überdrüssig, und will mich nicht zu Tode hetzen lassen, wie —«
»Abscheuliche Megäre!« murrte das Männlein, ganz erstaunt über diesen Widerstand. »Ich glaube wahrlich, dass ich sie fortschicken muss, obschon sie unübertreffliche Krebssuppe und Rebhühnerpasteten macht. Aber der verwünschte Jagdhund darf mir auf keinen Fall ins Haus; ich will für dieses Mal nachgeben, später werde ich schon mein Recht behaupten. Marianne,« sagte er gelassener, »ich finde es natürlich, dass Sie mein Verlangen sonderbar finden; aber hören Sie nur. Sie sehen den Hund hier . . ."
»Freilich sehe ich ihn!« sagte die Haustyrannin, die in demselben Grade an Kraft gewann, als ihr Herr daran verlor.
»Er ist mir gegen meinen Willen von der Dragonerkaserne nachgelaufen; ich weiß nicht wie ich mich seiner entledigen soll, und ich dachte, Sie könnten ihn fortjagen, während ich ins Haus gehe.«
»Ein Hund!« eiferte Marianne. »Und wegen eines Hundes belästigen Sie eine ehrsame Jungfer, die seit zehn Jahren in Ihren Diensten steht? Ich will Ihnen zeigen wie man die Hunde fortjagt.«
Marianne verschwand vom Fenster.
Der Chevalier glaubte, sie komme hinunter, um ihm bei der beabsichtigten glimpflichen Forttreibung des Hundes behilflich zu sein, und trat wieder an die Tür. Der Jagdhund schien seinerseits entschlossen, die Bekanntschaft eines Mannes, aus dessen Tasche so gute Stücke Zucker kamen, zu kultivieren, und folgte ihm mit herzgewinnender Freundlichkeit.
Plötzlich wurde der Hausherr durch eine herabstürzende gewaltige Wasserflut von dem Hunde getrennt. Ein aus dem Fenster sich ergießender Rheinfall, ein Niagara überschwemmte sie Beide.
Der Jagdhund lief heulend davon. Der Chevalier zog seinen Hausschlüssel aus der Tasche, schloss die Tür auf und überschritt die Schwelle in einem leicht begreiflichen Zustande der Entrüstung, in dem Augenblicke, als Marianne die etwas verspätete Warnung hören ließ:
»Nehmen Sie sich in Acht, Herr Chevalier!«
III
Das Haus des Chevalier de la Graverie von außen und innen
Das Haus Nr. 9 in der Rue des Lices stand zwischen Hof und Garten; aber der Hof war nicht wie gewöhnlich vor dem Hause und der Garten hinter demselben, sondern der Hof war links und der Garten rechts. Das Haus stand dicht an der Straße.
Man nahm gewöhnlich den Weg über den Hof, dessen einzige Zierde ein seit zehn Jahren nicht beschnittener und sich am Giebel des Nachbarhauses hinauf schlängelnder Weinstock war; die üppig wuchernden Reben erinnerten an die Urwälder der neuen Welt.
Der Hof war mit Sandsteinen gepflastert, aber das Gras, durch die Feuchtigkeit des Bodens und den Schatten der Dächer begünstigt, war so dicht aus den Fugen hervorgewachsen, dass es eine Art Schachbrett en relief bildete, dessen Felder durch die Pflastersteine gebildet waren. Leider war der Chevalier de la Graverie kein Schach- oder Damenspieler, und es war ihm daher nicht in den Sinn gekommen, aus diesem Umstand, der einem Méry oder Labourdonnais große Freude gemacht haben würde, Nutzen zu ziehen.
Das äußere Ansehen des Hauses war so kalt und traurig, wie die meisten Wohnungen in den alten französischen Städten. Der Mörtel hatte sich stellenweise abgelöst, und das Gemäuer war zu sehen. Die Vorderseite des Hauses war da. her mit einem durch Hautkrankheit entstellten Gesicht zu vergleichen. Die Fensterrahmen waren schwärzlich, die Scheiben klein und von grünem Glas.
So lange man erst durch den Hof gegangen war, und im Erdgeschoss stehen blieb, musste man in die offene Küche einen Blick werfen, um einen einigermaßen respektablen Begriff von dem Hausherrn zu bekommen; denn man bemerkte einen weißen Porzellanofen, sauber und blank wie der Fußboden eines holländischen Wohnzimmers. Neben dem Ofen stand ein großer Herd, auf welchem lange Holzscheite, wie zur Zeit unserer Altvorderen, brannten, und ein Bratspieß drehte sich mittelst jener klassischen Mechanik, die das Klappern einer Mühle so anziehend nachahmt. Ein Rost mit glühenden Kohlen gab Zeugnis von dem geläuterten Geschmack des Chevalier de la Graverie, der wohl wusste, dass ein saftiger Rostbraten nicht in einem Ofen von Eisenblech bereitet werden soll. An der Wand hingen ein Dutzend nach Form und Größe geordneter Kasserolle, die täglich blank geputzt wurden, wie Kanonen eines Linienschiffs ersten Ranges; von dem großen unverzinnten Kessel, der für Marmelade und Konfitüren bestimmt ist. bis zu den winzig kleinen Gefäßen, in denen die Kraftsuppen, Spiegeleier, Krammetsvögel und andere Produkte der höheren Kochkunst zubereitet werden.
