Захар Прилепин

Sankya / Санькя. Книга для чтения на немецком языке


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…«

      Der vor ihm Sitzende nahm die Hände vom Gesicht. Sascha sah, dass es ein Kaukasier war, ein junger, fast noch ein Kind, aber in Lederjacke, mit spitzen Stiefeletten und in Jeans.

      »Was – Scheiße noch mal – tust du hier?«, fragte Sascha heiser und beinahe naiv. Der Bursche schaute verblüfft – entweder erschrocken oder frech.

      Sascha atmete nochmals tief ein, senkte den Kopf und ließ die heiße Zunge heraushängen, die ganz süß schmeckte.

      »Rück zur Seite …«, sagte Sascha, setzte sich neben den Jungen und fasste ihn an der Schulter. »Scheiß dich nicht an. Wir bleiben jetzt hier sitzen und gehen dann … Wo sind meine Freunde, Scheiße nochmal … Weißt du nicht, wo meine Freunde sind?«

      »Nein.«

      »N-a-i-n«, äffte Sascha nach. »Wie heißt du?«, fragte er nach einer Pause.

      »Sascha.«

      »Ich heiße auch Sascha. Nur bist du nicht Sascha, sondern irgendein Sacha. Alchu. Aslachan. Richtig?«

      Er bekam keine Antwort.

      Sascha hatte die höchst russische Angewohnheit, im Suff sinnlose Gespräche zu führen.

      »Woher kommst du?«

      »Jerewan.«

      »Oh …«, sagte Sascha unbestimmt. »Wieso habt ihr begonnen, uns zu prügeln, ha? Sacha!«

      »Ich weiß nicht. Ich bin später gekommen.«

      »Verspätet«, ätzte Sascha. »Ach was, sei nicht beleidigt …«, sagte er und schwieg wieder. »… wir machen Revolution, bringen alle Arschlöcher um – dann komme ich zu dir nach Almaty und wir trinken Tee auf der Veranda.«

      »Ich bin aus Jerewan.«

      »Wir kommen zu dir nach Teheran.« Sascha stellt sich weiter dumm, obwohl er alles verstanden hatte. »Wir werden Tee trinken auf der Veranda. Hast du eine Veranda?«

      »Still … Da geht jemand …«

      Eine Minute später leuchtete ihnen eine Taschenlampe ins Gesicht.

      »Aufstehen«, sagte der Milizionär.

      Es waren zwei Mitarbeiter des Patrouillendienstes, und zusätzlich ein Marktwächter, ein alter Mann.

      Sie legten Sascha Handschellen an, Sacha auch.

      Obwohl die Milizionäre bei Letzterem kurz zögerten.

      »Und den?«, fragte der eine.

      »Ja, was?«, antwortete der zweite ohne besonderen Nachdruck in der Stimme »Wohin mit ihm? Nehmen wir ihn auch mit.«

      Sie führten die Verhafteten zum Patrouillenauto, das direkt zum Haupttor des Marktes gefahren war.

      Sie öffneten die hinteren Türen der grünen Minna[111], setzten sie einander gegenüber in den Käfig hinter dem Rücksitz, dann schlugen sie fünf Mal die Tür zu, die sich nicht schließen lassen wollte.

      Wenn Sascha bei Schlaglöchern hochgeschleudert wurde und in den Kurven umkippte, berührte er mit der Stirn die Stoffverkleidung des Fahrzeuges. Mit einer gewissen Nüchternheit dachte er, dass sein freies Leben jetzt beendet war.

      Sie bringen ihn jetzt dorthin, und im Laufe der Überprüfung wird sich rasch herausstellen, dass er in Moskau randaliert hatte, und das würde dann das Ende sein.

      Es gelang ihm nicht, ernsthaft darüber zu erschrecken.

      Man brachte sie aufs Revier. Aus dem verglasten Wachzimmer, in dem ein schnauzbärtiger Milizhauptmann am Telefon sprach, während er mit einem Löffel den Tee umrührte, kam ein schläfriger, sich vor Müdigkeit streckender Milizsergeant heraus, offenbar der Assistent des Diensthabenden …

      Sascha betrachtete mürrisch die violetten Wände der Abteilung, die alten, sich an der Oberfläche wellenden Tische[112]; wieder dachte er, dass er sich sein ganzes Leben lang daran erinnern würde.

