Герман Гессе

Narziss und Goldmund / Нарцисс и Гольдмунд. Книга для чтения на немецком языке


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und Novize, jeder trug auf seine Art das Schicksal des Auserwählten, herrschte auf seine Art, litt auf seine Art. Jeder der beiden fühlte sich dem andern mehr verwandt und mehr zu ihm hingezogen als zum ganzen übrigen Klostervolk; dennoch fanden sie nicht zueinander, dennoch konnte keiner beim andern warm werden. Der Abt behandelte den Jüngling mit größter Sorgfalt, mit größter Rücksicht, hatte um ihn Sorge als um einen seltenen, zarten, vielleicht allzufrüh gereiften, vielleicht gefährdeten Bruder. Der Jüngling nahm jeden Befehl, jeden Rat, jedes Lob des Abtes mit vollkommener Haltung entgegen, widersprach niemals, war nie verstimmt, und wenn das Urteil des Abtes über ihn richtig und sein einziges Laster der Hochmut war, so wusste er dies Laster wunderbar zu verbergen. Es war gegen ihn nichts zu sagen, er war vollkommen, er war allen überlegen. Nur wurden wenige ihm wirklich Freund, außer den Gelehrten, nur umgab seine Vornehmheit ihn wie eine erkältende Luft.

      »Narziss«, sagte der Abt nach einer Beichte zu ihm, »ich bekenne mich eines harten Urteils über dich schuldig. Ich habe dich oft für hochmütig gehalten, und vielleicht tat ich dir damit unrecht. Du bist sehr allein, junger Bruder, du bist einsam, du hast Bewunderer, aber keine Freunde. Ich wollte wohl, ich hätte Anlass, dich zuweilen zu tadeln; aber es ist kein Anlass. Ich wollte wohl, du wärest manchmal unartig, wie es junge Leute deines Alters sonst leicht sind. Du bist es nie. Ich sorge mich zuweilen ein wenig um dich, Narziss.« Der Junge schlug seine dunklen Augen zu dem Alten auf.

      »Ich wünsche sehr, gnädiger Vater, Euch keine Sorge zu machen. Es mag wohl sein, dass ich hochmütig bin, gnädiger Vater. Ich bitte Euch, mich dafür zu strafen. Ich habe selbst zuzeiten den Wunsch, mich zu strafen. Schickt mich in eine Einsiedelei, Vater, oder lasset mich niedere Dienste tun.«

      »Für beides bist du zu jung, lieber Bruder«, sagte der Abt. »Überdies bist du der Sprachen und des Denkens in hohem Grade fähig, mein Sohn; es wäre eine Vergeudung dieser Gottesgaben, wollte ich dir niedere Dienste auftragen. Wahrscheinlich wirst du wohl ein Lehrer und Gelehrter werden. Wünschest du dies nicht selbst?«

      »Verzeiht, Vater, ich weiß über meine Wünsche nicht so sehr genau Bescheid. Ich werde stets Freude an den Wissenschaften haben, wie sollte es anders sein? Aber ich glaube nicht, dass die Wissenschaften mein einziges Gebiet sein werden. Es mögen ja nicht immer die Wünsche sein, die eines Menschen Schicksal und Sendung bestimmen, sondern anderes, Vorbestimmtes.«

      Der Abt horchte und wurde ernst. Dennoch stand ein Lächeln auf seinem alten Gesicht, als er sagte: »Soviel ich die Menschen habe kennen lernen, neigen wir, zumal in der Jugend, alle ein wenig dazu, die Vorsehung und unsere Wünsche miteinander zu verwechseln. Aber sage mir, da du deine Bestimmung vorauszuwissen glaubst, ein Wort darüber. Wozu denn glaubst du bestimmt zu sein?« Narziss schloss seine dunklen Augen halb, dass sie unter den langen schwarzen Wimpern verschwanden. Er schwieg.

      »Sprich, mein Sohn«, mahnte nach langem Warten der Abt. Mit leiser Stimme und gesenkten Augen begann Narziss zu sprechen.

      »Ich glaube zu wissen, gnädiger Vater, dass ich vor allem zum Klosterleben bestimmt bin. Ich werde, so glaube ich, Mönch werden, Priester werden, Subprior und vielleicht Abt werden. Ich glaube dies nicht, weil ich es wünsche. Mein Wunsch geht nicht nach Ämtern. Aber sie werden mir auferlegt werden.«

      Lange schwiegen beide.

      »Warum hast du diesen Glauben?« fragte zögernd der Alte. »Welche Eigenschaft in dir, außer der Gelehrsamkeit, ist es wohl, die in diesem Glauben zu Wort kommt[8]

      »Es ist die Eigenschaft«, sagte Narziss langsam, »dass ich ein Gefühl für die Art und Bestimmung der Menschen habe, nicht nur für meine eigene, auch für die der andern. Diese Eigenschaft zwingt mich, den andern dadurch zu dienen, dass ich sie beherrsche. Wäre ich nicht zum Klosterleben geboren, so würde ich Richter oder Staatsmann werden müssen.

