wir zwölf.«
»Zwölfhundert Franken jährlich . . . für mich allein? . . . Mein Freund, ich werde zu reich sein!«
»Desto besser . . . Sie werden den Ueberfluß den Armen schenken, Justin! es gibt überall Arme . . . Fünf Jahre zu zwölfhundert Franken jährlich, das macht sechstausend Franken. Hier sind sechstausend Franken!«
»Aber wer gibt denn all dieses Geld, Salvator?«
»Die Vorsehung, an der Sie vorhin zweifelten, mein Freund, als Sie sagten, Mina werde ihren Vater nicht wiederfinden.«
»Ah! wie danke ich Ihnen!«
»Nicht mir müssen Sie danken, mein lieber Justin: Sie wissen, daß ich arm bin.«
»Es kommt mir also von einem Unbekannten all dieses Glück zu?«
»Von einem Unbekannten? Nein.«
»Von einem Fremden also?«
»Nicht ganz.«
»Aber, mein Freund, kann ich so einunddreißig tausend Franken annehmen?«
»Ja,« erwiderte Salvator mit einem gewissen Ausdrucke des Vorwurfs, »da ich sie Ihnen antrage.«
»Verzeihen Sie, das ist wahr . . . ich bitte hundertmal um Vergebung!« rief Justin, beide Hände seines Freundes drückend.
»Nun wohl also, heute Nacht . . . «
»Heute Nacht?« wiederholte Justin.
»Heute Nacht entführen wir Mina, und Sie reisen ab.«
»Oh! Salvator!« rief Justin, das Herz von Freude überströmt, die Augen, voller Thränen, und als ob er gerufen hätte: »Mein Bruder!«
Sodann, wie es der arme Schulmeister gemacht hätte, wenn ein Schutzgöttin sein Zimmer herabgestiegen wäre, faltete Justin die Hände und betrachtete lange Salvator, den er kaum seit drei Monaten kannte, und der ihn, ihn den Unbekannten, die unaussprechlichen Freuden der Seele hatte kosten lassen, die er vergebens seit neunundzwanzig Jahren von der Vorsehung forderte!
»Ah!« rief plötzlich Justin mit einer gewissen Bewegung des Schreckens, »und ein Paß?«
»Oh! was das betrifft, bekümmern Sie sich nicht darum, mein Freund: hier ist der von Ludovic. Sie haben denselben Wuchs wie er, Sie haben Haare fast von derselben Farbe; das Uebrige ist gleichgültig: bis auf den Wuchs und die Haare gleichen sich fast alle Signalements, und stoßen Sie nicht an der Grenze auf einen Gendarmen, der zugleich Colorist ist, so haben Sie durchaus nichts zu befürchten.«
»Dann habe ich mich nur noch um einen Wagen zu bekümmern.«
»Ihr Wagen wird Sie bespannt heute Abend, fünfzig Schritte von der Barrière Croulebarbe, erwarten.«
»Sie haben also an Alles gedacht?« »Ich glaube es wenigstens,« erwiderte lächelnd Salvator.
»Nur nicht an meine armen kleinen Schüler,« sprach Justin, mit einer Art von Gewissensvorwurf den Kopf schüttelnd.
In diesem Augenblicke klopfte man dreimal an die Thüre.
»Mein Freund,« sagte Salvator, »ich weiß nicht warum es mir scheint, die Person, welche so eben geklopft hat, bringe die Antwort auf Ihre Frage.«
Auf die Art, wie er gestellt war, hatte Salvator in der That können den guten Herrn Müller den Hof durchschreiten sehen.
Justin öffnete und stieß einen Freudenschrei aus, als er den alten Mitschüler von Weber erkannte, der ihm, nach einem Gange auf den äußeren Boulevards, seinen Morgenbesuch machte.
Man unterrichtete ihn von der Lage; und als Herr Müller ausgesprochen hatte, welches Glück ihm diese Nachricht bereite, sagte Salvator:
»Es gibt nur Eines, was Justin vollkommen glücklich zu sein verhindert.«
»Was, Herr Salvator?«
»Ei! mein Gott! er fragt sich, wer ihn in seiner Abwesenheit bei seinen armen kleinen Schülern ersetzen werde.«
»Nun,« erwiderte einfach der gute Müller, »bin ich nicht da?«
»Sagte ich Ihnen nicht, mein lieber Justin, die Person, welche an Ihre Thüre klopfe, bringe Antwort?«
Justin warf sich auf beide Hände von Herrn Müller und küßte sie voll Dankbarkeit.
