Захар Прилепин

Sankya / Санькя. Книга для чтения на немецком языке


Скачать книгу

wird es besser sein.«

      »Und wo sollen wir hingehen?«, fragte Wenja, der zurückgekommen war und plötzlich hinter Besletow stand.

      Besletow drehte sich halb um, ohne Wenja richtig anzusehen, und wandte sich sofort wieder seiner Tasse Kaffee zu. Er trank aus, blickte auf den Tassenboden, schwenkte die Tasse und stellte sie auf den Tisch, ließ auf dem Tisch einen frischen Geldschein, die Bezahlung für den Kaffee plus Trinkgeld, und ging nach einer raschen Verabschiedung hinaus.

      Niemand sagte ein Wort. Negativ schaute nach wie vor auf den Fernseher.

      »Wie hat euch das … Gespräch gefallen?«, fragte Sascha auf der Straße. Sascha ging neben Negativ, der als erster antworten musste.

      »Mir egal«, antwortete Negativ. »Ich verstehe nur nicht, warum zum Teufel du uns hierher gebracht hast?«

      »Zum Teufel mit ihm«, meinte Wenja.

      Rogow schwieg.

      »Ljosch!«, rief Sascha.

      »Und hast du was Neues gehört?«, antwortete Rogow, der ganz offenkundig gerade irgendwelche Gedanken, denen er nachgehangen war, abschüttelte.

      Sascha zuckte mit den Schultern.

      »Vor zehn Jahren«, sagte Rogow, »war er sicherlich ein Liberaler und forderte … all das, was sie damals verlangt haben … den Sklaven bis auf den letzten Tropfen aus sich zu vertreiben … die Sühne, all das andere …«

      »Ja«, stimmte Sascha zu, der sich ehrlich freute, dass Besletows Worte den wie immer ruhigen Rogow nicht im Geringsten berührt hatten.

      »Und damals hat er sich vermutlich nicht von jenen Ideen leiten lassen, die er jetzt verkündet. Davon, dass man sich distanzieren muss. Und dass ein schwerer chirurgischer Eingriff nicht gerade gottgewollt ist[98]. Sie haben ja überhaupt immer gleich so gern den lieben Gott ins Spiel gebracht … Als sie damals mit stumpfem Messer am lebendigen Leib herumschnippelten, da kam er ihnen sehr gelegen, und jetzt auch. Alles was sie je gemacht haben … Denen wurde Gott offenbar als Lauf bursche für alles und jedes abgestellt …«

      Rogow blieb stehen und zündete sich eine Zigarette an.

      »Und dann, hast du das bemerkt, Sascha, der hält dich und uns alle doch für assyrische Schuhputzer, sich selbst aber für den Hüter des russischen Geistes … Na ja, soll er …«

      »Wohin gehen wir?«, fragte Wenja, der von der ganzen Diskussion gelangweilt war.

      »Wir mischen uns unters Volk. Wodka trinken«, antwortete Rogow. »Folgende Bedingungen: Der Raum muss warm sein und der Wodka billig. Wo gibt es bei euch den billigsten Wodka?«

      »Am Bahnhof«, antwortete Sascha. »Das ist ganz in der Nähe.«

      Die Fleischfüllung der Pelmeni war – dem Geschmack nach zu schließen – durch gut zerkautes Papier, vermutlich Löschpapier, ersetzt worden. Die Mayonnaise, die wie graublauer Aufstrich am Tellerrand klebte, war sauer.

      »Das Brot ist feucht …«, sagte Rogow angewidert und schob das Stück Roggenbrot, das wie teurer Fisch fast durchsichtig war (und auch nach Fisch roch), beiseite; Negativ hingegen schnappte sich das Brot und legte es mitten in die Mayonnaise auf seinem Teller.

      Sascha hatte ordentlichen Appetit – nach den auf drei hohe, geschliffene Gläser[99] aufgeteilten hundert Gramm Wodka schienen auch die Pelmeni durchaus essbar. Ja, und dann erst recht mit dem Bier …

      Die Imbissstube beim Bahnhof war gefüllt mit lauten, scheußlich gekleideten Menschen vorwiegend männlichen Geschlechts. Auf ihren Tischen war kein Essen zu sehen – nur Wodka. Sie tranken die Gläser in einem Zug aus[100], bewegten dabei ihre bläulichen, angesengt wirkenden Adamsäpfel, und schauten dann lange grübelnd ins Glas.

      Ein unrasierter und düsterer Mann unbestimmten Alters in einem schmutzigen Tarnanzug stach aus der Menge hervor. Anscheinend fehlte ihm ein Arm.

