hatte sie sich in dem Wald nicht wirklich verlaufen.
Der Wald war in der Nähe des Highways und sie konnte die Autos vorbeifahren sehen. Das Licht der Straßenlaternen und der Vollmond leuchteten ihr den Weg durch die Bäume.
Dann fielen ihre Augen auf eine Reihe von drei flachen Gräbern.
Die Erde und die Steine, die die Gräber bedeckten, bewegten sich.
Frauenhände gruben sich einen Weg aus den Gräbern.
Sie konnte ihre gedämpften Stimmen hören.
"Hilf uns! Bitte!"
"Ich bin nur ein kleines Mädchen!", erwiderte Riley mit Tränen in den Augen.
Riley wachte erschrocken auf. Sie zitterte.
Es ist nur ein Albtraum, sagte sie sich selbst.
Und es war nicht überraschend, dass sie von dem Streichholzbrief-Killer träumte, nachdem sie mit Paula Steen gesprochen hatte.
Sie atmete mehrmals tief durch. Bald spürte sie, wie sie sich wieder entspannte und zurück in den Schlaf driftete.
Aber dann …
Sie war nur ein kleines Mädchen.
Sie war in einem Süßwarenladen mit Mommy und Mommy kaufte ihr jede Menge Süßigkeiten.
Ein gruseliger Mann mit einer Strumpfhose über dem Gesicht kam auf sie zu.
Er zielte mit einer Waffe auf Mommy.
"Her mit deinem Geld", sagte er zu Mommy.
Aber Mommy hatte zu viel Angst, um sich zu bewegen.
Der Mann schoss Mommy in die Brust und sie fiel vor Riley auf die Füße.
Riley fing an zu schreien. Sie wirbelte herum, suchte nach jemandem, der ihr helfen würde.
Aber plötzlich war sie wieder im Wald.
Die Hände der Frauen ragten aus den drei Gräbern.
Die Stimmen riefen ihr zu:
"Hilf uns! Bitte!"
Dann hörte Riley eine weitere Stimme neben sich. Sie klang vertraut.
"Du hast sie gehört, Riley. Sie brauchen deine Hilfe."
Riley drehte sich um und sah Mommy. Sie stand neben ihr, ihre Brust aus einer Schusswunde blutend. Ihr Gesicht war bleich.
"Ich kann ihnen nicht helfen, Mommy!", weinte Riley. "Ich bin nur ein kleines Mädchen!"
Mommy lächelte.
"Nein, du bist nicht nur ein kleines Mädchen, Riley. Du bist erwachsen. Dreh dich um und schau."
Riley drehte sich um und fand sich einem großen Spiegel gegenüber.
Es stimmte.
Sie war jetzt eine Frau.
Und die Stimmen riefen noch immer.
"Hilf uns! Bitte!"
Riley riss die Augen auf.
Sie zitterte mehr als vorher und schnappte nach Luft.
Sie erinnerte sich an etwas, das Paula Steen zu ihr gesagt hatte.
"Der Mörder meiner Tochter wird nicht gefasst werden."
Paula hatte außerdem gesagt:
"Es war nicht Ihr Fall."
Riley spürte eine grimmige Entschlossenheit.
Es stimmte – der Streichholzbrief-Killer war nicht ihr Fall gewesen.
Aber sie konnte ihn nicht länger in der Vergangenheit lassen.
Der Streichholzbrief-Killer musste endlich zur Verantwortung gezogen werden.
Jetzt ist es mein Fall, dachte sie.
KAPITEL SIEBEN
Riley hatte keine weiteren Albträume mehr, aber ihr Schlaf war dennoch unruhig. Überraschenderweise fühlte sie sich wach und voller Energie, als sie am nächsten Morgen aufwachte.
Sie hatte einiges zu tun.
Sie zog sich an und ging nach unten. April und Jilly saßen bereits in der Küche und aßen das Frühstück, das Gabriela zubereitet hatte. Beide Mädchen sahen traurig aus, aber nicht so am Boden zerstört wie gestern.
Riley sah, dass auch für sie gedeckt war, also setzte sie sich und sagte, "Die Pancakes sehen wundervoll aus. Würdest du sie mir bitte rübergeben?"
Während sie aß und ihren Kaffee trank, schienen die Mädchen ein wenig ihrer guten Laune wiederzugewinnen. Sie erwähnten Ryans Abwesenheit nicht, stattdessen redeten sie über Kinder in ihren Schulen.
Sie sind hart im Nehmen, dachte Riley.
Und sie hatten beide schon vorher schwere Zeiten durchgemacht.
Sie war sich sicher, dass sie auch die Krise mit Ryan überwinden würden.
Riley trank ihren Kaffee aus und sagte, "Ich muss los."
Sie stand auf und gab erst April, dann Jilly einen Kuss auf die Wange.
"Geh und schnapp ein paar Bösewichte, Mom", sagte Jilly.
Riley lächelte.
"Das mache ich, mein Schatz", erwiderte sie.
*
Sobald sie in ihr Büro kam, rief Riley die Akten des alten Falles auf ihrem PC auf. Während sie alte Zeitungsartikel durchsah, erinnerte sie sich daran, dass sie einige davon gelesen hatte, als es gerade geschehen war. Sie war damals noch ein Teenager gewesen und der Streichholzbrief-Killer war ihr wie etwas aus einem Albtraum erschienen.
Die Morde waren hier in Virginia, in der Nähe von Richmond geschehen, mit jeweils drei Wochen zwischen den drei Opfern.
Riley öffnete eine Karte und fand Greybull, eine kleine Stadt neben der Interstate 64. Tilda Steen, das letzte Opfer, war in Greybull geboren und gestorben. Die anderen beiden Morde waren in den Städten Brinkley und Denison geschehen. Riley konnte sehen, dass alle Städte innerhalb von hundert Meilen lagen.
Riley schloss die Karte und sah sich wieder die Zeitungsartikel an.
Eine Überschrift verkündete in großen Buchstaben:
STREICHHOLZBRIEF-KILLER FORDERT DRITTES OPFER!
Sie schauderte leicht.
Ja, sie erinnerte sich daran, diese Überschrift vor vielen Jahren gelesen zu haben.
Der Artikel beschrieb die Panik, die der Mörder in der Gegend ausgelöst hatte – vor allem unter jungen Frauen.
Laut dem Artikel stellten Polizei und Öffentlichkeit die gleichen Fragen:
Wann und wo würde der Mörder das nächste Mal zuschlagen?
Wer würde das nächste Opfer sein?
Aber es hatte keine weiteren Opfer gegeben.
Warum?, fragte Riley sich.
Es war eine Frage, die die Polizei nicht hatte beantworten können.
Der Mörder schien ein skrupelloser Serienmörder zu sein – die Art, die so lange tötete, bis er gefasst wurde. Stattdessen war er einfach verschwunden. Und sein Verschwinden war genauso mysteriös gewesen, wie die Morde selbst.
Riley begann, die alten Polizeiberichte durchzulesen, um ihr Gedächtnis aufzufrischen.
Die Opfer schienen nicht miteinander in Verbindung zu stehen. Der Mörder hatte bei allen drei Morden die gleiche Vorgehensweise benutzt. Er hatte die jungen Frauen in Bars getroffen, sie zu einem Motel gebracht und dort getötet. Dann hatte er ihre Leichen in flachen Gräbern, nicht