Garde. Er war hübsch von Gestalt, gut gebaut und galt fast für den besten Tänzer auf den Tanzkränzchen des Mittelstandes, die er vorzugsweise besuchte; in der hohen Welt hatte er nicht Zutritt. Von Jugend auf schwärmte er für zwei Dinge: Flügeladjutant zu werden und eine vortheilhafte Heirath zu schließen; dem ersteren entsagte er bald, dafür aber behielt er desto fester letzteres im Auge. Zu diesem Zwecke fuhr er jeden Winter nach Moskau. Stachow sprach ziemlich fertig französisch und wurde, weil er kein ausschweifendes Leben führte, für einen Philosophen gehalten. Schon als Fähnrich liebte er eifrig zu disputiren, ob zum Beispiel ein Mensch wohl in seinem Leben alle Punkte des Erdballs bereisen, oder ob er wohl erfahren könne, was auf dem Boden des Meeres vorgehe – und war stets der Meinung, es sei unmöglich.
Stachow war fünfundzwanzig Jahre alt, als er Anna Wassiljewna »kaperte;« er nahm seinen Abschied und zog aufs Land, um die Wirthschaft zu führen. Er wurde des Lebens auf dem Lande jedoch bald überdrüssig, umsomehr, da die Bauern zinspflichtig waren und zog daher nach Moskau, wo seine Frau ein Haus besaß. In seiner Jugend hatte er keinerlei Spiel gespielt, nun aber bekam er eine Leidenschaft fürs Lottospiel und als dieses verboten ward,3 für Whist. Zu Hause fühlte er Langeweile; er machte die Bekanntschaft einer Wittwe deutscher Abkunft und verbrachte bei ihr fast seine ganze Zeit. Den Sommer 1853 ging er nicht nach Kunzowo aufs Land; er blieb unter dem Vorwande, Mineralwasser zu brauchen, in Moskau; in Wahrheit jedoch, weil er sich nicht von seiner Wittwe trennen konnte. Er sprach übrigens auch mit ihr wenig und stritt meistens mit ihr darüber, ob man wohl die Witterung vorausbestimmen könne und dergleichen mehr. Es nannte ihn einmal Jemand Frondeur; diese Benennung gefiel ihm sehr. Ja wohl, dachte er, selbstgefällig die Mundwinkel herabziehend und sich langsam schaukelnd, es ist nicht leicht, mich zu befriedigen; mich führt man nicht so leicht an. Das Frondiren Stachow‘s bestand aber einfach darin, daß er zum Beispiel wenn Jemand von Nerven sprach, fragte: Und was nennen Sie Nerven? oder wenn in seiner Gegenwart von Fortschritten der Astronomie die Rede war, er dazwischen warf: Und glauben Sie an Astronomie? Wollte er seinen Gegner gänzlich vernichten, dann sagte er: Das sind Alles nur Phrasen. Man muß gestehen, daß dergleichen Argumente vielen Leuten (wie es heut zu Tage noch vorkommt) unumstößlich schienen; Stachow hatte aber gewiß keine Ahnung davon, daß Augustine Christianowna in ihren Briefen an ihre Cousine Theolinde Petersilius ihn »mein Pinselchen« nannte.
Nikolai Artemjewitsch‘s Frau, Anna Wassiljewna, war ein kleines mageres Weibchen mit feinen Gesichtszügen, zu Gemüthsbewegungen und Trauer geneigt. In der Erziehungsanstalt hatte sie Musik getrieben und Romane gelesen, später aber beides aufgegeben; dann hatte sie sich mit ihrem Putze beschäftigt, aber auch dieses bei Seite gelegt; zuletzt war es die Erziehung ihrer Tochter, die sie zu übernehmen gedachte, doch es versagten ihr die Kräfte auch hierin und sie überließ diese Sorge einer Gouvernante; das Ende von Allem war, daß sie weiter nichts mehr that, als sich ihrer Trauer und stiller Gemüthsbewegung hinzugeben. Helene Nikolajewna‘s Geburt zerstörte ihre Gesundheit, sie gebar keine Kinder mehr; auf diesen Umstand machte Nikolai Artemjewitsch Anspielungen, um sein Verhältniß mit Augustine Christianowna zu rechtfertigen. Anna Wassiljewna betrübte die Untreue ihres Gatten sehr; es schmerzte sie besonders, daß er einmal durch List seiner Geliebten ein paar graue Pferde aus ihrem eigenen Gestüte geschenkt hatte. Ins Gesicht machte sie ihm niemals Vorwürfe, insgeheim aber beklagte sie sich über ihn bei allen Hausgenossen selbst bei ihrer Tochter. Anna Wassiljewna liebte nicht Besuche zu machen; sie hatte es gern, wenn irgend ein Gast bei ihr saß und ihr etwas erzählte; blieb sie allein, dann fühlte sie sich sogleich unwohl. Sie besaß ein sehr liebevolles und gefühlvolles Herz: das Leben aber hatte sie sehr bald aufgerieben.