      Und außerdem dachte er, dass es noch – wie letztes Mal – die Möglichkeit gab, auszureißen, durch die offene Tür hinauszulaufen, in irgendeinen Hof zu verschwinden, irgendwohin … aber irgendwie hatte er weder Kraft noch Lust dazu.

      Man nahm Sascha die Handschellen ab, und er rieb sich, wie jeder Mensch, dem man die Handschellen abnimmt, die Handgelenke.

      »Auch vom Bahnhof ?«, fragte der Sergeant die vom Patrouillendienst so leise, als sei er sehr müde.

      »Vom Bahnhof …«, antworteten sie.

      »Haben wir Waffen, Drogen, spitze und scharfe Gegenstände?«, fragte der Sergeant Sascha und den kaukasischen Jungen.

      Der Kaukasier schüttelte den Kopf.

      »Hab alles bei der Verhaftung weggeworfen«, antwortete Sascha und verstand am melancholischen Gesichtsausdruck des Sergeanten, dass auch der diesen Scherz schon hunderte Male gehört hatte.

      Sie mussten den Inhalt ihrer Taschen auf den Tisch legen. Sascha hatte nichts bei sich, der Kaukasier ein Handy und einen fetten Geldbeutel.

      Sie klopften Sascha an den Seiten, Beinen und Arschbacken ab, überprüften die Ärmel, baten, die Hosenbeine anzuheben, um zu sehen, ob er nicht in den Schuhen verbotene Gegenstände bei sich trug.

      Ein Riegel wurde scheppernd zurückgezogen, man schob Sascha in einen kleinen Raum, der auf drei Seiten von einer Steinmauer und an der vierten von einem Gitter begrenzt war.

      Sascha sah Wenja, Negativ und Rogow sofort.

      Wenja und Negativ saßen in der Hocke – es gab weder Stühle noch Bänke im Raum. Rogow stand, er lehnte sich an die grün gestrichenen Stäbe. Durch die Stäbe hindurch waren ein Tisch und ein Safe zu sehen, in das der Sergeant den Geldbeutel und das Handy des Kaukasiers legte.

      »Oho, Sanja haben sie auch gefesselt!«, sagte Wenja und lächelte. Auch Rogow lächelte.

      Negativ hob den Kopf und schüttelte ihn – Sascha verstand nicht, was er damit sagen wollte.

      »Was machst du denn hier, Täubchen?«, fragte Wenja jemanden, der hinter Sascha stand.

      Sascha drehte sich um und sah, dass sie nach ihm den Jungen aus dem Kaukasus hineingestoßen hatten.

      Der blickte sich suchend um, wo er unterkommen könnte, so weit wie möglich entfernt von den anderen, die bereits in der Zelle waren.

      Neben Saschas Genossen saß hier noch auf dem Boden, das Gesicht auf die Knie gedrückt, ein besoffener Penner mit zugeschwollener Visage und einem kraushaarigen, verdreckten Kopf.

      Der Kaukasier blieb bei der Tür stehen, die mit einem Knall geschlossen wurde.

      »Heißt das, sie haben nur uns erwischt?«, fragte Sascha, dem vom Anblick der Genossen gleich leichter ums Herz wurde.

      »Genau das«, sagte Wenja.

      »Haltet alle das Maul, wie oft soll ich das noch sagen!«, schrie plötzlich der Sergeant; das Geschrei ließ den Penner seine geschwollene Fresse mit dem Hämatom heben. Er stützte sich mit dem Rücken gegen die Wand ab, stand schwerfällig auf und ging – mühsam das Gleichgewicht haltend – fast bis zum Gitter, von wo aus der Tisch und der erboste Sergeant zu sehen waren.

      »Warum bin ich hier, Chef ? Mach auf, du Widerling!«, schrie der Kerl.

      Der Assistent stieß einen Fluch aus, knallte die Tür zu, und ging in den benachbarten Raum, offenbar das Wachzimmer.

      »Siehst Du, Sanja«, sagte Wenja und deutete in Richtung Sergeant, »entweder flüstert er oder er schreit, normal sprechen kann er nicht. Dieser Mongo.«

      Der Penner schrie noch eine Weile und trat dabei gegen das Gitter.

      »Setz dich, Väterchen«, bat ihn Negativ.

      »Gut, aber wo sind eigentlich unsere Brüder aus dem Süden geblieben?« Sascha konnte sich nicht beruhigen.

      »Sie haben sie gleich wieder freigelassen«, antwortete