Wer da wusste, dass der Chevalier de la Graverie allein, ohne Weib und Kind, ohne Hund und Katze, ohne irgend einen Tischgenossen lebte, und dass seine ganze Dienerschaft aus der alten Haushälterin Marianne bestand , erkannte an, diesem Küchenarsenal den Feinschmecker, den raffinierten Esskünstler eben so leicht, wie man im Mittelalter an den Schmelztiegeln, Retorten, Destillierkolben und ausgestopften Eidechsen einen Alchimisten erkannte.
Außerdem bestand das Erdgeschoss aus einer kleinen, mit Steinplatten gepflasterten Hausflur, einem geräumigen Speisezimmer und einem Salon, der nur zweimal jährlich, wenn der Herr vom Hause Gäste hatte, geheizt wurde. Für diese» Fall stand auf der Hausflur eine hölzerne Bank für die wartende Dienerschaft.
Die beiden Zimmer des Erdgeschosses entsprachen in ihrem vernachlässigten Zustande vollkommen der Außenseite des’ Hauses. Der Fußboden war aufgesprungen und höckerig, der^ Plafond grau und schmutzig, die zerrissenen, beschmutzten Tapeten bewegten sich, wenn der Windbruch die selten geöffnete Tür drang.
Die ganze Einrichtung des Speisezimmers bestand aus sechs weiß angestrichenen Stühlen, einem großen Tische von Nussholz und einem Speiseschrank.
Im Salon standen drei Armsessel und sieben Stühle von verschiedenen Formen und Farben, und eine mit harten Polstern belegte Bank hatte sich unbefugter Weise den Namen und» Platz eines Sofas angemaßt. Die übrige Ausschmückung dieses sogenannten Empfangszimmers, welches der Herr vom Hause außer den oben genannten Fällen nie betrat, bestand in einem runden Tische, zwei Armleuchtern, einer stillstehen» den Stockuhr, einem aus zwei Stücken zusammengesetzten Spiegel und aus Vorhängen von rot und gelb gestreiftem Calicot.
Aber im ersten Stocke sah es anders aus. Der erste Stock wurde freilich von dem Chevalier de la Graverie persönlich bewohnt; dorthin würde der von der Küche ausgehende Faden in gerader Linie geführt haben, wenn das Labyrinth der Rue des Lices eine Ariadne gehabt hätte.
Man denke sich drei Zimmer mit der bis in die kleinsten Details sich erstreckenden Sorgfalt und der behaglichsten Koketterie möbliert, welche die Modedamen und die alten reichen Witwen so sehr lieben.
Jedes dieser auf Komfort und Verschönerung des Lebens berechneten Zimmer hatte sein eigentümliches Gepräge, seine besondere Bestimmung. Im Salon waren die eleganten, modernen Möbeln an allen Teilen, welche die kleine runde Person des Herrn vom Hause zu tragen bestimmt waren, sorgfältig mit Überzügen verwahrt; ein Bücherschrank von schwarzem Holz mit Kupfer ausgelegt, war mit rot eingebundenen, und nur selten inkommodierten Büchern angefüllt; eine Tischuhr stellte die Aurora auf ihrem Wagen dar, dessen Räder das Zifferblatt bildeten; zu beiden Seiten derselben standen zwei große Armleuchter; die Vorhänge waren von demselben dicken Wollstoff, der die Möbeln bedeckte, und würden hinsichtlich der geschmackvollen Draperie dem elegantesten Pariser Boudoir zur Zierde gereicht haben. Die Spuren von Vergoldung an dem weißen Getäfel bewiesen, dass die früheren Bewohner des Hauses noch mehr auf Eleganz gehalten hatten, als der Chevalier de la Graverie.
Im Schlafzimmer erregte das monumentale Bett sowohl hinsichtlich der Breite als der Höhe die Aufmerksamkeit. Dieses Bett war so hoch, dass man sich des Gedankens nicht erwehren konnte, wer darin schlafen wolle, müsse es mittelst einer Leiter ersteigen. Wer diesen Berg von Flaum, Watte und Wolle glücklich erstiegen hatte, musste von diesem mit dreifachen Vorhängen umgebenen Nest die ganze Position beherrschen; von dort konnte er alle Winkel des Zimmers übersehen, die Armsessel, Stühle, Sofas, Wärmpfannen, Polster und Fuchsfelle mustern. Der Fußboden war mit einem weichen, dicken Teppich belegt. Einige Armsessel, Stühle und Polster waren für den Winter mit Samt, andere für den Sommer mit Leder überzogen. Alle Möbeln aber waren zierlich und auf Bequemlichkeit berechnet. Dieses von der Straße am weitesten entfernte Zimmer war dem Garten zugewandt, so dass der Schläfer durch kein Wagengerassel,