Pawel Jakowlewitsch Schubin war in entferntem Grade ihr Neffe. Sein Vater hatte in Moskau gedient. Seine Brüder waren im Cadettencorps erzogen worden; er, als jüngstes Kind, Liebling der Mutter, und von zarter Leibesbeschaffenheit, wurde zu Hause behalten. Er wurde für die Universität bestimmt und machte mit Mühe das Gymnasium durch. Schon früh zeigte sich bei ihm Neigung zur Bildhauerei; dem gewichtigen Senator Wolgin kam einmal bei des Knaben Tante eine kleine Statuette zu Gesicht (eine Arbeit des damals noch Sechszehnjährigen) und er erklärte, das angehende Talent unter seine Protection nehmen zu wollen. Der plötzliche Tod von Schubin‘s Vater hätte beinahe der Zukunft des jungen Menschen eine andere Richtung gegeben. Der Senator als Gönner der Talente, schenkte ihm eine Büste des Homer aus Gyps – das war Alles; Anna Wassiljewna aber half ihm mit Geld aus und mit genauer Noth, neunzehn Jahre alt, bezog er die Universität, um Medicin zu studiren. Pawel empfand nicht die geringste Neigung zur Medicin, doch bei der damaligen Zahl der Studenten war es unmöglich, in irgend eine andere Facultät zu treten;4 außerdem hoffte er Anatomie zu lernen. Er beendete dieses Studium nicht; ohne in den zweiten Cursus übergegangen zu sein, verließ er vor dem Examen die Universität, um sich ausschließlich seinem Berufe zu widmen. Er arbeitete eifrig, aber mit Unterbrechungen, streifte in der Umgegend Moskaus umher, formte und zeichnete Portraits von Bauermädchen, kam mit vielerlei Leuten, mit Jung und Alt, Hohen und Niederen, italienischen Formgießern und russischen Künstlern zusammen, wollte nichts von der Akademie wissen und keine Professoren anerkennen. Er besaß entschiedenes Talent: sein Name fing an in Moskau genannt zu werden. Seine Mutter, eine Pariserin aus – guter Familie, eine brave und kluge Frau, hatte ihm die französische Sprache gelehrt, Tag und Nacht sich um ihn bekümmert und Sorge für ihn getragen; sie war stolz auf ihn und als sie, noch jung, von der Schwindsucht ergriffen, im Sterben lag, bat sie Anna Wassiljewna, sich ihres Sohnes anzunehmen. Er war damals einundzwanzig Jahre alt. Anna Wassiljewna erfüllte ihre letzte Bitte; sie stellte Schubin ein kleines Zimmer in einem Nebengebäude. des Landbauses zur Verfügung.
IV
– So kommen Sie doch zum Essen, kommen Sie, bat die Hausfrau mit kläglicher Stimme, und Alle begaben sich in den Speisesaal. Sehen Sie sieh zu mir, Zoë, sagte Anna Wassiljewna, Du aber, Helene, unterhalte den Gast, und Du Paul, ich bitte Dich, treibe nicht Muthwillen und necke nicht Zoë. Mir thut heute der Kopf weh.
Schubin richtete wieder den Blick gen Himmel; Zoë erwiederte denselben mit einem leichten Lächeln. Diese Zoë, oder richtiger Zoja Nikitischna Müller, war ein nettes, blondgelocktes, etwas schieläugiges, volles junges Mädchen, deutscher Abkunft, mit einem Stutznäschen und rothen zierlichen Lippen. Sie sang nicht schlecht russische Romanzen, spielte ganz hübsch auf dem Clavier verschiedene bald heitere, bald rührende Stückchen,« kleidete sich mit Geschmack, aber etwas kinderhaft und gar zu zierlich. Anna Wassiljewna hatte sie als Gesellschafterin ihrer Tochter engagirt und ließ sie fast niemals von sich. Helene hatte nichts dagegen; wenn sie zufälliger Weise mit Zoë allein blieb, wußte sie niemals, was sie mit ihr sprechen sollte.—
Die Mahlzeit dauerte ziemlich lange; Berßenjew unterhielt sich mit Helene vom Studentenleben, von seinen Plänen und Hoffnungen; Schubin horchte, schwieg, aß mit übertriebener Hast und warf von Zeit zu Zeit komische Blicke auf Zoë, die darauf beständig mit phlegmatischem Lächeln antwortete. Nach der Tafel begaben sich Berßenjew, Helene und Schubin in den Garten; Zoë blickte ihnen nach, zuckte leicht die Achseln und setzte sich dann ans Clavier. Anna Wassiljewna fragte sie zwar: Warum gehen Sie denn nicht auch in den Garten? doch die Antwort nicht abwartend, setzte sie hinzu: spielen Sie mir etwas recht Schwermüthiges vor . . .
– La dernière pensée de Weber? fragte Zoë.
– Ach ja, aus Weber, sagte Anna Wassiljewna, ließ sich auf einen Armstuhl nieder und eine Thräne zitterte an ihren Wimpern.
Unterdessen war Helene mit ihren beiden Begleitern in eine Akazienlaube gelangt, in deren Mitte sich ein hölzerner Tisch, von Bänken umgeben, befand. Schubin blickte zurück, sprang einige Male umher, sagte dann leise: Warten Sie! lief auf sein Zimmer, brachte ein Stück Lehm und begann nun, Zoë‘s Gestalt unter Kopfschütteln, Brummen und Lachen zu modelliren.
– Immer die alte Geschichte, sagte Helene zu Berßenjew, nachdem sie einen Blick auf die Arbeit geworfen hatte, und setzte damit ihr an der Tafel begonnenes Gespräch mit ihm fort.
– Die alte Geschichte! wiederholte Schubin. Das ist aber ein unerschöpflicher Stoff! Heute besonders bringt sie mich zur Verzweiflung.
– Weshalb denn das? fragte Helene. Man könnte glauben, Sie sprechen von irgend einer boshaften,