lässt mich immer daran denken, wie es vor vielen Jahren gewesen sein muss, als die Leute sich noch zu Fuß oder mit Pferdewagen fortbewegt haben."
Riley nickte und lächelte. Es war, als hätte Bill ihre Gedanken gelesen. Das Gefühl hatte sie oft bei ihm.
"Das Land muss den Leuten damals riesig erschienen sein", sagte sie. "Es hat Monate gedauert, es zu durchqueren."
Eine vertraute und angenehme Stille senkte sich über sie. Über die Jahre hatten sie und Bill mehr als eine Meinungsverschiedenheit und Streits gehabt, es hatte einige Male sogar danach ausgesehen, als wäre ihre Partnerschaft vorüber. Aber jetzt fühlte sie sich ihm gerade wegen dieser harten Zeiten näher als zuvor. Sie vertraute ihm mit ihrem Leben und sie wusste, dass er das gleiche tat.
In Zeiten wie diesen war sie froh, dass sie und Bill sich nicht der gegenseitigen Anziehungskraft ergeben hatten. Auch wenn es manchmal knapp gewesen war.
Es hätte alles ruiniert, dachte Riley.
Es war klug gewesen, es zu vermeiden. Sie konnte sich nicht vorstellen, was der Verlust seiner Freundschaft bedeutet hätte. Er war ihr bester Freund.
Nach einigen Momenten sagte Bill, "Danke, dass du mitkommst, Riley. Ich brauche diesmal wirklich deine Hilfe. Ich glaube nicht, dass ich den Fall mit einem anderen Partner hätte bearbeiten können. Nicht einmal mit Lucy."
Riley sah ihn an, sagte aber nichts. Sie musste nicht fragen, was ihm durch den Kopf ging. Sie wusste, dass er ihr endlich die Wahrheit über das sagen würde, was seiner Mutter zugestoßen war. Dann würde sie verstehen, wie wichtig und verstörend der Fall für ihn wirklich war.
Er starrte vor sich hin, während er sich erinnerte.
"Du weißt bereits von meiner Familie", sagte er. "Ich habe dir erzählt, dass Dad ein Mathelehrer in der Highschool war, und meine Mom als Kassiererin in einer Bank gearbeitet hat. Mit drei Kindern ging es uns gut, wenn wir auch nicht übermäßig wohlhabend waren. Es war ein glückliches Leben für uns. Bis …"
Bill hielt kurz inne.
"Es passierte, als ich neun Jahre alt war", fuhr er stockend fort. "Kurz vor Weihnachten veranstalteten die Mitarbeiter in Moms Bank die jährliche Weihnachtsfeier, mit Geschenkeaustausch, Kuchen und dem gewöhnlichen Bürokram. Als meine Mutter an dem Nachmittag nach Hause kam, klang sie, als hätte sie Spaß gehabt und alles wäre gut. Aber im Verlauf des Abends benahm sie sich immer seltsamer."
Bills Gesicht spannte sie bei der grausigen Erinnerung an.
"Ihr wurde schwindelig, sie war verwirrt und sie sprach undeutlich. Es war fast, als wäre sie betrunken. Aber Mom trank nie viel und außerdem war bei der Feier kein Alkohol ausgeschenkt worden. Niemand von uns wusste, was los war. Es wurde immer schlimmer. Ihr wurde übel und sie musste sich übergeben. Mein Dad brachte sie in die Notaufnahme. Wir Kinder fuhren mit."
Bill hielt wieder inne. Riley konnte sehen, dass es ihm immer schwerer fiel, ihr zu erzählen, was passiert war.
"Als wir im Krankenhaus ankamen, raste ihr Puls, sie hyperventilierte und ihr Blutdruck war unglaublich hoch. Dann fiel sie in ein Koma. Ihre Nieren versagten und sie hatte eine Herzinsuffizienz."
Bill schloss die Augen und sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Riley fragte sich, ob es vielleicht besser für ihn wäre, den Rest nicht zu erzählen. Aber sie spürte, dass es auch falsch wäre, ihn zu stoppen.
Bill sagte, "Am nächsten Morgen hatten die Ärzte herausgefunden, was mit ihr nicht stimmte. Sie litt an einer extremen Ethylenglykol Vergiftung."
Riley schüttelte den Kopf. Das klang vertraut, aber sie konnte es nicht richtig zuordnen.
Bill erklärte schnell, "Ihr Punsch auf der Party wurde mit Frostschutzmittel versetzt."
Riley schnappte nach Luft.
"Mein Gott!", sagte sie. "Wie ist das überhaupt möglich? Ich meine, würde nicht alleine der Geschmack––?"
