anzugucken”, sagte er. “Da haben sie herausgefunden, was es wirklich ist.”
Arme Kinder, dachte Riley. Es war fast zwanzig Jahre her, seit sie Marihuana im College versucht hatte. Trotzdem konnte sie sich den gesteigerten Schock vorstellen, den so eine Entdeckung unter dem Einfluss der Drogen ausgelöst haben musste.
“Willst du hinunterklettern und es dir näher ansehen?” fragte Bill.
“Nein, der Blick hier ist gut”, sagte Riley.
Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass es genau der Ort war, an dem sie sein musste. Schließlich war es unwahrscheinlich, dass der Mörder die Leiche den gleichen Abhang hatte herunterrollen lassen, den die Kinder heruntergeklettert waren.
Nein, dachte sie. Er stand genau hier.
Es sah sogar so aus, als wäre die Vegetation hier noch immer etwas heruntergedrückt.
Sie atmete tief durch und versuchte sich in seinen Kopf zu versetzen. Er war zweifellos in der Nacht gekommen. Aber war es eine klare Nacht oder eine bewölkte? Zu dieser Jahreszeit in Arizona standen die Chancen gut, dass es eine klare Nacht gewesen war. Und sie erinnerte sich daran, dass der Mond eine Woche zuvor hell gewesen sein musste. Im Licht des Mondes und der Sterne hatte er vermutlich sehr gut sehen könne, was er tat – auch ohne eine Taschenlampe.
Sie stellte sich vor, wie er die Leiche hier ablegte. Aber was hatte er dann getan? Offenbar hatte er die Leiche über den Rand gerollt. Sie war direkt unter ihm in das seichte Wasser gefallen.
Aber etwas an dem Szenario kam Riley seltsam vor. Sie fragte sich wieder, wie er so unvorsichtig hatte sein können.
Sicher, von hier oben aus hatte er vermutlich nicht sehen können, dass die Leiche nicht tief gesunken ist. Die Kinder hatten den Müllsack als “dunkle Form im Wasser” beschrieben. Von dieser Höhe war der Sack wahrscheinlich nicht einmal in einer klaren Nacht sichtbar gewesen. Er hatte angenommen, dass die Leiche gesunken war, wie es frische Leichen in Süßwasser tun, vor allem, wenn sie mit Steinen beschwert sind.
Aber warum hatte er angenommen, dass das Wasser hier tief ist.
Sie blickte hinunter in das klare Wasser. In der späten Nachmittagssonne konnte sie leicht den Vorsprung sehen, auf dem die Leiche gelandet war. Es war eine kleine horizontale Fläche, nicht mehr, als die Spitze eines Felsens. Darum herum war das Wasser schwarz und tief.
Sie blickte über den See. Scharfe Felsen ragten überall aus dem Wasser. Sie konnte sehen, dass der Nimbo See ein tiefer Canyon gewesen war, bevor der Damm ihn mit Wasser gefüllt hatte. Es gab nur wenige Orte, an denen man am Ufer entlanggehen konnte. Die Seite der Steilwand fiel direkt in die Tiefe.
Zu ihrer Rechten und Linken sah Riley Steinwälle, die dem ähnelten, auf dem sie jetzt standen, etwa in der gleichen Höhe. Das Wasser unter diesen Abhängen war dunkel und zeigte keine Anzeichen von möglichen Felsvorsprüngen.
Sie spürte ein Kribbeln.
“Er hat das schon einmal getan”, sagte sie Bill und Holbrook. “In diesem See ist noch eine andere Leiche.”
*
Auf dem Helikopterflug zurück zum Hauptbüro der FBI Außenstelle in Phoenix sagte Holbrook, “Also denken Sie, dass es doch ein Serienmörder ist?”
“Ja, das denke ich”, erwiderte Riley.
Holbrook sagte, “Ich war mir nicht sicher. Ich wollte vor allem jemanden an den Fall bekommen, der gut ist. Aber was haben Sie gesehen, dass Sie überzeugt hat?”
“Da waren andere Steinwälle, die genauso aussahen, wie der, von dem er diese Leiche geworfen hat”, erklärte sie. “Er hat einen von ihnen schon vorher genutzt und die Leiche ist so gesunken, wie sie es sollte. Aber vielleicht hat er die gleiche Stelle nicht gefunden. Oder vielleicht dachte er, das ist die gleiche Stelle. Wie auch immer, er hat das gleiche Resultat erwartet. Er hat einen Fehler gemacht.”
Bill nickte anerkennend. “Ich habe Ihnen gesagt, Sie findet etwas.”
