target="_blank" rel="nofollow" href="#n24" type="note">[24], sondern auf ein Tribunal. Zeugen zu meinem Verfahren gab es sehr wenige, jenes Minimum, das heute besser ist als das Maximum. Alle Arbeitskollegen – Gusjatinskij, Schumskij – wurden komplett neu verhört.
Gusjatinskij brachte eine Masse neuer Fakten bei: fuhr nach Kiew, wo er Jefimow lobte, den Direktor des Kiewer Industrie-Instituts, und ehrliche Leninisten beschimpfte. Das alles erschien ihm verdächtig, und er teilte offiziell mit, wer mich der Redaktion empfohlen hatte.
In nichts hatten sich Schumskijs Aussagen verändert – gegenüber seinem ersten Verhör. Schumskij erwies sich keineswegs als Feigling.
Am bedeutendsten waren die Veränderungen in den Aussagen meiner Frau, doch ihren Kern kenne ich nur in der Wiedergabe Botwins: »Auch Ihre Frau sagt über Sie aus, Sie waren ein aktiver Oppositioneller, haben sich nur versteckt und maskiert, na ja.« Aber solche Aussagen fanden sich nicht.
Ich passte für das Kürzel[25].
Vierzehn Jahre später, noch vor der Rehabilitierung, fragte ich [meine Frau]*:
»Was haben sie dir [hineingeschrieben] in deine eigenen Aussagen? Was konntest du in einem Jahr wie 1937 Überflüssiges sagen?«
»Meine Aussage war so: ich kann natürlich nicht sagen, was du in meiner Abwesenheit getan hast, aber in meinem Beisein warst du mit keinerlei trotzkistischen Tätigkeit befasst[26].«
»Na, wunderbar.«
»Du wirst dich einmal im Monat mit Pasternak treffen, und hierher wirst du, na, sagen wir, einmal pro Woche kommen.«
»Pasternak«, sagte ich, »braucht mich mehr als ich ihn. Pasternak hat mir gegeben, was er konnte, in seinen frühen Gedichten, den Gedichten ›Meine Schwester – das Leben‹: Pasternak schuldet mir auch nichts mehr.«
»Gib mir dein Wort, dass du Lenotschka in Frieden lässt und ihre Ideale nicht zerstörst. Sie ist von mir persönlich, ich betone dieses Wort, in offiziellen Traditionen erzogen, und ich will für sie keinen anderen Weg. Mein Auf-dich-Warten über 14 Jahre gibt mir das Recht auf diese Bitte.«
»Na und ob, diese Verpflichtung gehe ich ein und erfülle sie. Noch etwas?«
»Das ist noch nicht das Wichtigste, das Allerwichtigste – du musst alles vergessen.«
»Was alles?«
»… Na, zurückkehren zum normalen Leben …«
Der Weg in die Hölle
Der Dampfer »Kulu« beendete seine fünfte Überfahrt in der Nagajew-Bucht am 14. August 1937. Fünfundvierzig Tage hatte man die »Volksfeinde« – einen ganzen Transportzug von Moskauern – hergefahren. Die warme Stille der Sommernächte, die dumme Freude derer, die man in heizbaren Güterwaggons[27] zu sechsunddreißig Mann transportierte. Die Menschen waren, während sie sich die blasse Gefängnishaut vom heißen Wind aus allen Waggonritzen verbrannten, auf kindliche Art glücklich. Die Untersuchung ist abgeschlossen. Jetzt hat sich ihre Situation geklärt, jetzt fahren sie an die goldene Kolyma, in die fernen Lager, wo das Dasein, wie man hört, märchenhaft ist. Zwei Männer im Waggon lächelten nicht – ich (ich wusste, was das ferne Lager ist) und ein schlesischer Kommunist, der Deutsche Weber, ein Häftling von der Kolyma, den man für irgendwelche Aussagen nach Moskau gebracht hatte. Als einmal wieder ein Ausbruch des Gelächters[28], des nervösen Häftlingsgelächters, verhallt war, gab mir Weber einen Wink mit seinem schwarzen Bart und sagte: »Das sind Kinder. Sie wissen nicht, dass man sie zur physischen Vernichtung bringt.«
Ich erinnere mich noch an Omsk mit seinem vortrefflichen Badehaus, einer militärischen Entlausungsanstalt[29], bei der wir, gewaschen und nach der Desinfektion in feuchter, nach Lysol riechender Kleidung, auf irgendeinem Hof lagen und in die warme, von kleinen grauen Wölkchen umgebene Herbstsonne schauten. Das Laub der Bäume war tiefrot. Zu uns kam ein Oberleutnant des NKWD, fett und rasiert, beide Daumen unter den Ledergürtel geklemmt, der den riesigen Bauch mit Mühe zusammenhielt. Das war der »Repräsentant« des NKWD, der den Transport begleitete. Klagen? Nein, wir klagten nicht, und auch nicht, um Klagen zu hören, war der Leutnant zur Etappe gekommen. Seine Visage, von Fett aufgeschwemmt[30], und die blassen mageren Figuren und die eingefallenen Augen der Häftlinge haben sich mir gut eingeprägt.
