Sie sich nicht in diese Angelegenheit, mein Herr,« sagte er zum Mönche. »Ich bin das Opfer eines Irrthums, und morgen, dessen bin ich sicher, werde ich in Freiheit gesetzt werden.«
Der Mönch verbeugte sich vor dieser Ermahnung, die er wie einen Befehl empfing, und machte einen Schritt rückwärts.
»Gewiß,« sprach Gibassier; »täuschen wir uns, so wird Ihnen Ihr Recht widerfahren.«
»Und vor Allem,« fragte Sarranti, »kraft welchen Befehles verhaften Sie mich ?«
»Kraft eines Vorführungsbefehles gegen einen gewissen Herrn Dubreuil, der Ihnen so sehr gleicht, daß ich meine Pflicht zu verletzen glauben würde, wenn ich mich Ihrer nicht versicherte.«
»Und warum, wenn Sie den Scandal so sehr befürchten, verhaften Sie mich eher hier als anderswo?«
»Weil man die Leute verhaftet, wo man sie trifft!« antwortete Carmagnole.
»Abgesehen davon, daß wir Ihnen seit heute Morgen nachlaufen,« fügte Gibassier bei.«
»Wie, seit heute Morgen?«
»Ja,« erwiderte Carmagnole, »seitdem Sie das Hotel verlassen haben.«
»Welches Hotel?« fragte Sarranti.
»Das Hotel der Place Saint-André-des-Arcs,« sagte Gibassier.
Bei dieser letzten Bezeichnung durchzuckte es wie ein Blitz den Geist von Sarranti. Es schien ihm, er sehe auf dem Gesichte, er höre in der Stimme von Gibassier Züge und Töne, die ihm nicht unbekannt waren.
Dann lehrte Alles in sein Gedächtniß zurück, die Reise, der Ungar, der Courier mit den Depechen, der Postillon, Alles dies unbestimmt wie durch eine Wolke, dennoch aber klar genug, daß er mehr instinctartig als anders keinen Zweifel hegte.
»Elender!« rief der Corse erbleichend wie ein Todter, indem er die Hand unter seinen Rock steckte.
Gibassier sah die Klinge eines Dolches glänzen, und der Tod wäre vielleicht auf diesen Strahl mit derselben Geschwindigkeit gefolgt, mit der der Donner auf den Blitz folgt, hätte nicht Carmagnole, der die Bewegung gesehen und begriffen hatte, mit beiden Händen die Hand, welche die Waffe hielt, gepackt.
Da er sich zugleich von den beiden Händen gepreßt fühlte, so machte sich Sarranti, Alles zusammenraffend, was der menschliche Wille an Stärke in einem äußersten Augenblicke geben kann, von dem doppelten Drucke los, sprang, den Dolch in der Hand, mitten unter eine compacte Gruppe und rief :
»Gebt Raum! gebt Raum!«
Doch Gibassier und Carmagnole sprangen hinter ihm und hatten überdies durch einen verabredeten Ruf an alle ihre Gefährten appelliert.
In einem Augenblicke bildete sich ein undurchdringlicher Kreis um Sarranti, zwanzig Casse-têtes waren aufgehoben, und ohne Zweifel sollte er erschlagen wie ein Stier unter dem Schlagbeile der Fleischer niederstürzen, als eine Stimme erscholl, welche rief:
»Lebendig! man greife ihn lebendig.«
Die Agenten erkannten die Stimme, der man so gut gehorchte, von Herrn Jackal und stürzten sich, da sie wußten, sie kämpfen unter den Augen ihres Chefs, auf Herrn Sarranti.
Es herrschte einen Augenblick ein entsetzliches Gemenge. Ein Mann zerarbeitete sich aufrecht stehend unter zwanzig Männern; dann fiel er auf ein Knie; dann verschwand er gänzlich.
Als er seinen Vater zum zweiten Male fallen sah, eilte ihm Dominique zu Hilfe; doch die Menge, welche Angstschreie ausstoßend entfloh, wälzte sich in diesem Momente wie ein Strom nach der Straße und trennte den Sohn vom Vater.
Um nicht fortgerissen zu werden, klammerte sich der Mönch an das Gitter eines Hotels an; als aber die Menge sich verlaufen hatte, waren Herr Sarranti und die häßliche Gruppe, unter der er sich zerarbeitete, verschwunden.
IX
Die officiellen Journale
Wir haben einige Proben von den Scenen gegeben, welche die Polizei von Herrn Delavau am 30. März des Jahres der Gnade 1827 spielte.
Woher kam dieser Scandal! was war die Ursache dieser seltsamen, gegen die sterblichen Ueberreste des edlen Herzogs verübten Entheiligung?
Niemand wußte es.