      »Mag sein«, nickte der Abt. »Hast du deine Fähigkeit, Menschen und ihre Schicksale zu erkennen, an Beispielen erprobt?«

      »Ich habe sie erprobt.«

      »Bist du bereit, mir ein Beispiel zu nennen?«

      »Ich bin bereit.«

      »Gut. Da ich nicht in die Geheimnisse unserer Brüder ohne deren Wissen eindringen möchte, magst du mir vielleicht sagen, was du über mich, deinen Abt Daniel, zu wissen meinst.«

      Narziss hob seine Lider und blickte dem Abt in die Augen.

      »Ist es Euer Befehl, gnädiger Vater?«

      »Mein Befehl.«

      »Es fällt mir schwer, zu sprechen, Vater.«

      »Auch mir fällt es schwer, junger Bruder, dich zum Sprechen zu zwingen. Ich tue es dennoch. Sprich!«

      Narziss senkte den Kopf und sagte flüsternd: »Es ist wenig, was ich von Euch weiß, verehrter Vater. Ich weiß, dass Ihr ein Diener Gottes seid, dem es lieber wäre, Ziegen zu hüten oder in einer Einsiedelei das Glöckchen zu läuten und die Beichten der Bauern anzuhören, als ein großes Kloster zu regieren. Ich weiß, dass Ihr eine besondere Liebe zur heiligen Mutter Gottes habet und zu ihr am meisten betet. Ihr betet zuweilen darum, dass die griechischen und anderen Wissenschaften, die in diesem Kloster gepflegt werden, keine Verwirrung und Gefahr für die Seelen Eurer Anbefohlenen sein mögen. Ihr betet zuweilen, dass Euch gegen den Subprior Gregor die Geduld nicht verlasse. Ihr betet zuweilen um ein sanftes Ende. Und Ihr werdet, so glaube ich, erhört werden und ein sanftes Ende haben.«

      Still war es in dem kleinen Sprechzimmer des Abtes. Endlich sprach der Alte.

      »Du bist ein Schwärmer und hast Gesichte[9]«, sagte der greise Herr freundlich. »Auch fromme und freundliche Gesichte können täuschen; verlass dich nicht auf sie, wie auch ich mich nicht auf sie verlasse. – Kannst du sehen, Bruder Schwärmer, was ich über diese Sache im Herzen denke?«

      »Ich kann sehen, Vater, dass Ihr sehr freundlich darüber denket. Ihr denket das Folgende: »Dieser junge Schüler ist ein wenig gefährdet, er hat Gesichte, er hat vielleicht zu viel meditiert. Ich könnte ihm vielleicht eine Buße auferlegen, sie wird ihm nicht schaden. Ich werde aber die Buße, die ich ihm auferlege, auch selbst auf mich nehmen.« Dies ist es, was Ihr soeben denket.«

      Der Abt erhob sich. Lächelnd winkte er dem Novizen, sich zu verabschieden.

      »Es ist gut«, sagte er. »Nimm deine Gesichte nicht allzu ernst, junger Bruder; Gott fordert noch manches andere von uns, als Gesichte zu haben. Nehmen wir an, du habest einem alten Manne damit geschmeichelt, dass du ihm einen leichten Tod versprachst. Nehmen wir an, der alte Mann habe einen Augenblick lang diese Versprechung gern gehört. Es ist nun genug. Du sollst einen Rosenkranz beten[10], morgen nach der Frühmesse, du sollst ihn mit Demut und Hingabe beten und nicht obenhin, und ich werde dasselbe tun. Geh nun, Narziss, es ist genug geredet.«

      Ein andermal hatte der Abt Daniel zu schlichten zwischen dem jüngsten der lehrenden Patres und Narziss, die sich über einen Punkt im Lehrplan nicht einigen konnten: Narziss drang mit großem Eifer auf die Einführung gewisser Änderungen im Unterricht, wusste sie auch mit überzeugenden Gründen zu rechtfertigen; Pater Lorenz aber, aus einer Art von Eifersucht, wollte nicht darauf eingehen, und jeder neuen Besprechung folgten Tage eines verstimmten Schweigens und Schmollens, bis Narziss im Gefühl des Rechthabens nochmals mit der Sache anfing. Schließlich sagte Pater Lorenz, etwas gekränkt: »Nun, Narziss, wir wollen dem Streit ein Ende machen. Du weißt ja, dass die Entscheidung bei mir und nicht bei dir läge, du bist nicht mein Kollege, sondern mein Gehilfe und hast dich mir zu fügen. Aber da die Sache dir gar so wichtig scheint und da ich dir zwar an Amtsgewalt, nicht aber an Wissen und Gaben überlegen bin, will ich nicht selbst die Entscheidung treffen[11], sondern wir werden sie unserem Vater Abt vortragen und ihn entscheiden lassen.«

      So taten sie denn, und Abt Daniel hörte den Streit der beiden Gelehrten über ihre Auffassung des Unterrichts in der Grammatik geduldig und freundlich an. Nachdem sie beide ihre Meinungen ausführlich dargelegt und begründet hatten, blickte der alte Mann sie fröhlich an, schüttelte ein wenig das greise Haupt und sprach: