wir nicht ausziehen sollen! Du beurtheilst das so leichtfertig! – antwortete Oblomow, sich zusammen mit dem Sessel zu Sachar umwendend. – Hast Duʼs Dir ordentlich überlegt, was es heißt, auszuziehen he? Du hast Dir das gewiß nicht überlegt!
– Ja, ich habʼ mirʼs nicht überlegt! antwortete Sachar demüthig, bereit, dem Herrn in allem beizustimmen, um die Sache nur nicht zu pathetischen Scenen kommen zu lassen, die er wie die Pest fürchtete.
– Wenn Duʼs Dir nicht überlegt hast, dann höre zu und sage, ob wir umziehen können oder nicht. Was heißt das, umziehen? Das heißt, der Herr soll für den ganzen Tag fortgehen und soll seit dem Morgen angekleidet herumgehen. . .
– Nun, und wenn es so ist? – bemerkte Sachar, – warum sollten Sie nicht für den ganzen Tag fortgehen? Es ist ja ungesund zu Hause zu sitzen. Wie schlecht Sie jetzt ausschauen! Früher waren Sie so frisch wie eine Gurke, und jetzt, seit Sie zu Hause sitzen sehen Sie Gott weiß wie aus. Sie sollten durch die Straßen gehen, sich die Leute oder sonst was anschauen. . . .
– Sprich keinen Unsinn und höre zu, – sagte Oblomow. – Durch die Straßen gehen!
– Ja, wirklich, – fuhr Sachar mit großem Eifer fort. – Man erzählt, daß jetzt ein unerhörtes Ungeheuer gezeigt wird. Sie sollten es sich anschauen. Sie können ja ins Theater oder zum Maskenball gehen, und wir würden hier unterdessen umziehen.
– Was Du für Dummheiten sagst! Du sorgst Dich sehr um die Ruhe Deines Herrn! Ich soll mich, Deiner Meinung nach, den ganzen Tag irgendwo herumtreiben, es macht Dir nichts, daß ich Gott weiß wo und wie essen werde und nach dem Mittagessen mich nicht ausruhen kann! . . . . Sie sollen da ohne mich alles einpacken! Wenn man nicht aufpaßt, kommen nur Scherben an. Ich weiß, – sagte Oblomow mit wachsender Überzeugung, – was ein Umzug bedeutet! Das bedeutet einen Wirrwar und Lärm; man wirft alle Sachen in einen Haufen auf den Fußboden. Da ist der Koffer, die Sofalehne, da sind die Bilder, die Pfeifen und allerlei Flaschen dabei, die man sonst niemals sieht, die aber dann, der Teufel weiß woher, auftauchen! Man muß auf alles aufpassen, damit es nicht verloren und zerschlagen wird. . . Die eine Hälfte ist hier, die zweite auf der Fuhre oder in der neuen Wohnung; man will rauchen, greift nach der Pfeife, der Tabak ist aber schon fort. . . Man will sich niedersetzen, hat aber nichts wohin; wenn man etwas anrührt, macht man sich schmutzig; alles ist staubig; man kann sich nicht waschen und muß mit solchen Händen herumgehen, wie Du sie hast. . .
– Ich habe reine Hände, – bemerkte Sachar und zeigte statt der Hände etwas, das wie zwei Schuhsohlen aussah.
– Zeigʼ sie mir lieber nicht! – sagte Ilja Iljitsch sich abwendend. – Und wenn man trinken will, – sprach er weiter, – und nach der Caraffe greift, ist kein Glas da. . .
– Man kann auch aus der Caraffe trinken! – bemerkte Sachar gutmüthig.
– Ihr haltetʼs mit allem so: man kann auch nicht fegen und nicht abstauben und keine Teppiche klopfen. Und in der neuen Wohnung, – fuhr Ilja Iljitsch fort, von dem seiner Vorstellung lebhaft erscheinenden Bild des Umzuges selbst hingerissen – wird man in drei Tagen nicht fertig, alles liegt nicht auf seinem Platze, die Bilder stehen an der Wand und liegen auf dem Fußboden, die Galloschen befinden sich auf dem Bett, die Stiefel sind mit dem Thee und der Pomade in einem Bündel. Bald bemerkt man, daß der Fuß des Sessels abgebrochen ist, bald, daß das Glas auf dem Bilde zerbrochen ist, oder daß das Sofa voller Flecken ist. Es ist nichts da, wenn man nach etwas frägt, weiß niemand, wo es ist, man hat es entweder verloren, oder in der alten Wohnung zurückgelassen, jetzt muß man hinlaufen. . .
– Manchmal läuft man zehnmal hin und her, – unterbrach Sachar.
– Ja, siehst Du! – sprach Oblomow weiter. – Und wenn man in der neuen Wohnung des Morgens aufsteht, was ist das dann für eine Qual! Es gibt weder Wasser, noch Kohlen, und im Winter muß man in der Kälte sitzen, die Zimmer sind ausgefroren, man hat aber kein Holz; da muß man herumlaufen und sich eins ausborgen. . .
– Und was für Nachbarn Gott einem noch schickt, bemerkte Sachar wieder, – bei manchen kann man sich nicht nur kein Bündel Holz, sondern auch nicht einmal einen Krug Wasser ausbitten.
– Na also! – sagte Ilja Iljitsch, – man könnte glauben, daß die Schererei ein Ende hat, wenn man bis zum Abend übersiedelt ist, man hat aber noch zwei Wochen lang zu thun. Man meint, alles ist geordnet. . . Wenn man aber hinschaut, ist richtig etwas noch zurückgeblieben. Die Stores müssen aufgehängt, die Bilder angenagelt werden – man ist ganz erschöpft und möchte gar nicht weiter leben. . . Und die Ausgaben, die Ausgaben. . .
– Vorigesmal, vor acht Jahren, hatʼs zweihundert Rubel ausgemacht, ich erinnere mich noch ganz genau, – bestätigte Sachar.
– Nun, ist das vielleicht ein Spaß! sagte Ilja Iljitsch. – Und wie unbehaglich man sich anfangs in der neuen Wohnung fühlt! Man gewöhnt sich ja nicht so bald daran. Ich werde auf dem neuen Orte fünf Nächte nicht schlafen können; ich werde traurig sein, wenn ich des Morgens aufstehe und statt des Aushängeschildes des Drechslers mir gegenüber etwas anderes sehe oder wenn jene geschorene Alte nicht vormittags aus dem Fenster herausschaut. . .
– Siehst Du jetzt selbst ein, wozu Du Deinen Herrn bringen wolltest? – fragte Ilja Iljitsch vorwurfsvoll.
– Ich sehe es ein, – flüsterte Sachar demüthig.
– Warum hast Du mir also vorgeschlagen zu übersiedeln? Können denn menschliche Kräfte das alles ertragen?
– Ich habe geglaubt, daß es andere gibt, die nicht schlechter sind als wir und die übersiedeln, daß also auch wir es thun könnten. . . – sagte Sachar.
– Was? Was? – fragte Ilja Iljitsch, sich erstaunt auf seinem Sessel aufrichtend. Was hast Du gesagt?
Sachar wurde plötzlich verlegen, da er nicht wußte, wodurch er seinem Herrn Anlaß zu dem pathetischen Ausrufe und zu der Bewegung gegeben hatte. Er schwieg.
– Andere sind nicht schlechter! – wiederholte Ilja Iljitsch entsetzt, – so weit bist Du also gekommen! Jetzt werde ich wissen, daß ich für Dich ebensogut wie ein »anderer« bin.
Oblomow verneigte sich ironisch vor Sachar und machte ein höchst beleidigtes Gesicht.
– Aber ich bitte, Ilja Iljitsch, stelle ich Sie denn mit irgendwem gleich?. . .
– Gehʼ mir aus den Augen! – sagte Oblomow befehlend und wies mit der Hand auf die Thür hin, – ich kann Dich nicht sehen. Ah! Die ›anderen‹! Gut!
Sachar zog sich mit einem tiefen Seufzer zurück.
»Ist das ein Leben!« – brummte er, sich auf die Ofenbank setzend.
»Mein Gott!« stöhnte auch Oblomow, »ich hatte vor, den Morgen nützlicher Arbeit zu widmen, man hat mich aber für den ganzen Tag verstimmt. Und wer denn? Der eigene, ergebene, erprobte Diener! Was er da gesagt hat! Wie konnte er das nur?«
Es gelang Oblomow lange nicht sich zu beruhigen; er legte sich hin, stand auf, gieng im Zimmer herum und legte sich dann wieder hin. In dem Umstande, daß Sachar ihn bis auf die Stufe der »andern« herabsteigen ließ, sah er einen Eingriff in seine Rechte auf Sachars ausschließliche Bevorzugung der Person des Herrn allen Menschen gegenüber. Er drang in die Tiefe dieses Vergleiches ein und untersuchte, was die »andern« und was er seien, in welchem Grade eine solche Parallele möglich und gerecht erscheine und wie groß die ihm durch Sachar zugefügte Beleidigung sei; endlich ob Sachar ihn bewußt gekränkt habe, ob es seine Überzeugung sei, daß man Ilja Iljitsch einem »anderen« gleichstellen könne oder ob das seiner Zunge nur so, ohne Antheilnahme seines Kopfes entschlüpft sei. Das alles hatte Oblomows Eitelkeit verletzt, und er beschloß, Sachar den Unterschied zwischen sich selbst und jenen, die er unter der Benennung »andere« meinte, zu zeigen und ihm auf die ganze Niedertracht seiner Handlung hinzuweisen.
– Sachar! – rief er gedehnt und feierlich.
Als Sachar diesen Ruf hörte, sprang er nicht wie sonst mit den Füßen klopfend von der Ofenbank herab und brummte nicht; er kroch langsam vom Ofen herunter und gieng, alles mit den Händen und den Seiten