      Sascha und Wenja bemerkten nicht, dass sie nach dem dritten Glas laut zu sprechen begonnen hatten und dabei heftig gestikulierten. Negativ schwieg wie immer und kaute sorgfältig an Brot und Pelmeni. Sascha bemerkte, dass immer, wenn er selbst ein Lokal betrat, er sich mehrmals umschaute, um zu sehen, welche Leute sich in seiner Umgebung befanden, Negativ hingegen sich überhaupt nicht dafür interessierte, wer da trinkt und isst. Es schien, als wäre Negativ zu sich nach Hause gekommen, wo er alles seit Langem kennt. Rogow machte keinen Lärm und wurde nicht betrunken, lediglich in seinem Gesicht bildeten sich rosafarbene, klar abgegrenzte Flecken. Sascha sah Rogow an und bemerkte mit betrunkenem Erstaunen: Würde man den Fleck auf der linken Wange umranden, dann ergäbe das den Umriss von Afrika. Sascha reckte mehrmals den Hals, um die Form des Flecks auf Rogows rechter Wange zu beäugen, bis Ljoscha ihn fragend anschaute.

      Sascha schüttelte den Kopf: »Nichts.«

      Rogow lächelte sanft.

      »Ljosch, erzähl weiter über dieses Gespräch«, bat Sascha. »Es ist gut, was Du sagst.«

      »Was gibt’s da zu sagen …« Rogow war abermals ehrlich verwundert. »Ist leichter, sich hinzulegen und zu sterben, als diesem Typ zuzuhören. Die Russen sollen sich nach seiner Logik überhaupt alle hundert Jahre hinlegen und sterben. Sobald sie nur anfangen, ›Blut zu vergießen‹. Ich sehe keinen Unterschied zwischen heute und dem, was war … vor langer Zeit. Ich sehe auch keinen Unterschied zwischen mir und meinem Großvater.«

      Rogow sprach langsam, als würde er jedes Wort durch einen Fleischwolf drehen.

      »Nein, Ljosch, warte, was ist mit ›Blut vergießen‹? Wird das wirklich geschehen?«

      »Alle tun das …«

      »Besletow würde sagen, dass alle das Blut der anderen vergießen, wir aber vergießen das unserer eigenen Leute.«

      »Besletow ist sein Familienname?«, fragte Rogow nach und sagte, ohne auf eine Antwort zu warten: »Na und, ist das schlecht? Es ist ehrlicher, die Eigenen niederzumetzeln, als in benachbarten Ländern herumzutrampeln.«

      »Sind wir dort etwa nicht herumgetrampelt?«

      »Also, es ist eine Sache, einen Viehwaggon mit Balten* auf die Kamtschatka zu transportieren, die vor Hitler ihre Beine breit gemacht hätten, wäre nicht der Rotarmist mit der Uschanka gekommen[101]; etwas anderes ist es, eine Bombe auf eine Stadt mit Kindern zu werfen und alle sofort zu töten. Besteht da ein Unterschied?«

      »Ja.«

      »Wir bringen einander um, weil in Russland die einen die Wahrheit so, die anderen anders verstehen. Das ist sowohl Blutbad als auch Erkenntnis.«

      »Eine Erkenntnis, ja«, wiederholte Sascha, »so eine Erkenntnis, dass…«

      »Ja, genau so eine.«

      Die Jungs gingen zum Pissen nach draußen, Negativ blieb, um den noch nicht getrunkenen Wodka und die restlichen, kalt gewordenen Pelmeni zu bewachen.

      Der Platz zum Austreten[102] befand sich direkt hinter dem Café und war wegen des beißenden Gestanks leicht zu finden.

      Sie traten nicht in den Matsch, sondern stellten sich zu dritt an die graue Mauer irgendeines Gebäudes neben dem Café. Sie standen einer kleinen Erhöhung gegenüber und alles floss zu ihnen zurück. Der Urin der Jungs rann perlend zu einem Bach zusammen.

      Erleichtert, frisch und gut gelaunt kamen sie zurück.

      »Noch ein Bier?«, schlug Sascha vor.

      »Na klar«, antwortete Wenja. Rogow nickte.

      Als Sascha mit den Flaschen zurückkam, stand der unrasierte Mann im Kampfanzug bereits am Tisch und – schwieg. Der linke Ärmel seiner Jacke hing herab, tatsächlich fehlte ihm ein Arm.

      »Ich hab gehört, ihr redet da …« Er artikulierte mühsam, schwieg, stockte.

      »Sehr richtig«, setzte