Das Ministerium konnte Herrn de la Rochefoucauld-Liancourt die Aufrichtigkeit seiner Gesinnung nicht vergeben. Ein la Rochefoucauld der Opposition angehören und mit ihr stimmen! wahrhaftig, das war ein Verbrechen der beleidigten Majestät, und das Ministerium durfte es nicht versäumen, es zu bestrafen.
Man vergaß den la Rochefoucauld der Fronde. Dieser war allerdings bestraft worden , zuerst durch einen Büchsenschuß mitten ins Gesicht, sodann durch eine Untreue mitten ins Herz.
Das Ministerium hatte, in der That Herrn de la Rochefoucauld, – dem modernen, wohlverstanden, – alle seine unentgeldliche Functionen, und alle die aus Wohlthätigkeitsanstalten bezügliche, die er übte, entzogen; doch nicht damit zufrieden, daß es ihn in seinem Leben verletzt, wollte es ihn auch noch in seinem Tode dadurch schlagen, daß es die dankbare Menge verhinderte, durch einen äußerlichen Act die Ehrfurcht und die Liebe kundzutun, die der Bevölkerung von Paris die lange Laufbahn des Herzogs eingeflößt hatte, welche ausschließlich dem materiellen und moralischen Wohle: dem Almosen und dem Unterrichte, gewidmet war.
Die Menge wußte also, woher der Befehl kam, und ganz laut nannte sie Herrn von Corbière, den man, mit Recht oder mit Unrecht, zum Sündenbocke des Ministeriums von 1827 gemacht hatte.
Wir werden, in der Folge dieser Erzählung die entsetzlichen Scenen der Unordnung, die fehlgeschlagenen Ausstände sehen, welche von der Polizei herrührten. Für den Augenblick halten wir die Hauptscenen von diesem Tage für genügend, um eine Idee von dem entsetzlichen Gemenge und dem blutigen Kampfe zu geben, wozu die Obsequien des ehrwürdigen Herzogs veranlaßten.
Sagen wir, welche Ursachen diesen Strom von Männern, Frauen und Kindern, der Dominique von Herrn Sarranti, den Vater vom Sohne trennte, austreten gemacht hatten.
In dem Augenblicke, wo der Aufruhr aufs Höchste gestiegen war, in dem Momente, wo sich das Todesgeschrei, das Gebrülle der Männer, die Wehklagen der Frauen, das Wimmern der Kinder von allen Seiten hörbar machten, das heißt, wo die Soldaten, mit gefällten Bajonneten auf die Zöglinge der Schule von Chalons zu marschierend, mit Gewalt sich des Sarges bemächtigen wollten, ertönte plötzlich kläglich ein durchdringender Schrei, gefolgt von einem unheimlichen Geräusche, und durch diesen Schrei, durch dieses Geräusch wurden auf der Stelle und wie durch ein Wunder alles Geschrei, alle Geräusche, alles Gebrülle, dieses menschlichen Oceans gehemmt.
Es trat ein Augenblick erschrecklicher Stille ein; man hätte glauben sollen, das Leben sei gleichzeitig aus jeder Brust entschwunden.
Dieser Schrei war von den Fenstern ausgegangen, welche wie Logen über dem Theater angebracht waren, wo das ruchlose Drama gespielt wurde.
Dieser Schrei, die Menge hatte ihn ausgestoßen, als sie einen von den jungen Leuten, welche den Sarg trugen, vom Bajonnet eines Soldaten verwundet sah; dieses unheimliche Geräusch, das man gehört, war das dumpfe Geräusch vom Sarge des Herzogs, der, im Kampfe von den Soldaten nach rechts gezogen, von den jungen Leuten nach links gezogen, schwer auf das Pflaster niederfiel.
In demselben Augenblicke, als hätte der Blitz mitten unter sie geschlagen, traten die Zuschauer dieser gräßlichen Sirene, von einem unsäglichen Schrecken ergriffen zurück und ließen in dem ungeheuren leeren Raume, der sich bei ihrem Rückzuge bildete, die jungen Leute ganz bestürzt allein.
Schlecht gedeutet den denjenigen, welche die Erschütterung fühlten, ohne ihre Ursache zu kennen, veranlaßte diese Bewegung die Lawine, die wir in alle anliegende Straßen und besonders in die Rue Mondovi sich haben wälzen sehen.
Einer von den jungen Leuten lag auf dem Boden beim Sarge: er hatte einen Bajonnetstich in die Seite bekommen. Seine Gefährten hoben ihn in ihren Armen auf und trugen ihn in ihren Reihen fort.
Man konnte seinem Wege nach der Blutspur, die er zurückgelassen, folgen.
Der Officier, der Polizeicommissär und die Soldaten