Es wurde verabredet, noch an demselben Tage sollte Herr Müller die Schüler empfangen, da sich Justin in einer Lage des Körpers und des Geistes befinde, die ihm nicht erlaube, seine Klasse zu machen.
In den Ferien würde man den Schülern ankündigen, da die Abwesenheit von Justin sich auf unbestimmte Zeit zu verlängern drohe, so sollten die Eltern den ganzen Monat September benützen, um für ihre Kinder einen andern Lehrer zu suchen.
Salvator entfernte sich und überließ Herrn Müller die Sorge, die Klasse zu machen, und Justin die, Madame Corby und seine Schwester Céleste auf die Veränderung vorzubereiten, welche vorgegangen war, oder die vielmehr in ihrer Existenz in dem Augenblicke, wo sie es am wenigsten dachten, vorgehen sollte; dann eilte er die Rue Saint-Jacques hinab, und auf den Schlag neun Uhr lag er in der Morgensonne ausgestreckt, in der Rue aux Fers, bei der Schenke zur Goldenen Muschel, wo wir la Gibelotte eine so fantastische Rechnung seinem Busenfreunde Croc-en-Jambe haben machen sehen.
Salvator hatte, wie man sieht, seinen Tag ziemlich gut angefangen; wir werden im folgenden Kapitel erfahren, wie er ihn vollendete.
XII
Der Abend eines Commissionärs
Am Abend, zur genannten Stunde, hielt die Reisecaleche, durch den Stellmacher vollkommen in den Stand gesetzt, etwa fünfzig Schritte von der Barrière Croulebarbe.
Der Postillon, der mit verhängten Zügeln und zehn Minuten vor der verabredeten Stunde herbeigekommen war, glaubte Anfangs an eine Mystifikation, als er sah, daß die Personen, die ihn mit solcher Eile hatten kommen lassen, nicht nur sich nicht beim Rendez-vous fanden, sondern sogar nicht einmal Miene machten, zu erscheinen.
Nach einigen Minuten indessen, als er zwei junge Leute erblickte, welche mit raschen Schritten herbeikamen und Arm in Arm gingen, schwang sich der Postillon, der von seinem Pferde gestiegen war, wieder in den Sattel und hielt sich unbeweglich, ohne den Kopf zu drehen, wie ein Postillon von Stein.
Salvator und Justin näherten sich dem Wagen, Roland voran, der, so schnell sie auch marschierten, noch schneller als sie marschierte.
Salvator öffnete den Schlag, ließ den Fußtritt herunter und sagte zu Justin:
»Steigen Sie ein!«
Als er dieses einzige Wort hörte, wandte sich der Postillon um, als hätte er einen elektrischen Schlag gefühlt, und denjenigen, welcher es ausgesprochen, sehend und erkennend, wurde er scharlachroth vor Vergnügen.
Er nahm langsam seinen Hut ab und begrüßte Salvator mit einem freudigen und zugleich ehrerbietigen guten Morgen.
»Guten Morgen, mein Freund!« erwiderte lächelnd Salvator, indem er dem Postillon seine feine, aristokratische Hand reichte; »wie befindet sich Dein wackerer alter Vater?«
»Vortrefflich, Herr Salvator,« antwortete der Postillon; »und hätte er gewußt, Sie reisen, so würde er Sie trotz seiner sechsundsiebzig Jahre selbst geführt haben.«
»Es ist gut; ich werde ihn dieser Tage besuchen. Er wohnt immer noch in der Bastille?«
»Bei Gott!« erwiderte stolz der Postillon, »wer hat das Recht darin zu wohnen, wenn nicht er?«
»In der That, Das ist wahr,« sprach Salvator; »es ist doch das Wenigste, daß ein Eroberer den Platz bewohnt, den er erobert hat!«
Sodann hinter Justin einsteigend, der es sich schon im Wagen bequem gemacht hatte, fragte er seinen Hund:
»Willst Du einsteigen, Roland?«
Roland schüttelte den Kopf.
»Nein?« fuhr Salvator fort;