zustopfen. Sämtliche Baracken waren im Innern voller Flecken.
Das Gerüst wurde direkt auf die Erde gestellt, auf den Stein, ohne schlaue Tüftelei[42] in Bezug auf die Horizontale oder Vertikale – Lot und Wasserwaage wurden hier wenig genutzt. Wegen der Überraschungen des Dauerfrostbodens grub man die unteren Rahmen niemals in den Boden ein. In der Baracke verlegte man einen Boden aus Treibholz, ebenfalls gewellt und einem Fußboden wenig ähnlich. Eine Decke aber gab es gar nicht. Die Decke war das Dach des erwähnten Segeltuchzelts. Das Segeltuchzelt, eben das, in dem wir im Sommer gewohnt hatten, wurde auf dieses Gerüst aufgezogen, das man neben dem Zelt hingesetzt hatte – und die Winterbaracke war fertig.
Mitten in der Baracke stand ein Ofen – der einzige Ofen der Baracke. Ein Fassofen. An der Kolyma sind alle Öfen so – solche Öfen fressen viel Holz, dafür lassen sie sich leicht anzünden, und <sie> würden die Baracke schnell erwärmen, wenn die Ritzen nicht wären.
Als Barackentür dienten einfach Bretter, etwas fester zusammengezimmert und schief angenagelt[43] an die Gummischarniere – Stücke von Autoreifen. Und <ein Bügel> auch innen an der Tür war die Türklinke, in der Länge ähnlich wie die Klinke in Moskauer Restaurants, so dass man sie mit beiden Händen fassen und die angefrorene Tür losreißen konnte. So eine Baracke wurde nicht warm, und wenn man darin hundert Kubikmeter Holz verbrannt hätte. Doch für Holz gab es ebenfalls strengste Normen. Vor allem musste jede Brigade das Holz »auf dem Buckel« herbringen[44], d. h. zwei, drei Kilometer in die Talkessel, in die Berge laufen und sich dort einen Stock nach den eigenen Kräften suchen und ins Lager schleppen. All das wurde nach der Arbeit in der Grube absolviert. Mit jedem Tag waren die Holzstapel weiter entfernt, immer höher in den Bergen, war es immer schwerer hin- und von dort zurückzukommen. Brigadiere und Begleitposten sahen darauf, dass du, Gott bewahre, keinen zu leichten »Stock« nimmst – sie zwangen dich, ihn gegen einen schwereren einzutauschen.
In der Baracke, an den Türen zur Zone empfingen Aufseher und Lagerältester die Brigade – beide sahen darauf, dass jeder seinen »Stock« hatte und dass er nicht klein, leicht und mickrig[45] war.
Jedes Mal um dieselbe Abend- oder schon Nachtstunde stellte sich heraus, dass ein Teil des Holzes in die Wachabteilung gebracht werden musste. Einen Teil wählten sie auf der Wache für die Diensthabenden aus, und nur das Allerwenigste – das dünne, kurze, <die Hölzchen> —gelangte in den Ofen der Brigade. Bei jedem Konflikt wurde die gesamte Brigade bei sechzig Grad Frost vom Begleitposten vor der Wache festgehalten. Diese ganze Holzpflicht (da wurde Holz ins Badehaus, in die Wäscherei, in die freie Siedlung gebracht – überallhin) ist eine meiner schlimmsten Erinnerungen. Holz schleppte im Winter die gesamte Brigade, Stachanowleute wie dochodjagi. Bis heute spüre ich das Gewicht irgendeines Stocks, am dicken Stammende[46] gefasst – einen langen Stamm ließ man uns zu zweit schleppen.
Ich bin groß gewachsen, und das war für mich die gesamte Zeit meiner Haft über Quelle aller möglichen Häftlingsqualen. Mir war die Ration zu gering, ich wurde schneller schwach als alle und sah früher als die anderen, dass die physische Arbeit der Fluch des Menschen ist. Noch dazu ist die Häftlings-, die erzwungene Arbeit auch eine unendliche, alltägliche Erniedrigung. Das wusste ich übrigens auch aus meiner ersten Haftzeit an der Wischera*. Die Unendlichkeit der Erniedrigung durch schwere Arbeit, durch Schläge. Wenn die Ganoven im Goldbergwerk gemeinsam mit der Leitung den Plan aus der Brigade herausprügeln – all das beobachtete ich schon von den ersten Monaten 1938 an.
In mir lebte mit außerordentlicher Stärke ein unendlicher Geist des Widerstands, des rastlosen Protestes gegen all unser Elend, unsere Erniedrigungen. Diesen Protest, diesen Kampf führt man an der Kolyma nicht kollektiv. Ich habe niemanden aufgerufen, meinem Beispiel zu folgen.