»Na, Sie zum Beispiel«, er stieß mit dem Lackstiefel meinen Nachbarn an, »was haben Sie in Freiheit gemacht?«
»Ich bin Mathematikdozent an einer Hochschule.«
»Na, meine Herren Dozenten, ihr werdet kaum in euren Beruf zurückzukehren. Ihr werdet euch anderer Arbeit widmen müssen, nützlicherer …«
Alle schwiegen. Der Leutnant entwickelte seinen Gedanken fort: »Natürlich, ich kann der Regierung und der Partei keinen Rat geben, aber wenn man mich fragte, was mit euch tun, dann wäre mein Rat: alle auf eine nördliche Insel schaffen – na, sagen wir, auf die Wrangelinsel*, dort zurücklassen und die Verbindung zur Insel einstellen. Die ganze Aufgabe wäre im Nu gelöst[31]. Aber sie schaffen euch ins Gold und wollen, dass ihr in den Gruben arbeitet. Arbeiten werdet ihr, ihr Dozenten …«
»Und warum bist du hier?« Der Leutnant richtete den Blick auf Wolodka Iwanow, einen Rotschopf, von Kopf bis Fuß mit Kriminellen-Tätowierungen bedeckt. Man hörte deutlich das Wohlwollen in der Stimme des Oberleutnants.
»Ich bin Erzieher in der Kolonie Bolschewo*. Als Achtundfünfziger. Mit Kürzel.«
»A-ha …«
Und der Leutnant zog weiter.
Ich erinnere mich an den Bauch des Dampfers, wo sich unserer Gruppe ein gewisser Chrenow anschloss, ein Aufgedunsener[32], Langsamer. Gepäck hatte Chrenow nicht dabei für die Kolyma. Dafür ein Bändchen von Majakowskij-Gedichten mit Widmung des Autors. Und für alle, die das wollten, suchte er die Seite und zeigte »Chrenows Erzählung von Kusnezkstroj«* und las:
Ich weiß – die Stadt wird werden,
Ich weiß – der Garten prangt.
Wenn solche Menschen leben
Im großen Sowjetland!
Chrenow war schwerer Herzpatient. Doch man trieb Beinlose wie Siebzigjährige wie Tuberkulosekranke im letzten Stadium an die Kolyma. Für »Volksfeinde« gab es kein Erbarmen. Seine schwere Krankheit rettete Chrenow. Er erlebte als Invalide das Ende der Haftzeit, wurde entlassen und starb an der Kolyma schon als Freier, als einer der wenigen »Glückspilze«.
Ich weiß nämlich nicht, was Glück ist – am Leben bleiben nach großen Qualen oder sterben, ehe die Leiden beginnen.
Ich erinnere mich gut, wie die fünfte Überfahrt der »Kulu« endete.
In der Nagajew-Bucht kam der Dampfer nachts an, und das Ausladen wurde auf den Morgen verschoben. Am Morgen ging ich auf Deck und schaute, und mein Herz zog sich zusammen von gewaltiger Unruhe.
Es fiel feiner kalter Regen. Am Ufer kahle rotstichige Bergkuppen, umgeben von dunkelgrauen Regenwolken. Baracken, umzäunt von Stacheldraht[33]. Eine in die Ferne und in die Höhe führende schmale Straße, und unzählige Bergkuppen …
Drei Tage in der Etappe, in Segeltuchzelten, durchnässt von dem ununterbrochenen Regen. Die Arbeit – Verlegen einer Straße in die Wesjolaja-Bucht. Verladung auf Autos, die Chaussee windet sich zwischen den Bergen, immerzu in die Höhe, mit jeder Kurve wird es immer kälter, die Luft immer trockener, und am zwanzigsten August dann lädt man uns im Bergwerk »Partisan« der Nördlichen Bergwerksverwaltung aus.
Warum erinnere ich mich denn, dass die Überfahrt des Dampfers »Kulu« in der Schifffahrtsperiode des Jahres 1937 eben die fünfte war?
Weil