Иван Гончаров

Oblomow


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und sein Bewußtsein würde Gott weiß wohin fortfliegen, aber plötzlich erwachte Ilja Iljitsch und öffnete die Augen.

      »Ich habe mich ja nicht gewaschen! Das geht doch nicht! Ich habe ja auch noch nichts gethan,« flüsterte er. »Ich wollte den Plan aufs Papier bringen, habe es aber nicht gethan, habe weder dem Kreisrichter, noch dem Gouverneur geschrieben, habe einen Brief an den Hausherrn angefangen und ihn nicht beendigt, habe die Rechnungen nicht durchgeschaut und kein Geld herausgegeben – der ganze Morgen ist verloren gegangen!«

      Er sann nach. . .

      »Was ist denn das? Und der »andere« würde das alles gethan haben!« tauchte es in seinem Kopfe auf. »Der andere, der andere. . . Was ist denn das der ›andere‹?«

      Er vertiefte sich in das Vergleichen seiner selbst mit dem »anderen«. Er dachte und dachte und jetzt begann er sich über den »anderen« eine Vorstellung zu bilden, die derjenigen, die er Sachar beigebracht hatte, ganz entgegengesetzt war. Er mußte zugeben, daß der andere alle Briefe fertiggebracht hätte, ohne daß welcher und daß aufeinandergestoßen wären; der andere würde auch in die neue Wohnung übersiedelt sein, hätte den Plan verwirklicht und wäre aufs Gut gefahren.

      »Auch ich könnte ja alles das thun. . . . » dachte er. »Mir scheint, ich sollte ja auch schreiben können; ich habe doch früher compliciertere Sachen als Briefe geschrieben! Wohin ist denn mein ganzes Wissen verschwunden? Und was ist es denn für eine Kunst zu übersiedeln? Man braucht nur zu wollen! Der »andere« trägt auch nie einen Schlafrock,« ergänzte er noch die Charakteristik des anderen; »der ›andere‹ » . . . . hier gähnte er. . . . »schläft fast gar nicht. . . . Der andere genießt das Leben, kommt überall hin, sieht alles, ihn interessiert alles. . . . Und ich! ich . . . . bin nicht der ›andere‹!« – sagte er schon traurig und versank in tiefe Nachdenklichkeit. Er zog sogar den Kopf aus der Decke heraus.

      Es kam einer der klaren, bewußten Momente in Oblomows Leben. Entsetzen erfaßte ihn, als in seiner Seele plötzlich eine lebendige, klare Vorstellung von dem Schicksal und der Bestimmung der Menschen erstand, als er zwischen dieser Bestimmung und seinem eigenen Leben eine flüchtige Parallele zog und als in seinem Kopfe verschiedene Lebensfragen eine nach der andern erwachten, und furchtsam, im Durcheinander aufwirbelten, wie Vögel, die ein plötzlicher Sonnenstrahl in der schlummernden Ruine erweckt hat. Sein Mangel an geistiger Regsamkeit, das geringe Wachsthum seiner sittlichen Kräfte und die Schwere, die ihm in allem hinderlich war, kränkte ihn und stimmte ihn traurig; an ihm fraß der Neid, daß andere so voll und ganz leben, während auf den schmalen, armseligen Pfad seiner Existenz ein schwerer Stein geworfen zu sein schien. In seiner schüchternen Seele erstand das qualvolle Bewußt sein, daß viele Saiten seiner Natur gar nicht geweckt worden waren, daß einige nur sehr leise berührt wurden und keine einzige ganz ausgeklungen war. Und dabei fühlte er schmerzlich, daß in ihm wie in einem Grab etwas Schönes, Lichtes eingeschlossen war, das jetzt vielleicht schon todt war oder wie Gold in dem Schoß des Berges eingeschlossen lag und daß es schon längst Zeit war, dieses Gold in Scheidemünzen zu verwandeln. Aber dieser Schatz war schwer und tief mit Unrath und angeschwemmtem Schutt belastet. Jemand schien die ihm vom Leben und von der Welt zugedachten Schätze gestohlen und in seiner eigenen Seele vergraben zu haben. Etwas hinderte ihn daran, sich ins Leben zu stürzen und mit vollen Segeln des Verstandes und des Willens hinzufliegen. Ein heimlicher Feind hatte ihn beim Beginn seines Weges mit seiner schweren Hand belastet und ihn vom geraden Pfad der menschlichen Bestimmung weit fortgeschleudert. . . . Und ihm schien, er könnte aus dem Dickicht und der Wildnis niemals herausfinden. Der Wald um ihn herum und in seiner Seele wird immer dichter und dunkler; der Pfad verwildert immer mehr und mehr; das klare Bewußtsein erwacht immer seltener und weckt die schlummernden Kräfte nur für Augenblicke auf. Der Verstand und der Wille sind längst paralysiert und wie es scheint für immer. Die Ereignisse seines Lebens haben einen mikroskopischen Umfang angenommen, er wird aber auch damit nicht fertig; er geht nicht von einem Ereignis zum andern über, sondern wird von ihnen wie von einer Welle auf die andere geschleudert, er hat nicht die Macht, dem einen seine Willenskraft entgegenzustemmen oder sich von einem zweiten vernünftig hinreißen zu lassen. Diese heimliche Selbstbeichte erweckte in ihm ein bitteres Gefühl. Fruchtloses Bedauern der Vergangenheit, brennende Gewissensbisse verwundeten ihn wie Nadeln, und er bot alle seine Kräfte auf, um die Last dieser Vorwürfe von sich abzuschütteln, außerhalb seiner Person einen Schuldigen zu finden und auf ihn seinen Stachel zu richten. Aber auf wen?. . . »Das alles ist. . . .Sachars Schuld!« flüsterte er. Er erinnerte sich an die Details der Scene mit Sachar, und sein Gesicht erglühte vor Scham. »Wenn das jemand gehört hätte! . .« dachte er, bei diesem Gedanken erstarrend. »Gott sei Dank, daß Sachar es niemand wiedergeben kann; man würde es ihm auch nicht glauben; Gott sei Dank!«

