fragte ich Maksim Maksimitsch.
– Er