“Taucher werden den See absuchen müssen”, fügte Riley hinzu.
“Das wird dauern”, zögerte Holbrook.
“Es muss trotzdem gemacht werden. Da unten ist irgendwo eine andere Leiche. Darauf können Sie sich verlassen. Ich weiß nicht, wie lange die schon dort ist, aber sie ist da.”
Sie hielt inne und dachte darüber nach, was das über die Persönlichkeit des Mörders sagte. Er war fähig und kompetent. Das war kein armseliger Verlierer wie Eugene Fisk. Er war mehr wie Peterson, der Mörder, der sowohl sie, als auch April, gefangen gehalten und gefoltert hatte. Er war scharfsinnig und selbstbeherrscht, und er genoss es zu töten – eher ein Soziopath als ein Psychopath. Vor allem war er selbstsicher.
Vielleicht mehr als ihm gut tut, dachte Riley.
Das könnte seine Achillesferse sein.
Sie sagte, “Der Mann, nach dem wir suchen, ist kein kleiner Krimineller. Ich glaube, dass er ein normaler Bürger ist, recht gut ausgebildet, vielleicht mit Frau und Familie. Niemand, der ihn kennt, denkt, dass er ein Mörder ist.”
Riley beobachtete Holbrooks Gesicht, während sie sprach. Auch wenn sie jetzt etwas über den Fall wusste, was ihr vorher nicht bewusst gewesen war, kam ihr Holbrook immer noch vollkommen undurchdringlich vor.
Der Helikopter zirkelte über dem FBI Gebäude. Die Dämmerung hatte eingesetzt und die Fläche unter ihnen war hell erleuchtet.
“Schau mal”, sagte Bill und zeigte aus dem Fenster.
Riley sah nach unten. Sie war überrascht zu sehen, dass der Steingarten wie ein gigantischer Fingerabdruck aussah. Er erstreckte sich unter ihnen wie ein Willkommensschild. Ein ungewöhnlicher Landschaftsarchitekt hatte entschieden, dass dieses Bild aus Steinen besser zu dem neuen FBI Gebäude passte, als ein bepflanzter Garten. Hunderte von beträchtlichen Steinen waren sorgfältig in geschwungenen Reihen platziert worden, um die Illusion zu erzeugen.
“Wow”, hauchte Riley. “Wessen Fingerabdruck glaubst du, haben sie genutzt? Ich nehme an jemand bekanntes. Dillinger, vielleicht?”
“Oder vielleicht John Wayne Gacy. Oder Jeffrey Dahmer.”
Riley fand den Anblick seltsam beunruhigend. Auf dem Boden würde niemand annehmen, dass die Steine mehr waren, als ein bedeutungsloses Labyrinth.
Es kam ihr fast wie ein Zeichen und eine Warnung vor. Der Fall würde verlangen, dass sie die Dinge aus einer neuen und beunruhigenden Perspektive betrachtete. Sie würde Regionen der Dunkelheit erforschen müssen, die selbst sie sich nicht hätte vorstellen können.
Kapitel Neun
Dem Mann gefiel es, die Nutten auf der Straße zu beobachten. Er mochte es, wie sie zusammen in einer Ecke standen und auf dem Bürgersteig auf und ab stöckelten, meistens zu zweit. Sie waren lebhafter als Callgirls oder Escorts, zeigten schneller ihr Temperament.
Beispielsweise sah er jetzt gerade eine von ihnen eine Gruppe von ungehobelten jungen Kerlen verfluchen, die aus einem langsam fahrenden Auto heraus ein Foto von ihr gemacht hatten. Der Mann konnte ihr das nicht verübeln. Schließlich war sie zum Arbeiten hier, nicht als Verschönerung der Landschaft.
Wo bleibt da der Respekt? dachte er mit einem Grinsen. Die Jugend von heute.
Jetzt lachten die Typen sie aus und riefen Obszönitäten. Aber sie waren ihren farbenfrohen Antworten nicht gewachsen, einige davon in Spanisch. Er mochte ihren Stil.
Er mischte sich heute unter das gemeine Volk, parkte vor einer Reihe billiger Motels, bei denen sich die Straßenmädchen versammelten. Die anderen Mädchen waren im Vergleich zu der, die geflucht hatte, weniger lebendig. Ihre Versuche sexy auszusehen, wirkten eher peinlich und ihre Anmachen waren plump. Während er zusah, hob eine von ihnen ihren Rock hoch, um einem langsam vorbeifahrenden Fahrer ihre knappe Unterwäsche zu zeigen. Der Fahrer hielt nicht an.
Er