die ungeklärte Härte seines Gesangs vergessen machte.
»Das hat dieser Mann, wie er sagt, rein zum Vergnügen geschrieben, er weiß nichts von Verzweiflung und ist mit seinem Los unendlich zufrieden!« rief er und zeigte auf mich, und ich hatte Tränen der Scham und des Zorns in den Augen, sah alles in Schleiern wanken und stand auf, um ein Ende zu machen und fortzugehen.
Da hielt mich eine feine, doch kräftige Hand und drückte mich in den Sessel zurück, und strich mir leise und zärtlich über das Haar, dass mich feine heiße Wellen bespülten, dass ich die Augen schloss und die Tränen verbiss. Aufschauend sah ich alsdann Heinrich Muoth vor mir stehen, die andern schienen meine Bewegung und die ganze Szene nicht beachtet zu haben, sie tranken Wein und lachten durcheinander.
»Sie Kind!« sagte Muoth leise. »Wenn man solche Lieder geschrieben hat, ist man doch über so etwas hinaus. Aber es tut mir leid. Da hat man einen Menschen gern, und kaum ist man mit ihn zusammen, so fängt man Händel mit ihm an[36].«
»Es ist gut«, sagte ich befangen. »Aber ich möchte jetzt heimgehen, das Schönste von heute haben wir doch gehabt.«
»Gut, ich will Sie nicht nötigen. Wir andern betrinken uns jetzt noch, denke ich. Dann seien Sie so gut und nehmen Sie die Marion mit heim, gelt? Sie wohnt am Innern Graben, das ist für Sie kein Umweg.«
Die schöne Frau sah ihn einen Augenblick prüfend an. »Ja, wollen Sie?« Sagte sie dann zu mir, und ich stand auf. Wir nahmen nur von Muoth Abschied, im Vorzimmer half uns ein Lohndiener in die Mäntel[37], dann erschien verschlafen auch die kleine Alte und leuchtete mit einer großen Laterne durch den Garten zur Pforte. Der Wind ging immer noch weich und laulich, trieb lange schwarze Wolkenzüge dahin und wühlte in kahlen Baumkronen.
Ich wagte nicht, der Marion den Arm zu geben, sie aber hängte ungefragt bei mir ein, sog Nachtluft mit zurückgeworfenem Kopfe ein und sah dann aus solcher Höhe fragend und vertraulich auf mich herab. Mir war, ich fühle immer noch ihre leichte Hand auf meinen Haaren, sie ging langsam und schien mich führen zu wollen.
»Dort stehen Droschken«, sagte ich, denn es war mir peinlich, dass sie sich meinem lahmen Schritt anbequemen sollte[38], und ich litt darunter, neben der warmen, kraftvoll schlanken Frau einherzuhinken.
»Nein«, meinte sie, »wir wollen noch eine Straße weit gehen.« Und sie gab sich Mühe, recht langsam zu gehen, und wenn es nur auf mein Verlangen angekommen wäre, ich hätte sie noch enger an mich gezogen. So aber zerriss ich Qual und Zorn, ich machte ihren Arm aus meinem los, und als sie mich erstaunt ansah, sagte ich: »Es geht nicht gut so, ich muss allein gehen, verzeihen Sie.« Und sie ging sorgsam und mitleidig neben mir, und mir fehlte nichts als ein aufrechter Gang und das Bewusstsein der körperlichen Sicherheit, so hätte ich von allem, was ich tat und sagte, das Gegenteil gesagt und getan. Ich wurde still und schroff, es war nicht anders zu machen, sonst hätte ich wieder Tränen in die Augen bekommen und mich danach gesehnt, ihre Hand auf meinem Kopf zu fühlen. Am liebsten wäre ich in die nächste Seitengasse entflohen. Ich wollte nicht, dass sie langsam ging, dass sie mich schonte, dass sie Mitleid mit mir hatte.
»Sind Sie ihm böse?« fing sie schließlich an.
»Nein. Es war dumm von mir. Ich kannte ihn ja noch kaum.«
»Es tut mir leid, wenn er so ist. Er hat Tage, wo man ihn fürchten muss.«
»Sie auch?«
»Ich am meisten. Dabei tut er niemand weher als sich selber. Er hasst sich manchmal.«
»Ach, er macht sich interessant!«
»Was sagen Sie?« rief sie erschrocken.
»Dass er ein Komödiant ist. Was braucht er sich und andere zu verhöhnen? Was braucht er die Erlebnisse und Geheimnisse eines Fremden hervorzuziehen und lächerlich zu machen, das Lästermaul!«
Mein Zorn von vorher kehrte mir im Reden wieder, ich war gewillt, den Mann zu beschimpfen und herabzuziehen, der mir weh getan hatte und den ich leider beneidete. Auch war meine Achtung vor der Dame gesunken, da sie ihn in Schutz nahm und sich offen vor mir zu ihm bekannte. War es nicht schon schlimm, dass sie es auf sich genommen hatte, bei diesem weinfrohen Junggesellenabend die einzige Frau zu sein? In diesen Dingen war ich wenig Freiheit gewöhnt, und da ich mich schämte, nach dieser schönen Frau trotzdem Sehnsucht zu haben, fing ich in meiner Hitze lieber Streit an, als dass ich länger ihr Mitleid spürte. Mochte sie mich roh finden und mir davonlaufen, es war mir besser, als dass sie bei mir blieb und freundlich war.
Sie legte mir aber die Hand auf den Arm. »Halt«, rief sie warm, dass ihre Stimme mir trotz allem ins Herz ging, »reden Sie nicht weiter! Was tun Sie denn? Sie sind durch zwei Worte von Muoth verletzt, weil sie nicht geschickt oder mutig genug waren, sie zu parieren, und jetzt, wo Sie fort sind, fallen Sie vor mir mit hässlichen Worten über ihn her! Ich sollte gehen und Sie allein lassen.«
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