"Das Ding ist, die meisten Frostschutzmittel schmecken süßlich", sagte Bill. "Es ist einfach, es mit süßen Getränken zu vermischen, ohne das man es merkt. Es ist wirklich leicht, es als Gift zu nutzen."
Riley versuchte zu begreifen, was sie gerade hörte.
"Aber wenn der Punsch vergiftet war, waren nicht auch andere Menschen betroffen?", fragte sie.
"Das ist es ja gerade", sagte Bill. "Niemand sonst wurde vergiftet. Es war nicht in der Punschschüssel. Es war nur im Punsch meiner Mutter. Jemand hatte es auf sie abgesehen."
Er hielt inne.
"Aber da war es schon zu spät", sagte er. "Sie blieb im Koma und starb an Silvester. Wir waren alle da, neben ihrem Bett."
Irgendwie schaffte Bill es, nicht in Tränen auszubrechen. Riley nahm an, dass er schon zu viele Tränen darüber vergossen hatte.
"Es ergab keinen Sinn", sagte Bill. "Jeder mochte meine Mutter. Sie hatte nicht einen Feind auf der ganzen Welt. Die Polizei hat ermittelt und jeder Mitarbeiter in der Bank wurde als Täter ausgeschlossen. Aber einige Mitarbeiter erinnerten sich an einen fremden Mann, der kam und ging während der Party. Er schien freundlich zu sein und jeder nahm an, dass er der Gast von jemandem war, ein Freund oder Verwandter. Er war weg, bevor die Party vorbei war."
Bill schüttelte verbittert den Kopf.
"Der Fall wurde nicht gelöst. Er ist immer noch ungelöst. Ich nehme an, das wird auch immer so bleiben. Nach so vielen Jahren, wird er niemals gelöst werden. Es war furchtbar nicht herauszufinden, wer es war, ihn nicht der Gerechtigkeit zuzuführen. Aber das Schlimmste ist, nicht zu wissen warum. Es scheint mir immer noch so unnötig grausam. Warum Mom? Was hat sie getan, dass ihr jemand so etwas Schreckliches angetan hat? Oder vielleicht hat sie gar nichts getan. Vielleicht war es nur ein grausamer Scherz. Nicht zu wissen, war Folter. Ist es noch immer. Und natürlich ist das auch einer der Gründe, warum ich––"
Er brachte den Gedanken nicht zu Ende. Das brauchte er auch nicht. Riley wusste schon lange, dass der ungelöste Fall seiner Mutter der Grund war, weshalb er FBI Agent geworden war.
"Es tut mir leid", sagte Riley.
Bill zuckte schwach mit den Schultern, als würde ein schweres Gewicht auf ihnen lasten.
"Es war vor langer Zeit", sagte er. "Außerdem weißt du so gut wie niemand sonst, wie es sich anfühlt."
Bills leise Worte erschütterten Riley. Sie wusste genau, was er meinte. Und er hatte Recht. Sie hatte ihm vor langer Zeit davon erzählt, also bestand keine Notwendigkeit, es zu wiederholen. Er wusste es bereits. Aber das machte die Erinnerung nicht weniger schmerzlich.
Riley war sechs Jahre alt und ihre Mutter hatte sie zum Süßwarenladen mitgenommen. Riley war aufgeregt und bat um alle Süßigkeiten, die sie sah. Manchmal schalt ihre Mami sie für dieses Verhalten. Aber an diesem Tag war ihre Mami lieb und verhätschelte sie, kaufte ihre alle Süßigkeiten, die sie wollte.
Als sie in der Schlange vor der Kasse standen, kam ein fremder Mann auf sie zu. Er trug etwas auf seinem Gesicht, das seine Nase, Lippen und Wangen platt machte und ihm einen gleichzeitig lustigen und beängstigenden Ausdruck gab; so wie ein Zirkusclown. Riley brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass er eine Strumpfhose über dem Gesicht trug, so wie ihre Mami an den Beinen.
Er hielt eine Waffe. Die Waffe sah riesig aus. Er zielte auf ihre Mami.
"Gib mir deine Tasche", sagte er.
Aber Mami tat es nicht. Riley wusste nicht, warum. Sie wusste nur, dass ihre Mami Angst hatte, vielleicht zu viel Angst, um zu tun, was der Mann ihr sagte, und vielleicht sollte Riley auch Angst haben, also tat sie es.
Er sagte böse Wörter zu ihrer Mami, aber sie gab ihm immer noch nicht die Tasche. Sie zitterte am ganzen Körper.
Dann kam ein Knall und ein Blitz und ihre Mami fiel auf den Boden. Der Mann sagte noch mehr böse Wörter und rannte weg. Mamis Brust blutete und sie schnappte nach Luft und wand sich, bevor sie vollkommen still lag.
Die