      Er seufzte, verfluchte sich, wälzte sich von einer Seite auf die andere, suchte nach dem Schuldigen und fand ihn nicht. Sein Ächzen und Seufzen drang sogar bis an Sachars Ohren.

      »Wie der Kwaß ihn dort aufbläst!« brummte Sachar zornig.

      »Warum bin ich denn so?« fragte Oblomow sich fast weinend und steckte den Kopf wieder unter die Decke »Warum?« Nachdem er erfolglos nach einem Feind gesucht hatte, der ihn daran hinderte, wie es sich gehört, wie die »andern« zu leben, seufzte er, schloß die Augen und nach ein paar Minuten begann wieder der Schlummer seine Empfindungen allmählich zu fesseln. »Ich möchte . . . auch. . .« sagte er, mit Anstrengung blinzelnd, »irgendetwas thun. . . Hat die Natur mich denn so stiefmütterlich behandelt. . . . Aber nein, ich kann mich, Gott sei Dank, nicht beklagen. . . .« Dann folgte ein versöhnender Seufzer. Er kehrte von der Erregung zu seinem normalen Zustand, zu der Ruhe und Apathie zurück. »Das ist mein Schicksal. . . Was soll ich denn thun? . . .« flüsterte er mit Mühe vom Schlaf überwältigt. »Um zwei Tausend weniger. . .« sagte er plötzlich laut im Schlaf. »Gleich, gleich, warte. . .« und wachte halb auf. »Es wäre aber. . . .interessant zu erfahren. . . . warum ich. . . . so bin. . . .?« flüsterte er wieder. Seine Lider schlossen sich ganz. »Ja warum?. . . Wahrscheinlich. . .darum. . .« bestrebte er sich zu sagen, doch es gelang ihm nicht.

      Er kam also nicht auf die Ursache. Die Zunge und die Lippen erstarrten augenblicklich auf dem halben Satz und blieben halb geöffnet. Anstatt eines Wortes ertönte wieder ein Seufzer und dann hörte man das gleichmäßige Schnarchen eines ruhig schlafenden Menschen.

      Der Schlaf hielt den langsamen, trägen Gang seiner Gedanken auf und versetzte ihn in einem einzigen Augenblick in eine andere Epoche, zu andern Menschen, an einen andern Ort, wohin der Leser und wir ihm im nächsten Capitel folgen werden.

      IX

Oblomows Traum

      Wo sind wir? In welchen gesegneten Erdwinkel hat uns Oblomows Traum entführt? Was das für eine herrliche Gegend ist! Es gibt dort zwar kein Meer, keine hohen Berge, keine Felsen und Abgründe, keine Urwälder – nichts Grandioses, Wildes und Düsteres! Wozu braucht man denn dieses Wilde und Grandiose? Zum Beispiel das Meer! Wir brauchen es nicht! Es stimmt den Menschen nur traurig. Wenn man es anschaut, möchte man weinen. Das Herz erfüllt sich angesichts dieser unübersehbaren Gewässer mit Angst, der durch die Eintönigkeit dieses endlosen Bildes ermüdete Blick kann nirgends ausruhen. Das Brüllen und wilde Rollen der Wogen liebkosen nicht das verzärtelte Ohr. Sie murmeln seit dem Urbeginn der Welt immer ein und dasselbe düstere, räthselhafte Lied; und immer sind darin dieselben Seufzer, dieselben Klagen eines zur Qual verurtheilten Ungeheuers und dieselben durchdringenden, drohenden Stimmen zu hören. Die Vögel zwitschern nicht ringsherum; nur die schweigenden Möwen flattern gleich Verurtheilten traurig am Ufer herum und kreisen über dem Wasser.

      Das Brüllen der Thiere ist machtlos bei diesem Stöhnen der Natur, auch die Stimme des Menschen ist nichtig und der Mensch selbst ist so klein und schwach und verschwindet spurlos unter den Einzelheiten des unendlichen Bildes! Vielleicht ist das der Grund, warum der Anblick des Meeres ihn so bedrückt. Nein, wir brauchen kein Meer! Selbst dessen Stille und Reglosigkeit lassen in der Seele kein freudiges Gefühl aufkommen; in dem kaum sichtbaren Beben der Wassermasse sieht der Mensch immer dieselbe unfaßbare, wenn auch schlummernde Macht, welche seinen stolzen Willen manchmal so tückisch verhöhnt und seine kühnen Pläne und all seine Arbeit und Mühe so tief begräbt.

      Berge und Abgründe stimmen den Menschen auch nicht heiter. Sie sind drohend und furchtbar,