Aber schon seit dem »Partisan«, seit der ersten <Messung>, seit dem ersten <Vorlauf> all dessen – ich hatte nicht bis zur »Normerfüllung« gearbeitet – beschloss ich: ich werde für diesen Staat nicht arbeiten. Einen Staat, der mich Unschuldigen im Gefängnis gehalten, mich hinter den Polarkreis verbracht hat und mit Hunger, Kälte und Schlägen umbringt. Einen Sklaven wird er aus mir nicht machen. Gebrandmarkt, doch kein Sklav*. Die Norm war nicht zu schaffen, das war nicht nur mir klar, sondern auch meinen Kameraden, all meinen Chefs – den Brigadieren, Vorarbeitern, Begleitposten, dem Minenchef, dem Volkskommissar für Inneres und schließlich meinem Untersuchungsführer in Moskau. Alle wussten, wozu sie mich verdammen.
Sollen sie mich umbringen, Arbeit werden sie von mir nicht bekommen.
Ich bin nicht der Erste und nicht der Letzte. Meine katorga-Entdeckung, scheinbar nicht so sehr groß. Doch an der Kolyma gab sie mir geistige Kraft, gab die Kraft zu leben.
Für das schlimmste Verbrechen an der Kolyma halte ich die Chefarbeit als Brigadier. Andere zum Arbeiten zu zwingen, Menschen zum Arbeiten zwingen, die zum Tod verdammt sind.
Dieser Ansicht war ich im August 1937 und im Mai 1959 und habe diese Ansicht niemals geändert.
Die Arbeit offen und öffentlich verweigern – wozu, ebenfalls offen und öffentlich, alle Chefs der gesamten Kolyma aufrufen: »Wenn du nicht arbeiten willst, weigere dich.« Dieses Gekreisch habe ich bis heute im Ohr.
Für jede Arbeitsverweigerung wurde man 1938, und nicht nur damals, erschossen. Zur Arbeit hat man auszurücken[47]. Das schlimmste Häftlingsverbrechen nach Stalins Kodex ist die Arbeitsverweigerung. Ein Staatsverbrechen, darum ist das Verweigern der Arbeit schon in der Baracke unmöglich. Zur Arbeit hat man auszurücken.
1938 wollte es im »Partisan« kein einziger Chef mit den »Schwachmatikern«[48] riskieren. Jeder, der eine ärztliche und Sanitär-Bescheinigung hatte, war ein Stachanowmann – so lautet die <Arithmetik>, der die Theorie des »Stachanowarbeiters der Krankheit« entsprang. In unserem Bergwerk war zum Beispiel auch Chrenow, der ehemalige Chef von Kusnezkstroj – um ihn geht es in dem bildhaften Majakowskij-Verschen zu dem Garten, der prangen wird, oder der Gartenstadt.
Der Stachanowarbeiter der Krankheit wurde zu leichten Arbeiten eingesetzt, und er wurde nicht unter dem Knüppel, dem Gewehrkolben der Begleitposten in die Grube getrieben. Aber die Chefs wollten nichts riskieren, die Norm nicht erfüllt – schlecht gearbeitet —, in die RUR mit ihm, in die Rotte mit verschärftem Regime, oder in die BUR, wie die RUR seit einiger Zeit genannt wurde – es scheint den Moskauer Chefs, dass Rotte antisowjetisch klingt und an die Häftlingsrotte erinnert, darum wurde die RUR in allen Bergwerken umbenannt in BUR – Baracke verschärften Regimes.
Für die RUR trug im »Partisan« der Chef ein, sehr rasch – gleich von der Arbeit brachte dich der Begleitposten weg und sperrte dich in die riesige Isolator-Baracke mit Konvoj, mit Posten. Und dorthin kamen viele Menschen. Ihr Aufenthalt in der RUR wurde irgendwie eingetragen, im Buch des RUR-Kommandanten vermerkt, und auch in den Lagerakten der Häftlinge sollte eine Spur hinterlassen bleiben. Aber Spuren in der Akte sind nicht Schläge bei 60 Grad Frost, nicht der <nagende> Hunger[49].
In der RUR gab es auch Essen, das gewöhnliche Lageressen, was für einen Menschen, der nur von der Lagerverpflegung lebt, noch günstiger war, als in der Lagerkantine zu essen, die von Dieben, Brigadieren, Aufsehern und Begleitposten bestohlen wurde.
Die RUR-Verpflegung war für unsereins besser als im Lager.
Die RUR arbeitete beim Holzeinschlag, beim Gräbenziehen – aber ohne Plan, ohne Goldnorm —, also war auch das Arbeitsregime weniger hart.
Ich habe viele Male in der RUR gesessen. Kaum ist meine Zeit dort zu Ende und ich komme ins Bergwerk – heute sind die Arbeits<-Register> schneller —, zu Arm oder Breshnikow, zu Anissimow – und zurück in die RUR.
Und in dieser RUR nun, im »Partisan«, entdeckte ich im Januar oder Februar 1938 in mir eine Eigenschaft …
Der Mensch kennt sich selbst nicht. Die Möglichkeiten des Menschen zum